# taz.de -- Kommentar Flüchtlingsdrama: Kein Geld, keine Wohnung, keinen Arzt | |
> Italien will die Flüchtlingspolitik zu einem Thema in der EU machen. | |
> Zuerst sollte es jedoch seinen eigenen Umgang mit den Flüchtlingen | |
> humanisieren. | |
Bild: Willkommen in Europa. | |
Europa muss ran! Wenigstens in dieser Forderung sind sich alle | |
italienischen Politiker nach der Katastrophe von Lampedusa einig. „Die | |
Straße von Sizilien ist nicht bloß die Seegrenze Italiens, sie ist die | |
Seegrenze ganz Europas mit Afrika“, verkündete der Präsident des | |
italienischen Senats, Pietro Grasso. | |
Und von Ministerpräsident Enrico Letta heißt es, er habe schon eine Achse | |
mit Griechenland geschmiedet: Die beiden Länder werden 2015 nacheinander | |
die EU-Präsidentschaft übernehmen und wollen dann die Immigration endlich | |
zum europäischen Thema machen. | |
Das klingt plausibel. Europa ist in der Flüchtlingspolitik bisher vor allem | |
präsent, wenn es um Abwehr geht. Da wäre Frontex, eingerichtet, um die | |
Grenzen gegen illegale Einwanderung zu schützen. | |
Und da wäre „Dublin II“, jene EU-Verordnung, die dazu dient, jene | |
Flüchtlinge, die es dennoch nach Italien, Griechenland oder Spanien | |
schaffen, an der Weiterreise etwa nach Deutschland zu hindern. Um Asyl oder | |
humanitären Schutz – oder auch um die Abschiebung – müssen sich die | |
Erstaufnahmestaaten kümmern, im Falle Lampedusas also Italien. | |
So gesehen ist Italiens Ruf nach der Europäischen Union völlig legitim: Die | |
Flüchtlinge kommen nicht „nach Italien“, sie kommen nach Europa. Trotzdem | |
ist es nur eine billige Ausrede. Denn Italien ist keineswegs stärker | |
belastet als andere europäische Länder. Im Gegenteil. Es gewährt | |
gegenwärtig etwa 65.000 Menschen Asyl oder humanitären Schutz. Zum | |
Vergleich: In Deutschland sind es rund 600.000 Personen. | |
Und schlimmer noch: Die Hilfe erschöpft sich darin, dass die aus Eritrea, | |
Somalia oder jetzt auch aus Syrien Geflohenen Aufenthaltspapiere erhalten – | |
mehr nicht. Eine Unterbringung zum Beispiel erfolgt in der Regel bloß zu | |
Beginn des Asylverfahrens. Ist das abgeschlossen, müssen die Antragsteller | |
selbst sehen, wo sie bleiben – ohne Unterkunft, ohne Geld, oft ohne | |
angemessene medizinische Versorgung. | |
Auf diese Weise will Italien einen kräftigen Anreiz für die Flüchtlinge | |
schaffen, sobald wie möglich auch aus Italien zu fliehen. Nach dem Motto: | |
Je schlechter es ihnen geht, desto schneller sind sie weg. Hier müsste das | |
Land zuerst ansetzen, wenn es ernsthaft die Flüchtlingspolitik zu | |
humanisieren beabsichtigt – und wenn es die Diskussion über eine | |
angemessene Flüchtlingspolitik auf die europäische Ebene tragen will. | |
6 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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