# taz.de -- Ideen für eine bessere Flüchtlingspolitik (3): Flüchtlinge faire… | |
> Die Länder an den EU-Außengrenzen sind zuständig für alle Flüchtlinge, | |
> die bei ihnen einreisen. Ein Verteilungsschlüssel für die EU fehlt – ist | |
> aber notwendig. | |
Bild: Flüchtlinge in einem Lager in Griechenland. | |
Die Lage | |
In Deutschland geht es gerecht zu – jedenfalls was die Verteilung von | |
Asylsuchenden angeht. Der sogenannte Königsteiner Schlüssel legt fest, wie | |
die Ankommenden unter allen 16 Ländern aufgeteilt werden. Grundlage ist | |
dabei ein Mix aus Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl. So muss sich | |
Nordrhein-Westfalen um jeden fünften Flüchtling kümmern, Bremen um jeden | |
100sten. | |
In der Europäischen Union ist das anders: Seit 2003 gilt hier die | |
Dublin-II-Verordnung. Ihr Ziel war es, sicherzustellen, dass es in Europa | |
keine Flüchtlinge gibt, für die niemand die Verantwortung übernehmen will – | |
sogenannte Refugees in Orbit. | |
Die Richtlinie legt deshalb fest, dass immer der Staat für einen Flüchtling | |
zuständig ist, über den dieser in die EU einreist. Im ersten Ankunftsland | |
werden Fingerabdrücke abgenommen, nur dort darf er einen Asylantrag | |
stellen. Geht er trotzdem woanders hin, etwa nach Skandinavien, wird er | |
zurückgeschoben. | |
Dies belastet die Länder an den Außengrenzen extrem: So musste sich das | |
kleine Malta 2011 mit 4.525 Anträgen je eine Million Einwohner plagen, in | |
Deutschland waren es nur 625. | |
Von einem funktionierenden Asylsystem kann daher vor allem in Südeuropa | |
keine Rede sein. Griechenland, Zypern, aber auch Ungarn sperren Flüchtlinge | |
zur Abschreckung unter katastrophalen Bedingungen ein. Asyl gibt es in | |
diesen Ländern praktisch nicht. Italien überlässt die Menschen weitgehend | |
sich selbst. Das führt dazu, dass die Ankömmlinge nach Mitteleuropa | |
weiterreisen. Dort dürfen sie aber keinen Asylantrag stellen; gleichzeitig | |
verbieten Gerichte eine Rückschiebung oft aus humanitären Gründen – und die | |
Flüchtlinge sitzen erneut fest. | |
Die Reform | |
Die FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch hat einen Vorschlag für einen | |
europäischen Verteilungsschlüssel entwickelt. „Es ist Zeit für ein faires | |
und modernes Verteilungssystem für Asylsuchende“, sagt Hirsch. | |
Bevölkerungszahl und Bruttoinlandsprodukt werden bei ihrem Modell im | |
Verhältnis eins zu zwei gewichtet. Deutschland müsste bei diesem Modell | |
etwa jeden fünften Flüchtling aufnehmen. Vor allem Länder wie Griechenland, | |
Zypern und Malta würden entlastet, Staaten wie Großbritannien oder die | |
Niederlande müssten mehr aufnehmen. | |
Wer hätte etwas davon? | |
Von einer solchen Reform würden jährlich Zehntausende Asylsuchende | |
profitieren. Ihnen bliebe die Internierung in griechischen Gefängnissen | |
erspart, sie dürften aus Süd- und Osteuropa in andere Länder der | |
Europäischen Union weiterreisen. Die armen EU-Staaten im Süden würden | |
entlastet. In der Krise werden Asylsuchende dort von Rechtsradikalen | |
bevorzugt als Sündenbock verfolgt – oft genug mit Gewalt. | |
Der Haken | |
Oft haben Flüchtlinge Sprachkenntnisse, Freundes- oder Familienverbindungen | |
in bestimmte Länder. Darum wollen sie dorthin. Dies müsste bei der | |
Verteilung berücksichtigt werden. Besonders beliebte Länder könnten mit | |
Ausgleichszahlungen entschädigt werden. | |
Hinzu kommt: Flüchtlinge werden in den EU-Ländern höchst unterschiedlich | |
behandelt. Bliebe alles wie bisher, hätten all jene Pech, die per Quote in | |
ein Land mit schlechtem Standard wie etwa Polen umverteilt würden. Die | |
Schutzstandards müssten EU-weit auf dasselbe Niveau gebracht werden. Bis | |
dahin sollten schlechte Länder von der Verteilung ausgenommen sein. | |
Aussichten auf Umsetzung | |
Schlecht. So, wie es ist, ist es für die großen, zentraleuropäischen Länder | |
sehr komfortabel. Während der fünfjährigen Verhandlungen zum neuen | |
europäischen Asylpaket Ceas haben sie kategorisch jede echte Reform der | |
Dublin-Richtlinie blockiert. Die wirtschaftlich abhängigen Pleitestaaten im | |
Süden haben darüber stets laut, aber vergeblich gemurrt. | |
Nach dem jüngsten Schiffsunglück regt sich jedoch erneut Widerstand: „Wir | |
werden laut unsere Stimme in Europa erheben, um die Regeln zu ändern, die | |
die ganze Last der illegalen Einwanderung auf die Länder des ersten | |
Eintritts abwälzen“, sagte Italiens Vizeregierungschef Angelino Alfano am | |
Freitag. | |
9 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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