# taz.de -- Ein Jahr Reisefreiheit in Kuba: Die Kehrseite der Medaille | |
> Seit einem Jahr dürfen die Kubaner reisen. Rund 250.000 haben bisher die | |
> Koffer gepackt. Viele von ihnen sind im Ausland geblieben. | |
Bild: Trubel am Flughafen José Martín in Havanna | |
BERLIN taz | „Bei uns war es nicht so leicht mit der Ausreise. Oscar | |
Espinosa Chepe gehörte zu den Dissidenten, die 2003 verhaftet und zu langen | |
Haftstrafen verurteilt wurden. Die Mitglieder dieser 75-köpfigen Gruppe, | |
die noch in Kuba sind, dürfen eigentlich nicht ausreisen“, erklärt Miriam | |
Leiva. „Grundsätzlich ist die neue Reisefreiheit aber positiv“, sagt sie. | |
Allerdings, fügt die 66-Jährige sofort hinzu, „soll man nicht vergessen, | |
dass es sich um ein Grundrecht handelt, das uns Kubanern lange vorenthalten | |
wurde.“ | |
Seit dem 14. Januar 2013 darf auch in Kuba gereist werden, wenn ein | |
Reisepass, ein Ticket und ein Visum vorliegen. Bis zu diesem Datum mussten | |
die Kubaner eine Ausreiseerlaubnis, auch Tarjeta Blanca genannt, | |
beantragen, um die Insel verlassen zu können. Voraussetzung waren eine | |
Einladung aus dem Ausland und weitere Dokumente. | |
Das ist Geschichte, und schon im ersten Jahr der neuen Reisefreiheit nahm | |
das Reiseaufkommen um 35 Prozent zu. Bis zum 30. November präsentierten | |
257.518 Kubaner und KubanerInnen ihren Pass zur Ausreise. Etliche davon | |
machten sich mehrmals auf den Weg, so Lamberto Fraga, zweiter Mann bei der | |
Ausreisebehörde, der Inmigración y Extranjería. Wichtigste Reiseziele waren | |
die USA, wohin 36 Prozent der Kubaner reisten, Mexiko, Spanien, Panama und | |
Ecuador. | |
Doch längst nicht alle Kubaner kommen auch wieder zurück. Für Lamberto | |
Fraga keine große Überraschung. Viele Kubaner würden länger in den USA | |
bleiben, weil sie nach einem Jahr und einem Tag Aufenthalt ein Bleiberecht | |
erhalten und so nie wieder ein Visum beantragen müssen, erläuterte Fraga in | |
einem Interview. | |
## Niedrige Rückkehrquote | |
Allerdings ist die Quote der Rückkehrer auch bei Reisen in den Rest der | |
Welt recht niedrig. 52 Prozent der Ausgereisten sind laut den Zahlen der | |
Ausreisebehörde bis dato nicht zurückgekehrt. Ob sie im Ausland arbeiten, | |
die Chance nutzen, Geld zu verdienen, um in Kuba etwas Neues aufzubauen, | |
oder sich für ein Leben abseits der Insel entschieden haben, weiß man | |
nicht, jedenfalls noch nicht. | |
Anders als früher können kubanische Staatsangehörige jetzt ohne weitere | |
Angabe bis zu 24 Monate im Ausland bleiben, mit Verlängerungsoption. | |
„Früher waren sie nach elf Monaten automatisch Auswanderer“, erinnert Omar | |
Everleny Pérez Villanueva vom Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft | |
(CEEC). | |
Die neuen Bestimmungen erleichtern die Rückkehr, und auch der | |
Sozialwissenschaftler ist froh, dass die illegale Ausreise per Schnellboot | |
nach Miami und Mexiko nun weitgehend gestoppt ist. Allerdings weiß er auch, | |
dass es meist die Besserqualifizierten sind, die gehen. „Die fehlen in | |
Kuba, um hier die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen“, so der | |
53-Jährige. | |
Von einem Aufschwung allerdings ist die Insel weit entfernt, sagt Miriam | |
Leiva. „Es gibt kaum Wachstum, die sozialen Probleme nehmen zu und werden | |
sichtbarer. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind gravierend“, | |
berichtet die Dissidentin. Sie hat in der Vergangenheit immer wieder die | |
Sozialpolitik der Regierung kritisiert und auf Defizite im Bildungs- und | |
Gesundheitssystem hingewiesen. In Kuba konnte man ihrem an einer | |
chronischen Lebererkrankung leidenden Mann, einem versierten Ökonomen, | |
nicht mehr helfen. Aus humanitären Gründen wurde die Ausreise des Ehepaars | |
nach Spanien dann doch im Frühjahr 2013 ermöglicht. Dort verstarb Oscar | |
Espinosa Chepe im September. Etwas später kam seine Frau zurück. | |
## Mehr Korruption, gescheiterte Reformen | |
Nach dem halben Jahr im Ausland sieht Leiva kaum positive Veränderungen auf | |
der Insel. Sie kritisiert die Zunahme der Korruption und die wenig | |
erfolgreiche Reformpolitik der Regierung von Raúl Castro. | |
Positiv ist für sie hingegen die Entwicklung des Privatsektors, wo mehr und | |
mehr investiert wird. „Kapital, das aus dem Ausland kommen könnte oder von | |
Kubanern, die im Ausland ein paar Monate gearbeitet haben“, vermutet Omar | |
Everleny Pérez Villanueva. Deren Zahl steigt, das belegen auch die Daten | |
der Ausreisebehörde. | |
Mehrere tausend Kubaner pendeln demnach zwischen Miami und Havanna, jobben | |
beim Klassenfeind und investieren Gewinne auf der Insel. Oft sind es | |
Angehörige der ehemaligen Mittel- und Oberschicht, die dank Verwandter im | |
Ausland deutlich bessere Voraussetzungen haben. | |
Kleinkredite werden in Kuba kaum angeboten, sodass Kubaner, die keine | |
Verwandten im Ausland haben, kaum eine Chance erhalten, auf der Insel etwas | |
aufzubauen. 470 US-Dollar kostet ein Flug von Havanna nach Miami, etwa das | |
25fache eines typischen kubanischen Monatslohns. Trotzdem sind die knapp | |
zweihundert Flüge pro Monat immer ausgebucht – Beleg für die zunehmende | |
soziale Ungleichheit auf der Insel. | |
16 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
## TAGS | |
Migration | |
Kuba | |
Reisen | |
Kuba | |
Havanna | |
Nachruf | |
Kuba | |
Kuba | |
Kuba | |
Kuba | |
Sanktionen | |
Kuba | |
Kuba | |
Kuba | |
Kuba | |
Kuba | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flucht in die USA: Ausnahme für kubanische Migranten | |
8.000 in Costa Rica gestrandete kubanische Flüchtlinge können in die USA | |
weiterreisen. Für die Migranten ist das eine gute Nachricht. | |
Immobilienmakler auf Kuba: Eine Villa in Havanna | |
Lange spielte sich der Immobilienhandel auf Kuba jenseits des Gesetzes ab. | |
Seit seiner Legalisierung vor drei Jahren explodiert der Markt. | |
Nachruf auf Musiker Juan Formell: Lokführer der Salsa | |
„Los Van Van“ heißt Kubas berühmteste Salsaband. Am Donnerstag starb ihr | |
Mitbegründer, der geniale Songwriter Juan Formell, in Havanna. | |
Wirtschaftspolitik in Kuba: Ausländische Investoren erwünscht | |
Im Kampf gegen die wirtschaftliche Stagnation setzt Kuba auf Geld aus dem | |
Ausland. Mit fast schon revolutionären Reformen sollen ausländische | |
Investoren angelockt werden. | |
Nachruf auf Huber Matos: Fidel Castros erster Abtrünniger | |
Grundschullehrer, Guerilla-Kommandant, inhaftierter Verräter, | |
Exil-Oppositioneller. Mit 95 Jahren ist der Kubaner Huber Matos in Miami | |
gestorben. | |
Revolutionsgefährte Fidel Castros ist tot: Vom Comandante zum Gegner | |
Huber Matos war Castros Weggefährte, Dissident, politischer Gefangener. Ein | |
zwiespältiges Verhältnis zur kubanischen Revolution prägte sein Leben. | |
Abkommen EU-Kuba: Ein Ende der Eiszeit? | |
Nach 17 Jahren frostiger Stimmung wollen Kuba und die Europäische Union in | |
einen neuen Dialog treten. Ein bilaterales Abkommen ist geplant. | |
Bildung im Internet: „Der schiere Chauvinismus“ | |
Studenten aus Kuba, Sudan und Iran werden von Onlinevorlesungen auf | |
Coursera ausgeschlossen. Schuld sind US-Exportrestriktionen. | |
Beziehung zwischen den USA und Kuba: Kuba bietet Dialog an | |
Präsident Raúl Castro will in einen Dialog mit den USA treten. Seine | |
Bedingung: Die USA akzeptieren Kubas Unabhängigkeit und auch das politische | |
System. | |
Schuldenkrise in Kuba: Russland verzichtet auf Altschulden | |
Die Pro-Kopf-Verschuldung Kubas ist die höchste der Welt. Nun sorgt | |
Russland für Entlastung. Die Regierung in Havanna hat auch mit anderen | |
verhandelt. | |
Währungsreform in Kuba: Ein Peso für alle | |
Das doppelte Währungssystem in dem Inselstaat Kuba hat sich nicht bewährt. | |
Havanna will nun ein einheitliches Zahlungsmittel einführen. | |
Tiefwasserport in Kuba: Hafen mit Haken | |
Im Zuge des Komplettumbaus des kubanischen Wirtschaftssystems wird ein | |
riesiger Hafen errichtet. Und der hat einen fatalen Konstruktionsfehler. | |
Reformen auf Kuba: Weg frei in die Major League Baseball | |
Kuba will seinen Sportlern zukünftig Tätigkeiten bei ausländischen Vereinen | |
erlauben. Zudem sollen weitere 18 Berufe selbstständig ausgeübt werden | |
dürfen. |