# taz.de -- Klimapolitik in EU: Es gibt keine Energiewende | |
> Die EU war Vorreiter bei Klimaschutz, Erneuerbaren und Energieeffizienz. | |
> Seit der Eurokrise ist das vergessen. Unter den Staaten gibt es keinen | |
> Konsens mehr. | |
Bild: Sieht schön aus, schmilzt aber leider: Eisberg in Grönland | |
BERLIN taz | Das Problem mit der Energiewende in Europa: Es gibt sie nicht. | |
Zwar haben sich die EU-Staaten auf ein gemeinsames Klimaziel geeinigt – | |
nicht aber über den Weg dorthin. Und anders als in Deutschland gibt es in | |
den meisten Mitgliedsländern kaum eine ernsthafte Debatte über eine | |
Energieversorgung jenseits von Kohle und Atom. | |
„EU-weit gibt es weder den Begriff noch den Willen zur Energiewende“, | |
bilanziert EU-Expertin Stefanie Langkamp vom Deutschen Naturschutzring | |
(DNR). Zu unterschiedlich sind die Bedingungen in den 28 Staaten. Oft sind | |
die Emissionen von Treibhausgasen vor allem vermieden worden, weil dreckige | |
Industrien aus dem ehemaligen Ostblock zusammenbrachen und die | |
Wirtschaftsflaute seit 2008 die Produktion gedrosselt hat. | |
Ein Teil des Fortschritts stammt allerdings auch aus echten Anstrengungen | |
und dem EU-weiten Trend, mehr Wachstum mit weniger Emissionen zu schaffen. | |
Insgesamt erreicht die EU ohne große Anstrengungen ihr Ziel von minus 20 | |
Prozent bis 2020. Bei den Zielen für die Erneuerbaren ist die Lage nur auf | |
dem Papier gut. Die 20 Prozent beziehen sich nicht nur auf Strom, sondern | |
auf den gesamten Energieverbrauch der Länder. Daher geht es oft nicht um | |
moderne und effiziente Solar- oder Windanlagen, sondern häufig auch um | |
primitive Holzheizung oder riesige Stauseen, die Bergregionen verwüsten. | |
In Ländern wie Schweden, Lettland, Rumänien, die hohe Anteile an | |
Erneuerbaren haben, stammen nach der EEA-Statistik bis zu zwei Drittel | |
dieser grünen Energie aus „Biomasse und Abfall“. Dieser Sektor macht aber | |
auch in Deutschland noch 2010 mehr als drei Viertel der erneuerbaren | |
Energieproduktion aus. Das Potenzial dieser zweifelhaften Öko-Energien ist | |
begrenzt. | |
Überhaupt monieren Experten, das 20-Prozent-Ziel sei in der EU vor allem | |
deshalb konsensfähig gewesen, weil es keine großen Anstrengungen erfordert | |
habe. Jeder weitere Fortschritt werde nun schwer und bedrohe das System der | |
fossilen Energien. | |
## Neue Atomkraftwerke für Europa | |
Anders als in Deutschland ist in Europa Energiewende nicht gleich | |
Atomausstieg. Frankreich will in den nächsten Jahren nur den Schrottreaktor | |
von Fessenheim abschalten, Finnland baut an seinem Milliardengrab des AKW | |
Olkiluoto. Ungarn und Tschechien wollen mit russischer Hilfe neue Reaktoren | |
errichten, und Großbritannien hat gerade ein großzügiges Programm für Bau | |
und Subventionen neuer Atomkraftwerke beschlossen. Für viele Experten ist | |
das die Erklärung für Londons hartnäckigen Widerstand gegen ein | |
Erneuerbaren-Ziel in Brüssel. | |
Andere Staaten wie Polen setzen auf die bislang nicht erprobte Technik der | |
unterirdischen CO2-Speicherung (CCS) oder hoffen auf einen Boom von | |
billigem Gas durch Fracking, um die verbindlichen EU-Klimaziele zu | |
schaffen. Ein Erneuerbaren-Ziel von 27 Prozent für die gesamte EU ist für | |
Experten nur Augenwischerei, weil es die einzelnen Staaten zu nichts | |
verpflichtet. | |
„Es lässt sich empirisch nachweisen, dass verbindliche Ziele maßgeblich zum | |
Erfolg beitragen“, sagt Nils Meyer-Ohlendorf vom Thinktank Ecologic. Das | |
Effizienzziel von 2007 sei auch deshalb gescheitert, weil es nicht | |
rechtlich bindend war. Das Institute for European Environmental Policy | |
(IEEP) in Brüssel fürchtet, dass ohne ein einklagbares verbindliches Ziel | |
in jedem EU-Land jenseits von 2020 die Investitionen in diese Technik | |
zurückgehen. | |
„2009 nach dem 20-Prozent-Ziel hat es einen Schub an Investitionen | |
gegeben“, sagt Raphael Sauter vom IEEP. „Wenn diese Langfrist-Perspektive | |
für die Unternehmen fehlt, besteht die Gefahr, dass der Markt einbricht.“ | |
Er kritisiert, dass steigende Stromkosten zuletzt oft mit den Zielen für | |
Erneuerbare in Verbindung gebracht wurden. Es sei ja richtig, dass in | |
Tschechien und Spanien, teilweise auch im deutschen EEG, zu hohe | |
Vergütungen gezahlt worden seien. „Aber diese hohen Kosten sind nicht durch | |
die Ziele entstanden, sondern durch schlecht gemanagte Fördersysteme“, so | |
Sauter. | |
## Fragwürdiges Zahlenmaterial | |
Dazu gibt es Zweifel an den Zahlen der EU-Kommission, die dem Weißbuch | |
zugrunde liegen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wirft | |
der Kommission vor, mit alten Zahlen zu hantieren, die die Kosten von | |
Atomkraft und CCS unrealistisch niedrig und die Preise für Solarenergie | |
viel zu hoch ansetzen. „Die Datengrundlage berücksichtigt wichtige aktuelle | |
Entwicklungen nicht und beruht teilweise auf unplausiblen Annahmen“, so das | |
DIW. | |
Die letzte Entscheidung über die Energie- und Klimaziele liegt aber nicht | |
bei der Kommission, sondern bei den Staats- und Regierungschefs beim | |
EU-Gipfel im März. Mit einem echten Ziel für die Erneuerbaren wäre es für | |
Berlin auch leichter, im Streit um die Subventionen für die Öko-Industrien | |
zu argumentieren. | |
Allerdings war „Deutschland bisher nicht wahrnehmbar“, sagt Rebecca Harms, | |
grüne Energieexpertin im EU-Parlament. Die FDP habe lange alles blockiert, | |
Merkel könne aber nicht „zuhause Klimaschutz propagieren und in Brüssel | |
alles schleifen lassen.“ | |
22 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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