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# taz.de -- Europas blutige Außengrenze: Die Berliner Menschenfalle
> Der Zaun um Marokkos spanische Enklaven soll Flüchtlinge fernhalten. Er
> ist scharf genug, um Sehnen und Bänder zu durchtrennen – und kommt aus
> Berlin.
Bild: Berliner Export: Der Zaun um die Exklave Melilla.
BERLIN taz | Als die Guarda Civil Sambo Sadiako entdeckte, hing sein
lebloser Körper ausgeblutet im Klingendraht wie ein verendetes Tier.
„Widrige Wetterumstände“ hätten den Senegalesen in der Nacht zum 6. März
2009 tödlich stürzen lassen, behauptete die spanische Regierung zuerst.
Doch das war falsch. „Tod durch massiven Blutverlust wegen aufgeschnittener
Arterien“ stellten die obduzierenden Ärzte fest. Sadiako wurde 30 Jahre
alt.
Er starb bei dem Versuch, den Zaun zwischen Marokko und der spanischen
Enklave Ceuta zu überwinden. Ceuta ist seit 1558 in spanischem Besitz. Doch
dort, wo Sadiako starb, gab es Jahrhunderte lang überhaupt keine
Grenzanlagen. Erst als die EU in den 1990er Jahren begann, sich gegen
Migration abzuschotten, wurde 1993 der erste, noch kleine Zaun errichtet.
Seitdem wuchs er immer weiter – und wurde immer gefährlicher für die, die
ihn überwinden wollten.
Was dem einen ein langsamer Tod, ist den anderen ein „Erfolgsfall“: Mit
dieser Vokabel bewirbt das Unternehmen [1][European Security Fencing
(ESF)], ansässig im
[2][//maps.google.com/maps?client=firefox-a&q=einstein+palais+berlin&ie=UTF
-8&ei=WQAOU--kCebmywO_84DICw&ved=0CAgQ_AUoAg:Einstein-Palais an der
Berliner Friedrichstraße], seinen Beitrag zum Grenzzaun in Melilla.
Verbaut wurde dort nach Angaben von NGOs Klingendraht des Typs „Concertina
22“, gedacht zum Schutz von Atomkraftwerken, Munitionslagern und Flughäfen.
Im Abstand von 38 Millimetern sind daran scharfe Klingen angebracht; 22
Millimeter lang, 15 Millimeter hoch. Genug, um Sehnen und Bänder, Nerven
und Blutbahnen zu durchtrennen.
## Die Abschreckung funktioniert nicht
Die zum spanischen Metallbau-Konzern Mora Salazar gehörende ESF ist ein
Allrounder, was die Sicherung von schützenswertem Gut betrifft. So umgibt
eine ihrer Sperranlangen auch die Atomanlagen im spanischen Almaraz.
Gegenüber dem spanischen Portal 20 Minutes erklärte ESF-Chef Antonio Mora,
der Klingendraht habe „einen psychologischen und optischen Effekt“. Nur
wenn „300 Leute auf einmal über den Zaun klettern, einer über dem anderen�…
könne es „Kratzer und Schnitte geben“. Ansonsten aber sei das „Ziel des
Zauns nicht, jemanden zu verletzen, sondern abzuschrecken“.
Das funktioniert aber nicht. Was sich hinter dem Zaun verbirgt, ist einfach
zu begehrenswert: Wer hinüberkommt, ist im Schengen-Raum und kann einen
Asylantrag stellen – obschon Spanien die Migranten immer öfter direkt an
die marokkanischen Soldaten übergibt.
Fälle wie den Sadiakos gibt es Dutzende, die Zahl Schwerverletzter liegt im
vierstelligen Bereich. Der mittlerweile sechs Meter hohe Doppelzaun ist
eine Menschenfalle. Wer sich nicht abschrecken lässt, verfängt sich in den
Klingen. Wer auf der anderen Seite hinunterstürzt oder springt, den
erwartet an vielen Stellen eine dreidimensionale Drahtseilkonstruktion, in
der sich Arme und Beine verhaken. Hinzu kommen sollen eine Stahlwand und
ein Unterwasserzaun, um die „Eindringlinge“ auch zu Wasser abzufangen.
Wegen der vielen schweren Verletzungen und Todesfälle wurden die Klingen
zwischenzeitlich wieder abgenommen. Doch im Oktober 2013 entschied die
Regierung, wieder neuen Klingendraht von ESF anzubringen.
„Dieser Zaun ist nicht nur der Zaun von Melilla. Es ist der Zaun von ganz
Europa. Das hier ist auch der Zaun von Berlin“, sagte der Präsident von
Melilla, Juan José Imbroda. Im November waren die Arbeiten für den ersten
Abschnitt beendet. Weitere sollen folgen.
## Drohnen statt Zaun
Die Aufrüstung ist in Spanien höchst umstritten. El País, die größte
Tageszeitung Spaniens, stellte ein Video online, auf dem ein Kameruner zu
sehen ist, der mit einem Ganzkörperverband in einem spanischen Krankenaus
liegt. Er hatte versucht, über den Zaun zu klettern. „Die Ärzte haben zwölf
Stunden gebraucht, um meine Wunden zuzunähen“, erklärt er. Er schäme sich,
seine Haut mit all den Narben zu zeigen.
Der sozialistische Abgeordnete Antonio Trevín brachte im Dezember ein Stück
des Drahtes in eine Parlamentssitzung mit. Um ihn zu präsentieren, zog er
einen Lederhandschuh an und schlug vor, stattdessen mit Drohnen gegen die
Papierlosen vorzugehen. „Unser Problem ist nicht, sie zu entdecken“,
entgegnete Innenminister Fernández Díaz. „Das Problem ist, sie
aufzuhalten.“ Die Klingen bleiben, entschied Ministerpräsident Mariano
Rajoy.
Auch EU-Innenkommissarin Malmström verlangte Aufklärung. Diáz reise nach
Brüssel und erklärte, der Klingenzaun habe einen „abschreckenden, passiven
Charakter“ und bewege sich „im Rahmen der Legalität“ – davon könne si…
Kommissarin gern vor Ort überzeugen. Der Schwedin genügte das.
Vielleicht ist es am Ende die Guardia Civil, die weitere Tote verhütet: Die
Gewerkschaft von Polizei und Grenzschützern erklärte am 16. November, die
Beamten seien „den Anblick sterbender Menschen leid“, die versuchen, die
Grenze zu überqueren. „Wir sind nicht bereit, noch mehr Subsaharis zu
finden, die blutend im Stacheldraht festhängen“, schrieb sie. Die
Konfrontation mit diesen vermeidbaren Todesfällen setze die Grenzschützer
„unnötigem Stress“ aus.
5 Mar 2014
## LINKS
[1] http://concertina.es/en/
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## AUTOREN
Christian Jakob
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