# taz.de -- Ausstellung „Das neue Deutschland“: Rechts Grenzübergang, link… | |
> Das Dresdner Hygiene-Museum präsentiert die deutsche Migrationsgeschichte | |
> und thematisiert die Frage, wie sich unser Blick auf Ausländer verändert. | |
Bild: Aus Verpackungsmaterial gestaltete Sehnsuchtsikonen. | |
DRESDEN taz | Es ist eine kleine Geschichte über den Wandel durch | |
Migration. Selim Özdogan erzählt in seinem Text „Filme“, wie beim Wechsel | |
von der Türkei nach Deutschland anatolische Schmachtschinken amerikanische | |
Hollywood-Streifen als Sehnsuchtsprojektion ablösen. Der Text, ein Auszug | |
aus Özdogans Roman „Heimstraße 35“, ist Teil des Sammelbandes „Das neue | |
Deutschland. Von Migration und Vielfalt“, der anlässlich der gleichnamigen | |
Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden von Özkan Ezli und | |
Gisela Staupe herausgegeben wird. | |
Der Anspruch, der Vielfalt gerecht zu werden, zeichnet die Ausstellung aus. | |
In Deutschland leben rund 15 Millionen Menschen mit sogenanntem | |
Migrationshintergrund. Darunter fallen Asylsuchende genauso wie | |
Arbeitsmigranten aus EU-Ländern, die in Sindelfingen heimischen Kinder des | |
ehemaligen Gastarbeiters, die ehemaligen Vertragsarbeiter in Dessau oder | |
Spätaussiedler mit jüdischem Glauben. Alle Gruppen wären eigene | |
Ausstellungen wert, aber das Dresdner Museum strebt nach dem großen Wurf. | |
„Wir möchten eine Wir-Perspektive herstellen und den Begriff der Migration | |
nicht nur mit Problemen füllen“, erläutert Kuratorin Gisela Staupe. Dass | |
Deutschland Einwanderungsland ist, sei mittlerweile unstrittig. Allerdings | |
gelingt den Machern oft nur ein Kratzen an der Oberfläche. Die zahlreichen | |
Zahlen und Statistiken werden zwar ansprechend mit Bauklötzchen und großen | |
Karten dargestellt, aber es bleiben eben doch Diagramme, die auf den ersten | |
Blick nicht immer gleich verständlich sind. | |
Dramaturgisch folgt die Ausstellung dem Weg der Migrantinnen und Migranten. | |
Die Gestaltung der Ausstellung hat das Berliner raumlabor übernommen, das | |
ausgehend vom Material der Transportkiste eine ganze Stadt aus Holz | |
errichtet hat. Auf den Kisten, die im ersten Saal eine städtische Skyline | |
bilden, stehen aus Verpackungsmaterial gestaltete Sehnsuchtsikonen: ein | |
Eiffelturm aus Kaffeemilchdöschen oder eine blaue Moschee aus Milchkartons. | |
Tourismus und Migration suchen offenbar die gleichen Orte. Ob es ein | |
politisches Statement ist, dass das nigerianische Nationaltheater aus | |
Shell-Ölkanistern gebaut ist, oder ein zynischer Zufall, der mit der | |
Ermordung des Schriftstellers und gegen Shell agierenden Bürgerrechtlers | |
Ken Saro Wiwa nichts zu tun hat, bleibt offen. | |
## Subtile Kritik | |
Nach einem Grenzübergang, der auf der linken Seite in die weitere | |
Ausstellung führt, rechts aber in der Sackgasse Asylverfahren endet, sind | |
die weiteren Ausstellungsstücke urbanen Räumen zugeordnet. Der Abstecher in | |
die Asylsackgasse lohnt sich. Neben Exponaten aus Lampedusa, etwa einer | |
Figur aus Bootsresten mit dem Titel „Heilige Cäcilia von Lampedusa“, | |
zeichnet ein mit Fäden erstelltes Flussdiagramm die Möglichkeiten eines | |
Asylverfahrens sehr anschaulich nach, wobei jeder Faden einen der möglichen | |
Wege darstellt, inklusive den Enden „Tod an der Grenze“ und „Suizid“. | |
Die Kritik an den bestehenden Zuständen ist subtil aber vorhanden. | |
Problematiken der Einwanderungspolitik, etwa die Tatsache von 15 | |
verschiedenen Aufenthaltstiteln, werden dargestellt, aber nicht | |
kommentiert. | |
Ein Archiv der Migration gibt Einblicke in die mediale Entwicklung, | |
angefangen vom Gast- und Vertragsarbeiter der 60er Jahre über die | |
aufgeheizte Stimmung der 90er Jahre mit ihren Pogromen und der Verschärfung | |
des Asylrechts bis hin zu der Feststellung von Deutschland als | |
Einwanderungsland. Insbesondere die ausgestellten Schlagzeilen der | |
Bild-Zeitung – 1965 fragte sie, ob Gastarbeiter fleißiger seien als | |
Deutsche, und 1992 warnte sie angesichts der Asylsuchenden alarmistisch | |
„Die Flut steigt – Wann sinkt das Boot?“ – illustrieren den Wandel des | |
Bildes vom Ausländer und Migranten. Auch der Spiegel bemühte damals das | |
Bild vom vollen Boot. | |
## Morde in Dresden | |
Das Archiv des Wandels eröffnet den Transformationsraum des alten zum neuen | |
Deutschland. Ein Copyshop der Vorurteile spitzt Stereotype in Karikaturen | |
zu, die auf Kissen gedruckt sind – darunter auch ein Tom-Touché, der das | |
Bild des Stammtischdeutschen aufs Korn nimmt. Religiöse und wirtschaftliche | |
Fragen werden verhandelt, und ein modernes Antiquariat nimmt sich des | |
Problems des (Alltags-) rassismus an. Hier wird etwa Marwa El Sherbini und | |
Jorge Gomondai gedacht, die beide in Dresden ermordet wurden. | |
Neben Sarrazin, Zigeunersauce und problematischer Werbung ist auch der | |
Brief einer neunjährigen Deutsch-Senegalesin an die Zeit-Redaktion zu | |
lesen, den sie im Zuge der Kinderbuchdebatte im letzten Jahr geschrieben | |
hat: „Ich finde es scheiße, dass das Wort in Kinderbüchern stehen bleiben | |
soll, wenn es nach euch geht.“ Die Neunjährige sollte am Ende gewinnen. Aus | |
„Die kleine Hexe“ etwa wurden die rassistisch-kolonialen Residuen verbannt | |
und auch in diesem Text soll das inkriminierte Wort nicht auftauchen. | |
Sie ist nicht die einzige Stimme des neuen Deutschland, der in der | |
Ausstellung Raum eingeräumt wird. Über zahlreiche Videoinstallationen und | |
Audiostationen berichten nach Dresden Gezogene über ihre Erlebnisse, | |
Eindrücke, Gefühle. Dies sorgt für eine gewisse Erdung und | |
Anschlussfähigkeit des abstrakt Gezeigten. | |
Im letzten Raum wird in kurzen Video-Statements von Migranten und | |
Nicht-Migranten über die Zukunft Deutschlands sinniert. Da vermeldet die | |
Berliner Autorin Sharon Dodua Otoo: „Ich glaube, die Deutschen kriegen so | |
langsam ein Verständnis für Humor und dass sie das entwickeln und es wird | |
immer besser – ich freu mich drauf.“ Das sind doch gute Aussichten für ein | |
neues Deutschland. | |
10 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Torben Ibs | |
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