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# taz.de -- Folgekosten der deutschen AKW: VEB Atomkraft
> Die Energieindustrie will dem Staat ihre Atomkraftwerke übertragen. Wie
> soll dieser die Sozialisierung der stetig steigenden Verluste verhindern?
Bild: Bald so abgeerntet wie das Feld davor: Das AKW in Grohnde
BERLIN taz | Die Ministerin erinnerte an die Rechtslage: „Die
uneingeschränkte Verantwortung“ für den geordneten Rückzug der deutschen
Atomindustrie liege bei den Stromkonzernen, erklärte am Beginn der Woche
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Kurz zuvor waren Pläne
bekannt geworden, dass die deutschen Energiekonzerne ihr Atomgeschäft in
eine öffentliche Stiftung unter Führung des Bundes übergeben wollen.
Hendricks mahnte, die Unternehmen hätten „uneingeschränkt sämtliche Kosten
der Stilllegung, des Rückbaus sowie der Endlagerung zu tragen“.
Das ist ein frommer Wunsch. Denn der Ausstieg aus der Atomenergie wird den
deutschen Steuerzahler mit zweistelligen Milliardensummen belasten. Und er
wird wahrscheinlich deutlich teurer als bislang gedacht. Genaue
Zahlenangaben zu diesem Fass ohne Boden haben weder die Unternehmen noch
die Behörden.
Aber bereits die vorhandenen Daten zeigen nach taz-Recherchen, dass die
Kosten weit über den bisherigen Schätzungen liegen. Die Szenarien erinnern
an die Finanzkrise: Von einer „Bad Bank“ ist die Rede, Entscheidungen
werden ohne handfeste Informationen getroffen – und auf ein paar Milliarden
mehr oder weniger kommt es nicht so an.
Für Rückbau, Entsorgung und Endlagerung ihres nuklearen Kraftwerkparks
haben die vier großen deutschen Energiekonzerne gemäß den gesetzlichen
Anforderungen nach einer taz-Umfrage insgesamt 34,3 Milliarden Euro auf die
Seite gelegt: E.on 14,6 Milliarden, RWE 10, EnBW 7,7 und Vattenfall 2
Milliarden.
## Ein exklusives Geldpolster
Dieses steuerbegünstigte Kapital liegt nicht auf der Bank, sondern ist in
den letzten Jahrzehnten in neue Geschäfte investiert worden – sehr zum
Ärger der Konkurrenten etwa bei den Stadtwerken, die dieses Polster nicht
hatten. Wird dieses Geld ausreichen, um aus den deutschen Atomanlagen
wieder grüne Wiesen zu machen?
Die Konzerne verweisen darauf, dass sie die Vorschriften einhalten würden.
Ein Gutachten im Auftrag von Greenpeace kommt zu dem Schluss, die
Gesamtkosten würden bei 44 Milliarden Euro liegen, die Rückstellungen
„können ausreichen“, wenn das Kapital mit 2 Prozent verzinst werde.
Deutlich skeptischer war 2012 ausgerechnet die „Gesellschaft für Anlagen-
und Reaktorsicherheit“ (GRS), eine Art AKW-TÜV, die im Auftrag des
Bundesumweltministeriums die Broschüre „Stilllegung kerntechnischer
Anlagen“ erstellte. Darin gehen die GRS-Experten von „volkswirtschaftlichen
Gesamtkosten von ungefähr 50 Milliarden Euro“ aus – und zwar Kosten nur f�…
die Stilllegung der Anlagen. Suche, Bau und Betrieb eines Endlagers kommen
da noch obendrauf.
Die GRS summiert auch zum ersten Mal die Kosten des Atomausstiegs für den
Staat. Weil der Bund für viele Forschungs- und Prototypanlagen
verantwortlich ist, werden „die Gesamtkosten für die öffentliche Hand etwa
10 bis 15 Milliarden Euro betragen“, heißt es in dem Papier. Die Kosten
teilen sich Forschungs-, Umwelt- und Finanzministerium.
## Noch kein Cent für ein Endlager
Bisher summieren sich die Gesamtausgaben für die Atomlager in Gorleben,
Morsleben, Asse und Schacht Konrad auf runde 10 Milliarden Euro, von denen
die öffentliche Hand 7,7 Milliarden trägt. Und da ist noch kein Cent für
ein Endlager eingeplant. Wenn man dafür einen Standort erkundet, schlägt
das nach bisherigen Planungen mit etwa 400 Millionen Euro zu Buche. Was der
Bau eines Endlagers kostet, wagt weder in den zuständigen Behörden wie dem
„Bundesamt für Strahlenschutz“ (BfS) noch bei den Unternehmen jemand zu
schätzen.
Finnland, wo das weltweit erste atomare Endlager entsteht, plant dafür drei
Milliarden Euro ein – für insgesamt sieben Atomreaktoren. Deutschland hat
Abfall aus 36 Blöcken. Und was letztlich Betrieb und Bewachung eines
atomaren Endlagers für 500 Jahre kostet, diese Frage möchte erst recht
niemand gestellt bekommen. „Die Kosten sind einfach nicht absehbar“, heißt
es im Umweltministerium.
Der konservativen Gesamtrechnung von „65 plus“ Milliarden Euro für den
geordneten Rückzug aus der Atomenergie stehen die 34 Milliarden
Rückstellungen der Stromkonzerne gegenüber. Umso mehr dringen
Umweltverbände, die Opposition und die Atomgegner in der großen Koalition
darauf, dass die Konzerne nicht aus der Haftung für ihr strahlendes Erbe
entlassen werden dürfen.
## Gesprächsbereitschaft im Kanzleramt
Dass es zu Gesprächen über einen „VEB Atomkraft“ kommen wird, in dem der
Staat dieses Erbe antritt, gilt als sicher. Zwar haben die Ministerien für
Umwelt und Wirtschaft solche Pläne dementiert, aber das Kanzleramt ist
dafür offen.
Und so hat vorsichtshalber der Umweltverband BUND gleich mal die
Maximalforderung formuliert: Eine „Federführung des Staates bei Rückbau und
Endlagerung“ könne es nur geben, wenn die Konzerne alle Atomkraftwerke bis
2017 abschalteten, alle Rückstellungen plus 15 Milliarden „Risikozuschlag“
überwiesen, alle Schadenersatzklagen fallen ließen und „in unbegrenzter
Höhe“ für die Kosten hafteten, erklärte BUND-Chef Hubert Weiger. „Die
Gewinne aus der Atomkraft wurden privatisiert, die Nachfolgekosten dürfen
jetzt nicht sozialisiert werden.“
Ob das zu verhindern ist, wird angesichts der Zahlen immer fraglicher. Aber
immerhin bietet der Rückbau auch Chancen: Für die Verschrottung der Meiler
prognostiziert die Unternehmensberatung Rochus Mummert „in den nächsten
Jahrzenten einen sehr stabilen Markt“. Bei weltweit etwa 500
Atomkraftwerken und Abrisskosten zwischen 600 Millionen und einer Milliarde
Euro pro Anlage sei jetzt der „ideale Zeitpunkt für den Einstieg in dieses
strategische Geschäftsfeld“.
16 May 2014
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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