| # taz.de -- Teufelsmösen und Feminismus: Meine Pussy ist die Macht | |
| > In Brasilien nähte sich eine junge Aktivistin öffentlich die Schamlippen | |
| > zu – aus Protest gegen Ausbeutung und Unterdrückung. | |
| Bild: Die Heilige Jungfrau wurde beim Papst-Besuch in Rio profaniert. | |
| Wenn das Kunst ist, dann ist es die Kunst, sehr explizit zu werden. Und | |
| wenn es Protest ist, dann funktioniert dieser Protest. Vielleicht ist es | |
| auch nur reine Provokation, was Raíssa Vitral da mit ihren Leuten abzieht. | |
| Aber ist Provokation als Selbstzweck erlaubt? | |
| Die junge Brasilanerin ist gerade dabei, zu einer der meistgefürchteten | |
| Frauen des Landes zu werden. Pussy Riot? Femen? Für die dürfte Raíssa | |
| Vitral nur ein müdes Lächeln übrig haben. Denn in dem größten Land | |
| Südamerikas ist Vitral gerade dabei, eine neue Form des | |
| Borderline-Feminismus zu etablieren. | |
| Die Künstlerin und Aktivistin setzt dabei nicht so sehr auf Brüste – oder | |
| sagen wir Titten. Sie setzt mit ihrem Radikalfeminismus voll auf Scheide. | |
| Nein, man muss es wohl wirklich so sagen, wie es sich darstellt: Sie setzt | |
| voll auf Möse und auf Arsch. | |
| Vitral hat in aller Öffentlichkeit einen Akt der eigenen körperlichen | |
| Eroberung begonnen, der keine vermeintlichen Sittengesetze mehr einhält – | |
| und doch in seiner Darstellung dem sehr ähnelt, was viele Menschen mit | |
| Missbrauch und Unterdrückung assoziieren: Hardcore-Stuff. | |
| ## Maria in der Vagina | |
| Als der Papst im Juli letzten Jahres zum Weltjugendtag in Brasilien seine | |
| Worte an Hunderttausende streng gläubige Jugendliche aus der ganzen Welt | |
| richtete, war auch Anarchopunk Raíssa Vitral als Zaungast zugegen: Sie und | |
| ihre Leute hatten katholische Götzenbilder, Voodoopuppen und Kreuze | |
| mitgebracht, trampelten auf ihnen herum. Dann führte sich Vitral, nackt, | |
| den Kopf einer Marienstatue in die Vagina ein. Einem ebenfalls nackten, | |
| angeblich homosexuellen Mann wurde dann ein Kreuz in den Anus geschoben. | |
| Ganz materiell: Jesus – fürn Arsch. | |
| Alle durften dabei zuschauen, Fotos machen. Und dann durfte sich das gern | |
| als sinnlich beschriebene, aber doch auch prüde Brasilien in den Gazetten | |
| ein genaues Bild von den Vorgängen machen – Bilder, die in Deutschland | |
| schwieriger zu publizieren sind. Schon damals war für viele Kommentatoren | |
| klar: Was da an Brasiliens Traumstrand passierte, konnte doch nur mit dem | |
| Teufel zugehen. | |
| Tatsächlich bedienen sich Vitral & Co in ihrer Protestform den Mitteln der | |
| – in Brasilien verbreiteten – schwarzen Magie. Vergangene Woche war es | |
| wieder soweit: Auf dem Gelände der renommierten Bundesuniversität | |
| Fluminense in Rio de Janeiro lud Vitral zur Performance. Arbeitstitel: | |
| „Xereca Satânik“ – frei übersetzt: „Teuflische Möse“. | |
| ## Subversive Körperpolitik | |
| Dann veranstalteten Vitral und ein paar andere nackte Frauen Tänze, | |
| trommelten auf Mülltonnen herum, machten Feuerchen und präsentierten | |
| Totenköpfe. Laut Medienberichten soll sich Vitral anschließend selbst ihre | |
| Schamlippen zugenäht haben, und nun ist es so weit: Die Bundespolizei | |
| Brasiliens hat Ermittlungen aufgenommen, nur kann auch die Polizei bislang | |
| nicht beantworten, weshalb eigentlich. Einer Straftat hat sich offenbar | |
| niemand schuldig gemacht – und die Gruppe war an der Universität zu Gast. | |
| An der Universität ist nun eine leidenschaftliche Debatte unter Professoren | |
| entstanden und es geht um viel: um die Freiheit der Künste und der | |
| Wissenschaften, um moralische und gesetzliche Grenzen und um die Frage, was | |
| adäquate Formen sind, um zu thematisieren, was in Brasilien Alltagspraxis | |
| Zigtausender Frauen ist: Häusliche Gewalt, Missbrauch, Unterdrückung. Vor | |
| allem aber geht es um eine neue Qualität von subversiver Körperpolitik, die | |
| doch genau darauf abzielt: über Körper zu reden, über den Staat, die Frau, | |
| das Geschlecht. | |
| Als Vitral im Juli gegen den Papst und die katholische Sittenlehre | |
| demonstrierte, stand auf ihrem Körper ein Spruch: „Diese Brüste gehören dem | |
| Staat“. Heute kursiert auf Twitter und Facebook der portugiesischsprachige | |
| Hashtag [1][#MyPussyéoPoder]. Zu Deutsch: Meine Pussy ist die Macht. | |
| ## Diskurs ums Innerste | |
| Natürlich funktioniert diese Subversionspolitik, diese Mediengeschichte, | |
| weil die selbsternannten Teufelsmösen alles liefern, was in dem | |
| vermeintlich zeigefreudigen, tatsächlich zutiefst moralisierten Land | |
| gefragt ist. | |
| In Deutschland gab es mal ein Medienphänomen, das ähnlich funktionierte. | |
| Die Freaks von „Fuck for Forest“, eine Gaga-Truppe, die sich aufs Rammeln | |
| verstand und eine Porno-Seite betrieb. Damit wollte die Gruppe angeblich | |
| den Regenwald retten und ihre Befreiung feiern. Tatsächlich war nicht immer | |
| ganz klar, ob es nicht doch der Mann in der Gruppe war, der die Ansagen | |
| machte. Die zeigefreudigen Umweltaktivisten reisten sogar in den Amazonas | |
| zu Indianern und wollten sich dort mit denen ausprobieren. | |
| Die Indianer fanden das aber ebenso wenig lustig wie Leitmedien heute: der | |
| „Glitzer-Vandalismus“, der „poetischen Terrorismus“ mit dem Vitrals | |
| Unterstützergruppen für sie werben, hat es geschafft, mit wenig Aufwand die | |
| Seiten der auflagenstärksten Zeitungen zu füllen. | |
| ## Ästhetik und politische Statements | |
| Die Ästhetik ihrer Bilder und Performances ist roh, die intellektuellen | |
| Anknüpfungspunkte sollen aber wohlfundiert sein: Rosa Luxemburg, Simone de | |
| Beauvoir, Michail Bakunin, Salvador Dalí, Quentin Tarantino, Lars von | |
| Trier. | |
| „Die Welt muss von allen Formen der Unterdrückung und Ausbeutung befreit | |
| werden“, rufen nun also Raíssa Vitral und ihre Teufelsfrauen. Ihren Gegnern | |
| werfen sie großbürgerlichen Moralismus vor, und dann fordern sie ein Recht | |
| auf körperliche Unversehrtheit, Schutz vor Gewalt und sexuellem Missbrauch. | |
| Man erinnere sich: Was diskutierten in Deutschland landauf und landab | |
| Männer und Frauen und alle anderen Menschen über die Frage: Sollen Frauen | |
| heute wieder ihre Brüste raushängen? Ist das der neue, schöne Feminismus? | |
| Brasilien diskutiert da im Moment noch etwas mehr. Hier geht’s nicht um | |
| Brüste, hier geht es, im wahrsten Sinne des Wortes, um das Innerste. | |
| 8 Jun 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://twitter.com/hashtag/mypussy%C3%A9opoder?src=hash | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Kaul | |
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