| # taz.de -- Femen-Aktivistin über Protest: „Das sind nicht meine Brüste“ | |
| > An Weihnachten sprang Josephine Witt auf den Altar des Kölner Doms und | |
| > präsentierte ihre Brüste. Sie erzählt, warum sie das gemacht hat und was | |
| > sie erreichen will. | |
| Bild: Kann auch brav: Josephine Witt. | |
| taz: Frau Witt, würden Sie uns Ihre Brüste zeigen? | |
| Josephine Witt: Nein. Die Brüste sind exklusiv für unseren Protest gedacht. | |
| Die ganze Welt hat Weihnachten, als Sie auf dem Altar in Köln standen, auf | |
| Ihre Brüste geguckt. Wie fühlt sich das an? | |
| Darüber habe ich so noch nie nachgedacht, weil ich mich im Protest nicht | |
| als Privatperson und schon gar nicht als Objekt sehe. Das sind nicht meine | |
| Brüste, die die ganze Welt sieht, sondern ich bin die Überbringerin des | |
| Protests. Es geht mir um eine feministische Strategie, die ich für clever | |
| halte. | |
| Inwiefern clever? | |
| Den Oberkörper frei zu machen, ist ein unmittelbarer Akt der Befreiung: | |
| „Hier ist mein bares Ich, unverfälscht und gewaltfrei.“ Wir reduzieren uns | |
| nur auf unser Frausein. Der nackte Oberkörper der Frau hat etwas sehr | |
| fruchtbares, sehr lebensspendendes. Zum Beispiel mein Protest gegen das | |
| Frauenbild der Kirche. Dass die Jungfrau das heiligste Dasein einer Frau | |
| sein könnte – das ist für uns sehr problematisch. Ich wollte das | |
| tabuisierte und stark sexualisierte Frauenbild dort zeigen. In meinem | |
| Glaubensbekenntnis heißt es: „Ich glaube an die freie selbstbestimmte Frau, | |
| Schöpferin der Menschheit auf Erden.“ | |
| Und was haben Sie konkret im Dom erreicht? | |
| Zunächst mal habe ich eine Anzeige wegen Störung der Religionsausübung | |
| bekommen. Das Strafmaß dafür beträgt bis zu drei Jahren. Drei Jahre! Ganz | |
| Deutschland regt sich darüber auf, dass Pussy Riot zwei Jahre ins Gefängnis | |
| kommen. Aber hier kann man für dasselbe Vergehen drei Jahre bekommen. Das | |
| ist wieder ein Zeichen dafür, dass Religion und Staat in diesem Land zu | |
| wenig getrennt sind. Man darf Grundrechtsverletzungen unter dem Deckmantel | |
| der freien Religionsausübung begehen. Denken Sie an die Beschneidung von | |
| kleinen Jungen. Das ist Körperverletzung. | |
| Von Ihrem feministischen Glaubensbekenntnis habe ich nichts gelesen. | |
| Ich habe es allen geschickt, die mich interviewt haben, aber kaum jemand | |
| hat es veröffentlicht. | |
| Dann kommen von Ihren Botschaften nur die Brüste an, das Anliegen dahinter | |
| aber nicht. | |
| Das glaube ich nicht. Es stimmt, dass die Medien, gerade die | |
| Boulevardmedien, mit unseren Bildern machen, was sie wollen. Aber es gibt | |
| natürlich einen Unterschied zwischen den herkömmlichen Busenbildern und | |
| unseren. Jeder Mensch kann sehen, dass unsere Bilder nicht sexualisiert | |
| sind. | |
| Bekommen Sie unangenehme Post, die Sie doch sexualisiert? | |
| Kaum. Es herrscht bei vielen Männern ein eher väterlicher Ton. Was mich | |
| schockiert hat, waren die Mails von Frauen, die mir zu einer | |
| Brustvergrößerung rieten. Sie meinen, dass meine Brüste zu klein seien, um | |
| sie zu präsentieren. | |
| „Unser Ziel ist der Sturz des Patriarchats“, haben Sie kürzlich gesagt. Was | |
| genau wollen Sie stürzen? | |
| Wir kämpfen gegen Diktatur, Religion und Sexindustrie, und damit sind wir | |
| einzigartig. Wir sehen uns als Frauen, die sich freikämpfen und die | |
| zugleich andere Unterdrückungsmechanismen thematisieren, Diktatur zum | |
| Beispiel. Wir wollen über mehr sprechen als etwa über Abtreibung. Wir | |
| stellen Zusammenhänge her, die weltweite Ungerechtigkeiten zeigen. Wir | |
| wirken international. Die Brüste gelten dabei als Symbol der Befreiung, das | |
| alle Frauen verbindet. | |
| Und wie genau stellen Sie sich den „Sturz“ vor? | |
| Das Ziel des Protests ist es erstmal die Masken runter zu reißen. Ich stehe | |
| auf dem Altar. Ich werde runtergeworfen, jemand gibt mir zwei Ohrfeigen. | |
| Ich falle auf den Boden, werde getreten, und von den, ach so friedlichen | |
| Priestern weggeschleift. So, sagen diese Bilder, das ist eure Gesellschaft. | |
| Und die Leute, die das sehen, gehen vielleicht doch auch wegen solcher | |
| Aktivistinnen wie Occupy, Pussy Riot oder eben uns auf die Straße. | |
| Aber solche Protestformen verkommen doch sehr leicht zum Ritual. Am 1. Mai | |
| geht man raus, wirft ein paar Steine und fühlt sich revolutionär, weil die | |
| Polizei mit Gewalt reagiert. Daraus folgt überhaupt nichts. | |
| Wir sind gewaltfrei. Wir fordern niemanden zur Gewalt auf. | |
| Ach. Ihre Gründerin Alexandra Schewtschenko redet von Gewalt, davon, dass | |
| Männerblut fließen wird, dass Sie Soldatinnen einer Armee sind … | |
| Das waren doch nur Scherze. Sie hat das der Zeit erzählt, und dabei | |
| gelacht. Der Journalist hat dann gedacht, dass es natürlich mehr knallt, | |
| wenn man das als Ernst präsentiert. | |
| „Das Ziel ist das Matriarchat“, sagte Schewtschenko noch. Auch so ein Witz? | |
| Ja, das war derselbe Kontext. Wir sind gegen jede Form von Unterdrückung. | |
| Geht die Unterdrückung von Frauen aus, ist das genauso schlecht. Mit einer | |
| Angela Merkel ist uns überhaupt nicht geholfen. Wir finden es sogar | |
| unerträglich, dass Feministinnen sie feiern, obwohl sie keine Frauenpolitik | |
| macht. | |
| Und was fordern Sie konkret in Deutschland? | |
| Vor allem muss das Betreuungsgeld weg. Wir sind für die Quote. Wir wollen | |
| dass die Sexindustrie diskutiert wird. Es ist skandalös, dass Hamburg mit | |
| Prostitution Werbung macht. Der Kauf von Sex ist eine | |
| Menschenrechtsverletzung, die millionenfach in Deutschland vorkommt. | |
| Warum haben Sie mit dem KZ-Spruch „Arbeit macht frei“ gegen die | |
| Bordellmeile Herbertstraße in Hamburg protestiert? | |
| Das war eine Provokation. Das Tor in der Herbertstraße ist 1933 von den | |
| Nazis errichtet worden. Frauen und Kinder dürfen seitdem die Herbertstraße | |
| nicht betreten. Wir wollen, dass dieses Nazi-Tor in Hamburg verschwindet. | |
| Es haben sich auch keine Holocaust-Opfer oder Angehörige bei uns gemeldet, | |
| die den Holocaust verharmlost sahen. | |
| Viele Feministinnen wollen Prostituierte eher unterstützen, als ihnen das | |
| Leben noch schwerer zu machen. | |
| Viele Frauen machen diese Arbeit nicht freiwillig. Der Körper ist keine | |
| Ware. Der Staat muss die Würde der Frau schützen. | |
| Und Sie meinen, Prostituierte hätten keine Würde? | |
| So, wie die Arbeit einer durchschnittlichen Prostituierten abläuft, ist sie | |
| entwürdigend. | |
| Und wenn sie anders ablaufen würde, wäre sie nicht entwürdigend? | |
| Ja. Dann wäre es vielleicht ein Ausbildungsberuf mit Stundensätzen wie die | |
| von Anwälten. | |
| Aber dafür müssten Sie Prostitution regulieren und nicht verbieten, wie | |
| Femen das will. | |
| Ja, aber das ist eine entfernte Vision. Im Moment ist es ein Geschäft mit | |
| Frauenkörpern. Das kritisieren wir. | |
| Eine andere Gruppe fühlt sich von Ihnen angegriffen: die Musliminnen. Sie | |
| werfen Ihnen Rassismus vor, weil Sie so pauschal gegen den Islam wettern. | |
| Zunächst haben wir uns einfach mit Amina Tyler solidarisiert. Sie hat in | |
| Tunesien topless demonstriert, und es gab Fatwas, die zu ihrer Steinigung | |
| aufriefen. Deshalb sind wir vor viele Moscheen gegangen. | |
| Muslimische Feministinnen fühlen sich bevormundet. | |
| Aber wir bevormunden niemanden. Es sind die Frauen aus muslimischen | |
| Ländern, die bei Femen mitmachen wollen. Hätte es Femen schon gegeben, als | |
| Frankreich die Burka verbot, wir hätten dagegen protestiert. Es ist | |
| offenbar einfacher, uns zu kritisieren, als mal nachzuschauen, warum solche | |
| Fatwas und solche Verhaftungen möglich sind. Wo war die Solidarität der | |
| Musliminnen mit Amina? | |
| Amina hat sich von Femen distanziert. Wie kommt das? | |
| Sie war in Tunesien isoliert. Die einzige Gruppe, die ihr half, eine kleine | |
| NGO, meinte, sie sei ohne eine Distanzierung in Tunesien nicht mehr sicher. | |
| Aber nun ist sie im Exil in Paris und braucht erstmal Ruhe. | |
| Dürfen Männer noch bei Femen mitmachen? | |
| Männer durften immer mitmachen. | |
| Auch nach der Erfahrung mit Viktor Swjatski, der sich in Kiew prompt als | |
| Chef gerierte? | |
| Viktor war älter und hatte als Politologe viel Know-how. Er hatte sehr | |
| viele Ideen, die er selbst nicht ausführen konnte, weil er eben nicht | |
| topless demonstrieren kann. Zeitweise hatte er deshalb viel Kontrolle. | |
| Und die Frauen haben sich untergeordnet, weil man das in der Ukraine so | |
| macht. So ähnlich klang die Erklärung von Alexandra Schewtschenko. | |
| Das war ein selbstkritischer Satz: Vielleicht haben wir das nicht früh | |
| genug erkannt, weil wir auch so aufgewachsen sind. | |
| Darf auch eine kleine, dicke Frau, deren Brüste etwas hängen, bei Ihnen | |
| mitmachen? | |
| Es hat zugegeben manchmal einen größeren Effekt, wenn Frauen aussehen wie | |
| Sexobjekte und dann dieses Bild durch ihren Protest unterlaufen und als | |
| selbstbestimmte rebellierende Frauen auftreten. So ist beim | |
| Barbie-Dreamhouse-Protest mit Klara jemand aufgetreten, die selbst | |
| „Blondine“ ist. Aber es gab auch schon eine über 60-jährige Frau oder ein… | |
| die sicher als übergewichtig wahrgenommen wird, im Zentrum eines Protestes. | |
| Wir sehen alle sehr unterschiedlich aus. Jede ist willkommen! | |
| 20 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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