# taz.de -- Weibliche Politik: Sind Frauen weniger machtgeil? | |
> Eine Kanzlerin, fünf von 15 Kabinettsmitgliedern eine Frau: Der Berliner | |
> Politikbetrieb ist weiblich wie nie. Trotzdem schreckt er manche ab. | |
Bild: Andrea Nahles ist die mächtigste SPD-Frau im Kabinett. Manche sagen: das… | |
Die 39 Jahre alte Sozialdemokratin Marie Juchacz betritt das Podium des | |
Parlaments. Sie bringt sich am Pult in Position und beginnt zu reden: | |
„Meine Herren und Damen!“ Einige Abgeordnete kichern, ein Raunen geht durch | |
den Saal mit den hölzernen Sitzbänken. | |
Die [1][Rede von Marie Juchacz] am 19. Februar 1919 ist die erste Ansprache | |
einer Parlamentarierin in Deutschland. Unter den 423 Abgeordneten der neu | |
gewählten Nationalversammlung tagen erstmals in der deutschen Geschichte | |
auch 41 Frauen. Das ist es, was einigen daran so lustig vorkommt. „Meine | |
Herren und Damen!“ Was für eine Anrede. | |
Es dauerte mehr als 60 Jahre bis ein Frauenanteil wie dieser wieder mit 9,6 | |
Prozent im deutschen Parlament erreicht wurde. Nach der Wahl zum | |
westdeutschen Bundestag 1983 lag er erstmals darüber, mit 9,8 Prozent. | |
Einen großen Rückschlag hatte die deutsche Emanzipationsbewegung im | |
Nationalsozialismus erlitten. Frauen hatten dort keine Posten inne – mit | |
Ausnahme der Reichsfrauenführerin. | |
Es ist nicht so, dass Männer im Parlament nicht mehr höhnen, wenn Frauen | |
reden, aber eine Episode wie die von Marie Juchacz wirkt von heute aus | |
betrachtet sehr historisch. Die Bundeskanzlerin ist eine Frau und hat schon | |
ihr drittes Kabinett gebildet, kurz: Merkel III. Darin stellen Frauen fünf | |
der 15 Kabinettsposten. Frauen füllen ein gutes Drittel der Sitze im | |
Bundestag. In Wahlen sind sie sogar erfolgreicher als die Männer: nur 25,8 | |
Prozent der Bewerberinnen und Bewerber bei der vergangenen Bundestagswahl | |
waren Frauen, sie errangen aber 36,5 Prozent der Sitze. | |
Trotzdem ist es immer noch eine Besonderheit, was die größte deutsche | |
Tageszeitung an diesem Donnerstag auf ihrer Seite Drei erzählt: Dass in | |
Rheinland-Pfalz und im Saarland in den kommenden Landtagswahlen wohl nur | |
Frauen als Spitzenkandidatinnen gegeneinander antreten. | |
## | |
Liegt es an unserer Gesellschaft, an eingefahrenen Männer-Strukturen, die | |
es Frauen immer noch zu schwer machen, ganz nach oben zu kommen? | |
Oder sind Frauen einfach weniger ambitioniert, wenn es um das Erringen von | |
Führungspositionen geht? Etwas positiver formuliert: Sind Frauen weniger | |
machtgeil? | |
Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Jennifer Lawless hat sich in | |
ihrer Studie | |
[2][//www.american.edu/spa/wpi/upload/girls-just-wanna-not-run_policy-repor | |
t.pdf&ei=d-GrU8vfHMnkOarzgKAM&usg=AFQjCNHUkA2ZjrXgBgimNMQpim1uv_dNwQ&bvm=bv | |
.69837884,d.ZWU:„Girls Just Wanna Not Run“] mit Fragen wie diesen befasst. | |
Für die American University in Washington D.C. Befragte sie 2.100 | |
Studentinnen und Studenten zu ihren politischen Ambitionen. Lawless sagt im | |
Interview mit der taz.am wochenende, Frauen ließen sich häufig davon | |
abschrecken, dass ihnen immer wieder eingeredet wird, sie hätten es | |
schwerer als ihre männliche Konkurrenz. „Sie denken: Frauen müssen doppelt | |
so hart arbeiten wie Männer, um halb so weit zu kommen.“ Das mindere ihre | |
Motivation, sich überhaupt auf ein politisches Amt zu bewerben. | |
Es ist Lawless zufolge also gar nicht unbedingt das politische System, | |
sondern der Eindruck des politischen Systems, der hemmt. Deshalb könne sich | |
das weibliche politische Personal nur aus einem kleinen Kreis ehrgeiziger | |
Anwärterinnen rekrutieren. Der überschaubare Anteil von Kandidatinnen bei | |
der Bundestagswahl scheint das zu bestätigen. | |
## | |
In der [3][taz.am wochenende vom 28./29. Juni] porträtiert | |
taz-Parlamentskorrespondentin Anja Maier vier der mächtigsten Frauen des | |
Berliner Politikbetriebs: Ursula von der Leyen, Andrea Nahles, Sahra | |
Wagenknecht und Katrin Göring-Eckardt. Nach Merkel ist von der Leyen die | |
wichtigste CDU-Frau im Kabinett, Nahles ist als Arbeitsministerin die | |
mächtigste SPD-Vertreterin neben Sigmar Gabriel. Die Opposition im | |
Bundestag wird von Katrin Göring-Eckardt und Sahra Wagenknecht geführt, vor | |
der zurzeit nur noch Gregor Gysi steht. Anja Maier hat diese vier Frauen | |
getroffen, um ihnen die Machtfrage zu stellen. | |
Wie haben sie nach ihren Ämtern gegriffen? Wie versuchen sie, ihre Macht zu | |
halten? Unterscheidet sie etwas von ihren männlichen Kollegen? | |
Drei der vier sind Mütter, zusammen haben sie zehn Kinder. Damit stellen | |
sie innerhalb des politischen Geschäfts immer noch eine Ausnahme dar. | |
Weibliche Abgeordnete haben in Deutschland [4][laut Deutschem Bundestag] | |
seltener Kinder und sind häufiger ledig als ihre männlichen Kollegen. In | |
einer Zeit, in der die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere als zentrales | |
Thema erscheint, geht die Politik nicht unbedingt mit gutem Beispiel voran. | |
Was Maier in ihren Recherchen zu den Machthaberinnen feststellt: Bei der | |
Frage, ob eine Frau nach oben will und nach oben kommt, kommt es auch sehr | |
stark auf die Familie an. Wie viel Selbstbewusstsein hat eine von zu Hause | |
mitbekommen? Wie selbstverständlich war es da, dass Frauen mitbestimmten? | |
Für von der Leyen, die Tochter eines niedersächsischen Ministerpräsidenten, | |
war Macht wohl immer etwas Natürlicheres als für andere. Sie hat auch stets | |
über welche verfügt: „Ich hatte die Riesenfortune, nie in der Opposition zu | |
sein.“ | |
## "Wo war eigentlich damals euer Problem?" | |
Aufmerksam verfolgt sie die Quoten-Diskussion, die gerade wieder aufflammt: | |
„Bei der Frauenquote hoffe ich einfach, dass meine Töchter eines Tages | |
sagen: Mama, wo war eigentlich damals euer Problem?“ | |
[5][Pläne der Familienministerin] und des Justizministers sehen vor, ab | |
2016 für börsennotierte Unternehmen eine Quote von 30 Prozent einzuführen – | |
bei ihren Führungskräften. Wirtschaftsvertreter wehren sich. | |
An der Spitze anzusetzen, könnte aber vom falschen Ende her gedacht sein. | |
Die Förderung, schließt Jennifer Lawless aus ihrer Studie, müsse schon | |
damit beginnen, dass im Elternhaushalt politische Themen diskutiert werden. | |
Das sei eine wichtige Voraussetzung für spätere Ambitionen. Außerdem | |
müssten Eltern ihren Kindern vermitteln, dass es eine Bürgerpflicht sei, | |
sich politisch zu beteiligen. Hier besteht laut Lawless der große | |
Unterschied zwischen den Geschlechtern: „Auch zu Hause ist es leider so, | |
dass die meisten Eltern ihre Töchter seltener dazu ermutigen, zu | |
kandidieren.“ | |
Glauben Sie auch, dass Frauen sich von ihrer gefühlten Chancenlosigkeit | |
entmutigen lassen? Oder fehlt ihnen der nötige Biss, um sich im politischen | |
Betrieb zu behaupten? Wie kommen mehr Frauen in Spitzenpositionen? Quote, | |
Kitas, Netzwerke? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Anja Maiers Titelgeschichte „Danke, wir übernehmen“ lesen Sie [6][in der | |
taz.am wochenende vom 28./29. Juni 2014]. | |
27 Jun 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/49494782_kw07_kalenderbla… | |
[2] http://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&a… | |
[3] /Ausgabe-vom-28/29-Juni-2014/!141204/ | |
[4] http://www.bundestag.de/blob/272482/7b9c04d6cab6302ea8f5141c7f950fd7/kapite… | |
[5] /Gleichstellung-in-der-Wirtschaft/!140809/ | |
[6] /Ausgabe-vom-28/29-Juni-2014/!141204/ | |
## AUTOREN | |
Ruth Asan | |
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