# taz.de -- Forscherin über Frauen und Macht: „Man muss siegen wollen“ | |
> Dass weibliche Politikerinnen weniger Erfolg haben als Männer, sei ein | |
> Mythos. Das behauptet zumindest die Forscherin Jennifer Lawless. | |
Bild: Sie wollte immer gewinnen: Hillary Clinton. | |
taz: Frau Lawless, Nancy Pelosi, Condoleeza Rice, Hillary Clinton: In der | |
US-amerikanischen Politik sieht man lauter starke Frauen. Gibt es heute | |
überhaupt noch ein Frauen-Problem in der Politik? | |
Jennifer Lawless: Ja. Frauen sind nicht weniger an Politik interessiert als | |
Männer, sie engagieren sich auch nicht weniger. An den meisten politischen | |
Handlungen nehmen sie ebenso teil wie Männer. Wo wir aber eine Kluft sehen, | |
ist bei der Bewerbung um politische Ämter. Also in den politischen | |
Ambitionen. | |
Obwohl es so viele Gegenbeispiele gibt? | |
Auch wenn es durchaus hochrangige Politikerinnen gibt – sie sind noch immer | |
eine Anomalie. Nehmen wir nur mal den amerikanischen Kongress: Nur etwa 18 | |
Prozent der Abgeordneten sind Frauen. Außerdem: Nur fünf von 50 | |
amerikanischen Bundesstaaten haben weibliche Gouverneure, 85 Prozent der | |
größten Städte haben männliche Bürgermeister. Wir sehen einen gewissen | |
Fortschritt, aber der ist der sehr langsam und hat jetzt ein Plateau | |
erreicht. | |
Ist die Lage international genauso schlecht wie in Amerika? | |
Da gibt es deutliche Unterschiede. Man muss sich nur mal die Anzahl von | |
Frauen in den Parlamenten anschauen. In einem globalen Ranking der Inter | |
Parliamentary Union erreichten die USA gerade einmal Platz 90. | |
Andere Länder schneiden wesentlich besser ab, auch nicht-westliche. Ruanda | |
gewinnt regelmäßig, dort sind fast 64 Prozent der Abgeordneten Frauen. Auch | |
in Kuba, Schweden und Südafrika stellen Frauen über 45 Prozent der | |
Abgeordneten. Woran liegt das? | |
Viele dieser Länder haben Frauenquoten. In Ruanda zum Beispiel gibt es eine | |
50-Prozent-Quote. Andere Länder haben sehr starke Parteiensysteme. | |
Was bedeutet das? | |
Man kann das so erklären: Hier in den USA haben wir ein sehr schwaches | |
Parteiensystem. Jeder, der möchte, kann sich auf ein politisches Amt | |
bewerben. Dafür müssen die Kandidaten dann aber auch ihr eigenes Netzwerk | |
aufbauen, selber Unterstützer anwerben und Sponsoren finden, die ihren | |
Wahlkampf finanzieren. Erst wenn man es durch die Vorwahlen geschafft hat, | |
entscheidet die Partei, ob sie einen Kandidaten unterstützt. | |
Frauen schneiden also immer dann besser ab, wenn sie eine Parteistruktur | |
hinter sich wissen? | |
Es braucht natürlich ein Engagement seitens der Partei, damit die Namen | |
weiblicher Kandidaten auch wirklich auf den Listen auftauchen. | |
Andererseits: Wenn eine Partei besonders gut darin ist, Frauen zu fördern, | |
dann ist das auch ein Anreiz für die anderen Parteien, nachzuziehen. | |
Der andere wichtige Faktor, den Sie erwähnten, war die Quote. Wenn es in | |
Ruanda so gut funktioniert - sollten dann nicht alle Länder eine Quote | |
einführen? | |
Das hängt davon ab. Quoten lösen ein Problem, das wir in den Vereinigten | |
Staaten nicht haben: ein Probleme mit der Nachfrage. Das existiert nur | |
dann, wenn die Wähler Frauen nicht wählen wollen. Dieses Problem ist | |
gelöst, wenn man per Quote festlegt, welche Kandidaten antreten. Das ist in | |
den USA aber nicht der Fall. Hier haben wir ein anderes Problem: Frauen | |
kandidieren nicht. Die wenigen, die es tun, schneiden genauso gut ab wie | |
Männer. Sie gewinnen genauso viele Wahlen, können genauso gut Gelder | |
einwerben und werden in den Medien ebenso häufig erwähnt. | |
Das heißt: Frauen, die kandidieren, sind durchaus erfolgreich. Ist das kein | |
Anreiz für mehr Frauen, zu kandidieren? | |
Die meisten Leute wissen schlicht nicht, dass Frauen genauso erfolgreich | |
sind wie Männer. Wahrnehmung und Realität klaffen hier weit auseinander. | |
Eine überwältigende Mehrheit der Frauen glaubt, dass Frauen viel weniger | |
Erfolg in der Politik haben. Sie denken: Frauen müssen doppelt so hart | |
arbeiten wie Männer, um halb so weit zu kommen. Oder dass das System sie | |
benachteiligt. Und das mindert natürlich die Motivation, sich auf ein | |
politisches Amt zu bewerben. | |
Wie lässt sich dieses Problem lösen? | |
Einerseits, indem die Parteien mehr Frauen ermuntern, sich als Kandidaten | |
zu bewerben. Auf Zuspruch von Parteikollegen reagieren Frauen genauso | |
positiv wie Männer. Leider erhalten Frauen diesen Zuspruch aber viel | |
seltener erhalten als Männer. Außerdem muss man darüber informieren, dass | |
Frauen Wahlen gewinnen. Man muss den Mythos bekämpfen, dass Frauen | |
politisch erfolglos sind. | |
Gibt es noch andere Gründe dafür, warum Frauen sich nicht auf politische | |
Ämter bewerben? | |
In weiteres Problem liegt darin, wie Frauen ihre eigenen Kompetenzen | |
wahrnehmen. Frauen, die auf dem Papier genauso qualifiziert sind wie | |
Männer, bewerben sich viel seltener. | |
Warum? | |
Weil sie mehr an ihrer Eignung zweifeln. Und sie lassen sich durch diese | |
Selbstzweifel viel häufiger davon abhalten, sich zur Wahl zu stellen. Hinzu | |
kommt, dass die Frauen glauben, sie müssten doppelt so gut sein wie Männer. | |
Diese beiden Faktoren zusammen führen dazu, dass der Mythos, Frauen würden | |
nicht gewählt werden, sich immer weiter verfestigt. | |
Ihre Studie zeigt, dass Eltern großen Einfluss darauf haben, ob Frauen | |
kandidieren. Wird Macht vererbt? | |
Wenn Sie in einem politisierten Haushalt aufwachsen, dann ist es viel | |
wahrscheinlicher, dass Sie später kandidieren. Mit einem politischen | |
Haushalt meine ich: Dass die Eltern sich über Politik unterhalten, mit den | |
Kindern wählen gehen. Kurz: Ihnen vermitteln, dass es Teil ihrer | |
Bürgerpflicht ist, sich politisch zu beteiligen. Das ist immer wichtig – | |
egal, ob sie ein Mann oder eine Frau sind. Aber auch zu Hause ist es leider | |
so, dass die meisten Eltern ihre Töchter seltener dazu ermutigen, zu | |
kandidieren. | |
Außer, wenn ihre Eltern oder Ehemänner selbst Politiker sind. Viele | |
erfolgreiche Politikerfrauen scheinen aus bekannten Politikerdynastien zu | |
kommen. Man denkt an Hillary Clinton, Cristina Kirchner oder Indira Gandhi. | |
Hat weiblicher Erfolg mehr mit der Schicht zu tun, als bei Männern? | |
Es gibt sicherlich einen Zusammenhang zwischen der Herkunft und der | |
Wahrscheinlichkeit, zur Wahl anzutreten. Allerdings trifft das nicht | |
genauso auf Männer zu. Die Frauen, die wir in früheren Studien untersucht | |
haben, kommen ohnehin schon aus einem relativ privilegierten Milieu. Das | |
war wichtig, da auch die meisten männlichen Politiker aus dieser Schicht | |
kommen. Der Gender Gap existiert in dieser Gruppe trotzdem. Es gibt keinen | |
Grund anzunehmen, dass das in anderen sozioökonomischen Schichten anders | |
ist. | |
Sie zeigen, dass Frauen, die kompetitiv Sport treiben, häufiger | |
kandidieren. Was hat Sport mit Politik zu tun? | |
Wir sehen das so: Jemand, der sich gerne in nicht-politischen Bereichen mit | |
anderen misst, ist auf den politischen Wettkampf besser vorbereitet. So ein | |
Mensch wird sich durch den Wettkampf sogar noch angestachelt fühlen und | |
über sich selbst hinauswachsen. Wenn man sich in diesem Umfeld wohlfühlt, | |
macht es das einfacher, sich auf ein politisches Amt zu bewerben. Diesen | |
Effekt können wir auch bei anderen Aktivitäten beobachten: | |
Mathe-Olympiaden, Debattierklubs, Schülerpolitik. | |
Weil all diese Aktivitäten Fähigkeiten trainieren, die in der Politik | |
wichtig sind? | |
Ja. In diesen Aktivitäten gibt es klare Gewinner und Verlierer. Man wird | |
dafür belohnt, Risiken einzugehen und zu gewinnen und man lernt, ein guter | |
Verlierer zu sein. Ein junger Mensch, der hier ein positives Verhältnis zum | |
Wettbewerb entwickelt, wird sich später auch von politischen | |
Konkurrenzkämpfen weniger eingeschüchtert fühlen. | |
Sind nicht andere Fähigkeiten in der Politik viel wichtiger: Überzeugend | |
argumentieren, gut verhandeln können, kompromissbereit sein? | |
Hier muss man unterscheiden. Wir haben untersucht, welche Faktoren | |
begünstigen, dass Frauen sich zur Wahl stellen. Nicht, welche Fähigkeiten | |
sie zu guten Politikerinnen machen. Das sind zwei unterschiedliche | |
Kompetenzen. Man braucht andere Fähigkeiten, um gewählt zu werden, als man | |
braucht, um gut zu regieren. Eben deshalb sind die Amerikaner ja momentan | |
so genervt von ihren Politikern: Weil die nicht zusammenarbeiten können, | |
kriegt der Kongress nie irgendetwas zustande. | |
Heißt das, dass Männer besser Wahlen gewinnen und Frauen besser regieren? | |
Eher andersherum. Wir haben ja bereits gezeigt, dass Frauen und Männer | |
gleich gut darin sind, Wahlen zu gewinnen. Es könnte aber sein, dass Frauen | |
besser darin sind, zu regieren. Jetzt muss diese Botschaft nur noch an die | |
Öffentlichkeit gelangen – dann haben wir vielleicht endlich genügend | |
Kandidatinnen! Nein, im Ernst: Beide Fähigkeiten sind wichtig, um als | |
Politiker Erfolg zu haben. Man muss siegen wollen und hinterher bereit | |
sein, Kompromisse zu machen. | |
Machen Frauen überhaupt anders Politik als Männer? | |
Es gibt US-amerikanische Studien, die zeigen, dass Politikerinnen auf | |
bundesstaatlicher Ebene kooperativer sind als ihre männlichen Kollegen. Sie | |
haben mehr Interesse daran, Koalitionen einzugehen und sich Verbündete zu | |
suchen. Vergleichbare Studien auf nationaler Ebene konnten solche | |
Unterschiede nicht nachweisen. Das könnte folgendes bedeuten: Politiker, | |
die es bis in die höchsten Ebenen der Politik schaffen, sind sich | |
untereinander ähnlicher, als Frauen oder Männer untereinander. | |
Wenn die Verhaltensmuster der mächtigen Politiker ohnehin so ähnlich sind - | |
brauchen wir dann überhaupt mehr Frauen in der Politik? | |
Ja - weil einer demokratischen Regierung sonst schlicht die Legitimität | |
fehlt. Wenn 52 Prozent der Wähler weiblich sind und über 50 Prozent der | |
Bürger mit College-Abschluss Frauen sind, dann werden die doch nicht von | |
einem Repräsentantenhaus vertreten, indem zu 80 Prozent Männer sitzen. Für | |
mich bedeutet dieser Widerspruch, dass das System nicht offen ist, dass es | |
nicht inklusiv ist. Außerdem widersprechen solche Zustände den einfachsten | |
Grundsätzen der Gerechtigkeit. | |
Es geht dabei aber nicht nur um Gerechtigkeit. Setzen Frauen nicht auch | |
eine bessere Politik für Frauen durch? | |
Ich bin da zynisch. Ich denke, es wird sich wenig verändern, zumindest auf | |
der nationalen Ebene. Aus zwei Gründen: Zum einen, weil wir hier in den USA | |
extrem polarisierte Verhältnisse haben. Das bedeutet: Wie ein Abgeordneter | |
abstimmt, hat fast ausschließlich damit zu tun hat, ob er Republikaner oder | |
Demokrat ist. Ob Frau oder Mann – die Parteilinie wird eingehalten. Wenn | |
das politische System weniger gespalten wäre, gäbe es vielleicht mehr | |
Moderate auf beiden Seiten. Dann könnte man hoffen, dass das zu einer | |
liberaleren Frauen- und Familienpolitik führt. | |
Und was ist der zweite Grund? | |
Im US-amerikanischen System ist Seniorität einer der wichtigsten Faktoren. | |
Das bedeutet: Selbst wenn wir jetzt auf einmal lauter weibliche Kandidaten | |
hätten, dann würde es noch lange dauern bis die in den wichtigen Positionen | |
ankommen. | |
Politiker zu sein, ist nicht unbedingt ein attraktiver Job. Man arbeitet | |
sehr viel und gerät ständig in die Kritik. Auch viele Männer haben darauf | |
keine Lust mehr. Muss sich nicht statt den Frauen viel mehr das Berufsbild | |
anpassen? | |
Darauf habe ich nur eins zu entgegnen: Wo soll sich das ändern, wenn nicht | |
am Verhandlungstisch? Hier werden die Entscheidungen gemacht. Wenn Frauen | |
etwas ändern wollen, dann müssen sie dahin. Der Politikerberuf ist in der | |
Tat weder für Frauen noch für Männer besonders attraktiv. Trotzdem sagen | |
Männer viel häufiger: „Auch wenn ich nicht gerade scharf darauf bin, mache | |
ich es.“ Jetzt müssen wir es schaffen, dass Frauen genauso denken. | |
28 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Julia Ley | |
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