# taz.de -- Özkan und Amtsberg über weibliche Politik: „Frauen sind überle… | |
> Die grüne Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg und Niedersachsens | |
> Ex-Sozialministerin Aygül Özkan über die Streitkultur von Frauen im | |
> politischen Betrieb. | |
Bild: Definitiv konfliktfreudige Frauen: eines der von der taz nord erbetenen K… | |
taz: Frau Amtsberg, Frau Özkan, Sie haben beide sofort einem Interview über | |
das Konfliktverhalten von Frauen zugestimmt. Gibt es Redebedarf? | |
Luise Amtsberg: Ich habe schon Eindrücke aus meinen ersten Monaten im | |
Bundestag. Ich war auf all die Widrigkeiten gefasst, die einem so begegnen | |
können – auch weil man eine Frau ist. | |
Und wie ist es? | |
Amtsberg: Es gibt viele Begegnungen, bei denen das Geschlecht keine Rolle | |
spielt. Daher greifen auch simple Zuschreibungen von männlichen und | |
weiblichen Verhaltensformen nicht so wirklich. Ich habe mich schon häufiger | |
gefragt, ob der „politische Ellenbogen“ tatsächlich ein klassisch | |
männliches Symbol ist oder etwas, das wir auch unter Frauen leben? | |
Aygül Özkan: Ich glaube, wenn sie sich durchsetzen wollen, können Frauen | |
auch sehr schnell ihre Ellenbogen ausfahren. Das sieht man gerade bei | |
Parteien wie den Grünen, die viele junge Kandidatinnen oder Politikerinnen | |
haben, die lassen sich da auch nichts wegnehmen. Man muss nur die Regeln | |
kennen und sich fragen, ob man sie übernehmen oder andere schaffen will. | |
Amtsberg: Man trägt als Politikerin ständig Konflikte in und zwischen den | |
Parteien aus, muss sich durchsetzen und wehren. Ließe man sich von diesen | |
Konfliktsituationen emotional mitnehmen, hätte man es sehr schwer. Wenn man | |
den Ellenbogen aus der Politik weghaben will, müsste man einen anderen | |
politischen Stil pflegen. | |
Wie sähe der aus? | |
Amtsberg: Mehr Solidarität und mehr Kompromiss- und Teamfähigkeit. Worauf | |
ich hinauswill: Ich glaube, in der Politik ist der Ellenbogen nicht | |
geschlechterspezifisch, auch wenn wir Frauen das gern so hätten. Er ist | |
etwas Politik- und Machtspezifisches. | |
Özkan: Naja, in der Politik, etwa bei der Besetzung von Posten in | |
Ausschüssen, spielen vier Dinge eine wesentliche Rolle und die sind für | |
Außenstehende oft nicht so präsent: Der Proporzgedanke, sie müssen etwa zum | |
richtigen Kreisverband gehören. Geschlecht spielt neuerdings eine Rolle, | |
weil man auf die Quotenregelung achtet, die Flügelzugehörigkeit ist | |
wichtiger als der inhaltliche Gedanke und die Konfession zählt. Diese | |
Faktoren haben nichts damit zu tun, ob man fachlich gut im Thema ist. | |
Das gilt auch für Männer. | |
Özkan: Frauen gehen da vielleicht zu blauäugig rein und sagen, ich will | |
doch in der Sache argumentieren und bewerbe mich mit meiner Fachkenntnis. | |
Darüber müsste ich doch ausgewählt werden. Aber so ist es eben nicht. | |
Frau Amtsberg, Sie haben mal gesagt, dass Sie oft eher über Ihre Person und | |
nicht über die Sache wahrgenommen werden. | |
Amtsberg: Bis zu einem gewissen Grad ist das auch schön, weil ich meine | |
Politik ja mit meiner Person verbinden will. Mir ist aber aufgefallen, dass | |
zum Beispiel das Interesse der Medien groß ist, weil man die Kategorie | |
„junge Frau“ auf mich packt. | |
Özkan: Bei mir kommen zu Frau und jung, ich war ja noch jung, als ich in | |
der CDU angefangen habe, noch Migrationshintergrund und Quereinsteigerin. | |
Amtsberg: Genau das meine ich! Das Problem ist immer noch das | |
Schubladendenken. Der „Ellenbogen“ ist nichts spezifisch Männliches, | |
genauso wenig ist eine Kanzlerin per se Garant für mehr Weiblichkeit in der | |
Politik. Wir müssen weg von diesen Kategorien, hin zu einer Gesellschaft, | |
in der es nicht relevant ist, ob man Mann oder Frau ist. | |
Özkan: Soweit sind wir noch nicht. Ich mache es auch an den Netzwerken fest | |
und kann für meine Partei sagen, dass die meisten männlich dominiert sind. | |
Versuchen Sie mal, da reinzukommen. Ich habe ja den Schwenk von Hamburg | |
nach Niedersachsen gemacht, da haben jetzt nicht alle sofort gesagt: Hurra, | |
jetzt ist sie da! Da brechen große Machtkämpfe aus und sie müssen sich | |
eigene Netzwerke aufbauen. | |
Frau Amtsberg, da runzeln Sie die Stirn? | |
Amtsberg: Da hilft so etwas wie die Quote, wie wir sie bei den Grünen | |
haben. Ausschüsse und Gremien sind bei uns geschlechterparitätisch besetzt. | |
Die Quote hat es auch möglich gemacht, dass wir viele Frauen haben, die | |
genau wissen, wie das Geschäft funktioniert und die sich nicht die Butter | |
vom Brot nehmen lassen – nicht von Männern, aber auch nicht von Frauen. | |
Özkan: Da werden untereinander die Ellenbogen ausgefahren. | |
Amtsberg: Eine erfahrene Fraktionskollegin hat neulich mal zu mir gesagt, | |
dass ich es leicht haben werde, weil ich jung und blond bin. Es hat mich | |
schon geschockt, dass es in den eigenen Reihen so eine Wahrnehmung gibt. | |
Bei Konflikten in der Politik geht es leider häufig um die Frage, wie man | |
etwas an seinem Gegenüber herausarbeiten kann, das ihn oder sie klein | |
macht. | |
Haben Sie das auch so erlebt? | |
Özkan: Ich habe den Eindruck, dass diese Zuschreibungen über | |
Äußerlichkeiten, Religion oder Herkunft mehr bei Frauen passieren als bei | |
Männern. Wobei ich sagen muss, wenn die Person stark ist, wird sie auch | |
immer versuchen, aus diesem ersten Moment des Ärgers ihre Möglichkeiten zu | |
erkennen und diese für ihre Themen zu nutzen. | |
Wie denn? | |
Özkan: Ich erlebe es in politischen Konfliktsituationen so, dass Frauen | |
eher die offene Diskussion führen. Männer wollen es lieber im Hintergrund | |
lösen und Mehrheiten organisieren. Frauen sind überlegter. | |
Amtsberg: Da ist was Wahres dran! Männer wie Seehofer sind ständig mit | |
unüberlegten Äußerungen in den Nachrichten, die produzieren eine | |
Schlagzeile nach der nächsten mit der Maßgabe, wer ist hier eigentlich der | |
härteste Populist? Bei Merkel oder von der Leyen ist da wenig Unüberlegtes | |
im Spiel. | |
Özkan: Frauen denken einfach zwei, drei Schritte voraus. | |
Amtsberg: Wobei es für die Machtorientierung auf der einen und für den | |
sanften und schönen Politikstil auf der anderen Seite gute und | |
erschreckende Beispiele gibt. Vielleicht fällt es bei Frauen nur stärker | |
auf, wenn sie sich solcher, in der Politik leider üblichen Mittel bedienen. | |
Was sagt es aus, dass es einen Haufen Veröffentlichungen und Seminare zum | |
Thema Konfliktmanagement speziell für Frauen im Beruf gibt? | |
Özkan: Frauen holen sich gerne Rat ein, weil sie lösungsorientiert sind. | |
Männer holen sich das im Verborgenen oder in ihren Netzwerken. | |
Amtsberg: Ständig hört man, dass Frauen lernen müssen, ihre Ellenbogen | |
auszufahren. Mal abgesehen davon, dass sie das ohnehin schon tun, was | |
müssen eigentlich die Männer? Das ist doch keine Einbahnstraße. Auch Männer | |
müssen ihren Beitrag zu Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung | |
beitragen. | |
Özkan: Ich glaube, es gibt hier einen riesengroßen Konflikt. In der Politik | |
können sie sich durchsetzen, wenn sie unbequem sind und auch mal die | |
Extrempositionen vertreten. Ich nehme mal das Beispiel Gerhard Schröder. | |
Der war, bevor er damals Ministerpräsident in Niedersachsen wurde, total | |
unbeliebt in seiner Fraktion. Das war so ein richtiger Querschießer, der | |
immer Konflikte ausgelöst hat und als sich dann keiner als Kandidat für das | |
Amt des Ministerpräsidenten fand, hat er zugegriffen. Unbequem zu sein, | |
gehört zum politischen Alltag und bei den Männern gilt das als clever. Sind | |
Frauen unbequem, gelten sie als zickig und nervig. | |
Amtsberg: Aber das ist ja auch die Strategie. Unsere parlamentarische | |
Geschäftsführerin hat neulich in einer Debatte im Bundestag für die Rechte | |
der Opposition gekämpft und eine starke Rede gehalten. Und was macht der | |
CDU-Kollege, der eine andere Auffassung hat? Er geht nach vorn und sagt: | |
„Nun werden Sie mal nicht hysterisch hier. Kommen Sie mal runter und regen | |
sich nicht auf.“ | |
Özkan: Das ist eine subtile Art der Diskreditierung. | |
Amtsberg: In so einer Situation sage ich mir immer: Wenn die Person kein | |
anderes Argument hat, habe ich wohl alles richtig gemacht. In meinen Augen | |
ist es eine Offenbarung von Schwäche, wenn jemand zu solchen Mitteln | |
greift. Und in jedem Fall ist es ein sehr respektloser Umgang. | |
Wie reagieren Sie, wenn Ihnen ihr Gegenüber so kommt? | |
Amtsberg: Ich bin in der Politik schon so manch sexistischem Spruch | |
begegnet. Ich gebe mir Mühe, mich nicht aus der Reserve locken zu lassen. | |
Meist spiegle ich es offen zurück. Bisher bin ich damit ganz gut gefahren. | |
Frauen pflegen also einen offeneren Streitstil in der Politik? | |
Amtsberg: Ist man klar oder labert man nur rum, ist man ehrlich oder | |
korrupt, ist man intrigant oder nicht? Das sind Zuschreibungen, die auf | |
Männer wie Frauen zutreffen. Wenn man solchen Diskriminierungen begegnet, | |
muss man selbstbewusst genug sein und dem knallhart einen Riegel | |
vorschieben. Aber es tut schon etwas weh, wenn man sich über das Thema | |
definiert, deswegen in den Bundestag wollte und sich dann mit sowas | |
auseinandersetzen muss. | |
Özkan: Politik ist ein Machtbetrieb und man muss sich als Frau die Frage | |
stellen, will ich ein Machtmensch sein? | |
Amtsberg: Diese Frage müssen sich Männer auch stellen. | |
Özkan: Aber bei Frauen ist es akuter, weil sie mehr abwägen. Ich muss mich | |
fragen, will ich diese Macht und will ich in der Öffentlichkeit stehen? | |
Wenn man die Frage mit Ja beantwortet, muss man zu unbequemen | |
Entscheidungen stehen und mit Gegenwind rechnen – auch wenn man als Frau | |
gelegentlich harmoniebedürftiger ist. | |
Wie kommen Sie darauf? | |
Özkan: Ich habe es in den drei Jahren als Ministerin schon so manches Mal | |
erlebt, dass mich in der Mehrzahl Frauen gefragt haben, wie kommst du damit | |
klar, dass du in der Öffentlichkeit stehst, angegriffen wirst und dich für | |
alles rechtfertigen musst? Daran merke ich, Frauen sind per se gern in der | |
Position, es jedem recht machen und nicht so sehr auffallen zu wollen. Aber | |
davon muss man sich lösen, sonst macht man sich was vor. | |
8 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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