# taz.de -- Frauenwahlrecht in Deutschland: Die Uroma der Demokratie | |
> Sie war geschieden, alleinerziehend, Sozialdemokratin. Ach ja: Und Marie | |
> Juchacz hielt als erste Abgeordnete eine Rede im Parlament. | |
Bild: Marie Juchacz bei einer öffentlichen Rede in Berlin 1919 | |
Meine Herren und Damen! | |
Es ist der 19. Februar 1919, und diese Worte sind ein Witz. Zumindest wird | |
herzlich gelacht im barocken Zuschauerraum des Weimarer Nationaltheaters: | |
„Heiterkeit“ verzeichnet das Protokoll der Nationalversammlung. Noch viel | |
mehr aber als die Worte selbst erregt die Abgeordneten, wer sie ausspricht: | |
kein Herr, eine Dame. Dabei war diese Dame vom Präsidenten der | |
Nationalversammlung ganz sachlich angekündigt worden: „Ich erteile das Wort | |
der Frau Abgeordneten Juchacz.“ | |
Frau und Abgeordnete, diese beiden Begriffe beschreiben Marie Juchacz, | |
geborene Gohlke, schon sehr gut; viel besser als „Dame“, eine solch | |
gehobene Bezeichnung würde sie für sich selbst nie wählen. Sie ist aber | |
nicht irgendeine Frau und nicht irgendeine Abgeordnete. Sie schreibt gerade | |
Geschichte: Zum ersten Mal hält mit Marie Juchacz an diesem Tag eine Frau | |
eine Rede vor dem deutschen Parlament. | |
Marie Juchacz spricht in der frisch konstituierten Nationalversammlung der | |
noch jungen Weimarer Republik, als Abgeordnete der Sozialdemokratischen | |
Partei Deutschlands – und sie spricht als eine von vielen, denen dieser | |
Moment alles bedeutet. Diese Nationalversammlung ist die erste, in der | |
Frauen überhaupt vertreten sind. Und es ist die erste, bei deren Wahl | |
Frauen wahlberechtigt waren. Daran ist Marie Juchacz nicht ganz unschuldig. | |
Ich möchte hier feststellen und glaube, damit im Einverständnis vieler zu | |
sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem | |
althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, | |
das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen | |
bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. | |
## Zeitungen statt Puppen | |
Maries Leben beginnt in Landsberg an der Warthe, einem hübschen Städtchen | |
in der Provinz Posen, das heute Gorzów Wielkopolski heißt und zu Polen | |
gehört. Hier wird sie am 15. März 1879 als Marie Luise Gohlke in eine | |
liebevolle Familie geboren. Ihre Mutter lässt sie draußen herumtoben, ihr | |
Vater, ein Zimmermann, und ihr älterer Bruder Otto geben Marie und ihrer | |
jüngeren Schwester Elisabeth Zeitungen zu lesen, anstatt sie nur mit Puppen | |
spielen zu lassen, wie es für Mädchen üblich ist. Marie weiß so schon früh | |
Bescheid über die unruhige Entwicklung ihrer Zeit. | |
Nach acht Jahren Volksschule – eine höhere Schule können die Eltern sich | |
nicht leisten – arbeitet die 14-Jährige als Dienstmädchen, kurz in einer | |
Fabrik und dann zwei harte Jahre lang in der örtlichen Nervenheilanstalt | |
als Krankenwärterin, bis sie sich ihre Ausbildung leisten kann. Als Näherin | |
finanziert sie in der folgenden Zeit nicht nur sich selbst, sondern auch | |
den Unterhalt der Familie. „Still, klug, fleißig und strebsam“, so lernt | |
sie der Schneider Bernhard Juchacz kennen, den sie eher aus Pragmatismus | |
heiratet, als sie schon mit der gemeinsamen Tochter schwanger ist. Sie | |
gebärt zwei Kinder, erst Lotte und dann Paul, die sie selbst ihr „großes | |
Glück“ in der nicht glücklichen Ehe nennt. | |
Durch die politische Gleichstellung ist nun meinem Geschlecht die | |
Möglichkeit gegeben zur vollen Entfaltung seiner Kräfte. Mit Recht wird man | |
erst jetzt von einem neuen Deutschland sprechen können und von der | |
Souveränität des ganzen Volkes. | |
Marie Juchacz arbeitet weiterhin als Näherin und interessiert sich, auch | |
durch Anregung ihres Bruders, für die SPD. Trifft sie sich mit Bekannten, | |
wird über Politik diskutiert, und wenn sie liest, dann Politisches. Aber | |
bislang darf sie nicht mal wählen. Dabei tobt jetzt, im Jahr 1906, in | |
Deutschland ein heftiger Streit ums Wahlrecht. Um Frauen geht es dabei | |
allerdings überhaupt nicht, sondern um die Aufteilung der Wahlkreise und | |
die Wahlberechtigung für Niedrigverdiener – männliche, wohlgemerkt. | |
Währenddessen führt Finnland als erstes europäisches Land das | |
Frauenwahlrecht ein. | |
Aber auch Marie Juchacz hat eine Wahl getroffen: Sie zieht nach Berlin, | |
gemeinsam mit den Kindern und ihrer Schwester. Und ohne ihren Mann. | |
Bernhard hat sie geschlagen, nachdem sie ihn wegen Löchern in der | |
Haushaltskasse zur Rede stellte, das ist das eine. Zum anderen weiß sie, | |
dass sie im kleinen Landsberg keine politische Heimat finden wird. Also | |
wagt sie das Unmögliche: 1906 geht sie als alleinerziehende Mutter, mitten | |
in politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten, in die ihr völlig | |
unbekannte Riesenstadt Berlin, deren Einwohnerzahl gerade die | |
Zweimillionenmarke geknackt hat. Von ihrem Mann behält sie nur den | |
Nachnamen. Dass das schwer werden wird, weiß sie. „Es war unser Ziel, | |
wirtschaftlich Fuß zu fassen, und ich machte mir keinerlei Illusionen“, | |
erzählt Marie später ihrem Neffen und Biografen Fritzmichael Roehl. | |
In Berlin, das schon damals für Freiheit und Weltgeist steht, will Marie | |
sich politisch engagieren, endlich an großen Versammlungen teilnehmen. Aber | |
zunächst hat sie dafür keine Zeit, denn sie muss ihre Kinder ernähren. Paul | |
und Lotte sind erst ein und drei Jahre alt. Über ihren Bruder findet sie | |
Arbeit als Näherin, wenn sie arbeiten muss, passt die Schwägerin auf die | |
Kinder auf, auch die mitgereiste Schwester Elisabeth hilft. Wenn Marie | |
wieder Zeit hat, wird getauscht. Die Work-Life-Balance funktioniert ganz | |
gut in dieser Wohngemeinschaft, und so gehen Marie und Elisabeth abends | |
manchmal zu einem „Frauen-Leseabend“, als welche sich politische | |
Versammlungen von und für Frauen zu diesem Zeitpunkt noch tarnen müssen. | |
Das große Thema dieser abendlichen Treffen: das Frauenwahlrecht. | |
Die gesamte Sozialpolitik überhaupt, einschließlich des Mutterschutzes, der | |
Säuglings- und Kinderfürsorge, wird im weitesten Sinne Spezialgebiet der | |
Frauen sein müssen. Die Wohnungsfrage, die Volksgesundheit, die | |
Jugendpflege, die Arbeitslosenfürsorge sind Gebiete, an denen das weibliche | |
Geschlecht besonders interessiert ist und für welche das weibliche | |
Geschlecht ganz besonders geeignet ist. | |
## „Zwei Frauen, die reden konnten“ | |
Oder kurz: „Familie und das ganze Gedöns“. Dass ein SPD-Kanzler 90 Jahre | |
später diese Themen mal so abwatschen wird, würde Marie Juchacz sicher | |
empören, aber das ist in ihrer Gegenwart ebenso wenig vorstellbar wie ein | |
sozialdemokratischer Kanzler selbst. Bevor Frauen politische Fachgebiete | |
bearbeiten können, müssen sie erst mal mitmischen dürfen in der Politik. | |
Daran arbeiten die Schwestern jetzt immer energischer. Elisabeth heiratet | |
1907 und zieht nach Schöneberg um, Marie und die Kinder ziehen mit. Clara | |
Zetkin veröffentlicht ihre Broschüre „Das Frauenstimmrecht“, Marie und | |
Elisabeth treten 1908 in die SPD ein und machen sich dort bald durch ihr | |
Charisma und ihre klugen Reden einen Namen. Und zwar nicht nur – nach einem | |
erneuten Umzug – im Ortsverein Rixdorf, heute Neukölln. Sie werden von der | |
Partei für Versammlungen auch bis ins Berliner Umland angefordert. | |
„Es hatte sich herumgesprochen, dass da zwei Frauen waren, die reden | |
konnten“, schreibt später Elisabeths Sohn Fritzmichael. Geld gibt es dafür | |
keines. Abends näht Marie wie gehabt, um ihre kleine Familie ernähren zu | |
können, tagsüber passt die inzwischen nachgezogene Oma auf die Kinder auf. | |
In dieser Zeit erlebt Marie das vielleicht wichtigste Motiv ihres | |
Engagements: den Zusammenhalt unter Frauen, allen Umständen zum Trotz. „Die | |
Kinder mussten ernährt und erzogen werden. Das war wirtschaftlich schwer | |
für eine einzelne Frau. Für zwei Frauen, die sich ergänzten, wurde es schon | |
etwas leichter“, schreibt sie in einer ihrer seltenen persönlichen | |
Aufzeichnungen. | |
1913 geht Marie Juchacz mit Kindern und Schwester nach Köln. Jetzt wird | |
Politik ihr Beruf: Als Sekretärin für Frauenfragen im SPD-Bezirk „Obere | |
Rheinprovinz“ soll sie Arbeiterinnen für die Sozialdemokratie begeistern, | |
die schon länger das Frauenwahlrecht propagiert. | |
Dann beginnt der Erste Weltkrieg. Sie besucht nach Feierabend bedürftige | |
Soldatenwitwen und deren Kinder, verwaltet Nothilfen, muss sich den Kopf | |
zerbrechen darüber, wer die Wollsachen oder das Bett nun am nötigsten hat, | |
während auch ihre eigene Familie nur noch wässrige Suppe isst und die | |
Kinder krank werden. Juchacz wird klar, dass sich die Frauenfrage nicht | |
ohne die soziale Frage denken lässt. | |
1917 geht sie als „Zentrale Frauensekretärin“ der SPD wieder nach Berlin | |
und wird als solche auch Mitglied des Parteivorstands. Marie Juchacz folgt | |
auf Luise Zietz, die sich bei der Spaltung der SPD der linkeren USPD | |
angeschlossen hat. Juchacz hat für diese Querelen wenig übrig, sie bleibt | |
bei der SPD. Aus dem Rheinland hat sie eine Idee mitgebracht: Sie will eine | |
Wohlfahrtsorganisation für die Arbeiterschaft gründen. Vor allem die | |
bittere Armut der Kriegsheimkehrer und Invalidenrentner treibt sie um. | |
Das Jahr 1918 bringt die Novemberrevolution, und mit ihr kommt endlich das | |
Frauenwahlrecht, auf das Marie Juchacz und ihre Weggefährtinnen schon so | |
viele Jahre hingearbeitet haben. Wie ungerecht, dass es dann ein Mann ist, | |
der es ausruft: Kurt Eisner. Marie ist 1919 immerhin eine der ersten | |
Profiteurinnen des neuen Wahlrechts, sie zieht gemeinsam mit 36 anderen | |
Frauen in die Nationalversammlung der Weimarer Republik ein. Eine davon ist | |
ihre Schwester Elisabeth. | |
Unerhörtheit am Rednerpult | |
Es ist aber Parteivorständin Marie, die die erste Rede hält, und trotz | |
ihres bescheidenen Wesens genießt sie es vielleicht auch ein wenig, welche | |
Unerhörtheit sie da am Rednerpult verkörpert. Nicht nur ist sie weiblich, | |
sie ist auch geschieden, alleinerziehend, Sozialdemokratin mit eigenem | |
Kopf. Bilder aus dieser Zeit zeigen eine dunkelhaarige Frau mit noch | |
dunkleren Augen und einem ernsten, fast herben Gesicht. Sie trägt Hut, | |
Regenschirm und eine Armbanduhr. Melancholie liegt in ihren Zügen, aber | |
auch Misstrauen. Das Wahlrecht ist geschafft. Aber was kommt jetzt? | |
Wir werden es nicht mehr nötig haben, mit Versammlungen, mit Resolutionen, | |
mit Eingaben um unser Recht zu kämpfen. Der politische Kampf, der immer | |
bestehen bleiben wird, wird sich von nun an in anderen Formen abspielen. | |
Innerhalb des durch Weltanschauung und selbstgewählte Parteigruppierungen | |
gezogenen Rahmens haben wir Frauen nunmehr Gelegenheit, unsere Kräfte | |
auswirken zu lassen. | |
Sie ist glücklich über den Erfolg, aber er ist für sie ein Etappensieg. Von | |
Freiheit und Wahlrecht lässt sich weder Brot kaufen noch Kinder erziehen. | |
Die Stunde der Frauen schlägt jetzt auch, weil viele Männer im Krieg | |
versehrt oder getötet wurden. Weil sie als Versorger wegfallen, leiden | |
besonders Kinder und Frauen unter Armut und Elend. Marie Juchacz will sich | |
nicht in der Parteipolitik verlieren, und Arme durch Almosen und | |
bürgerliche Hilfsorganisationen versorgt werden lassen. Sie will | |
Solidarität, soziale Arbeit für die Alten und Bildungschancen für den | |
Nachwuchs, oder wie sie es in einem späteren Lebenslauf schreibt: „soziale | |
Selbsthilfe der Arbeiterschaft“. „Empowerment“ würde man heute sagen. | |
Noch 1919, am 13. Dezember, gründet Marie Juchacz die Arbeiterwohlfahrt. | |
Dazu muss sie sich zwar den Segen des SPD-Vorstands holen. Aber Marie ist | |
der Star, die erste Parlamentsrednerin, und sie weiß zu überzeugen. Das | |
Ganze heißt zunächst Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD. Es | |
entstehen vor allem Kinder-, Jugend- und Erziehungsheime. In den folgenden | |
Jahren pendelt Marie Juchacz zwischen Parlament, Partei und | |
Arbeiterwohlfahrt. Eine working mum mit enormem Pensum. Lotte und Paul | |
kennen es nicht anders. Ihre Weggefährtin Eva Pfister, die sie später in | |
New York kennenlernt, schreibt: „Die Liebe und Hingabe an ihre eigenen | |
Kinder trat in den Hintergrund gegenüber der Sorge um das Schicksal aller | |
Kinder.“ | |
## „Freude und Liebe unter den Menschen“ | |
Als die Nazis an die Macht kommen, wird die Arbeiterwohlfahrt verboten. | |
Marie muss 1933 fliehen, erst ins Elsass, dann nach New York. Im Exil | |
versorgt sie andere Flüchtlinge mit Mittagessen, während sie selbst um ein | |
Zimmer und Essen bitten muss. Sie lernt mit über 60 Jahren Englisch, pflegt | |
liebevoll ihren Schwager – Elisabeths Witwer Emil Kirschmann – und muss aus | |
der Ferne zusehen, wie ihre lebenslangen Mühen um einen demokratischen | |
Sozialstaat dem Naziregime weichen. Von ihren in Europa zurückgebliebenen | |
erwachsenen Kindern hört sie jahrelang nichts; sie startet Hilfs- und | |
Spendenaktionen. Vor allem nach Kriegsende, als Care-Pakete ins zerstörte | |
Deutschland geschickt werden, schuftet sie in New York mit deutschen | |
Genossen, die sie um sich versammelt hat, bis in die Nacht hinein. | |
Aus Deutschland kommen freundliche Briefe, in der SPD hätte man Marie | |
Juchacz gerne als prominente Frau zurück. Sie aber zögert. Die politische | |
Arbeit hat ihre ganze Kraft verschlungen, das will sie nicht nochmal | |
durchmachen: „Manchmal möchte ich drüben sein“, schreibt sie in einem | |
Brief, „aber ich möchte mich nicht mehr in Linienkämpfen abquälen müssen.… | |
Der leidenschaftliche Kampf erscheint unendlich weit weg. Als sie Jahre | |
später von Berliner Abgeordneten empfangen wird, sagt sie: „Wissen Sie, es | |
ist ein Wunder, dass trotz Hitler und allem, was durch ihn über uns alle | |
kam, es heute noch – oder wieder – so viel Freude und Liebe unter den | |
Menschen gibt.“ Erst im Januar 1949 steigt sie auf das Schiff nach | |
Deutschland, nach sieben Jahren und mit 220 Kilo Gepäck. | |
Sie wohnt zuerst bei ihrem Sohn Paul und dessen Kindern, aber das Oma-Leben | |
auf dem Land hält sie nicht lange aus. Die Arbeiterwohlfahrt muss wieder | |
aufgebaut werden. Und wem läge daran mehr als Marie? Sie wird | |
Ehrenvorsitzende und ist ständig auf Reisen, nimmt an Versammlungen teil, | |
trifft Weggefährtinnen. Sie besucht Berlin, wo sie sich bei Louise | |
Schroeder – die kurz nach dem Krieg kommissarisch als Bürgermeisterin | |
Berlin regiert hatte – einhakt und mit ihr durch den Reichstag schlendert, | |
wo sie selbst bis 1933 Abgeordnete gewesen war. Schonen tut sie sich kaum; | |
bei ihren Kindern lässt die über 70-Jährige jeweils einen Terminkalender | |
mit Adressen, unter denen sie in der nächsten Zeit zu erreichen ist. | |
Irgendwann aber wird sie so krank, dass sie anihrem „Kind“, der | |
Arbeiterwohlfahrt, nur noch teilhaben kann, weil ihre NachfolgerInnen sie | |
mit Briefen auf dem Laufenden halten. In der San-Remo-Straße 3 in | |
Düsseldorf stirbt Marie Juchacz Ende Januar 1956 an Krebs. | |
Wir Frauen sind uns sehr bewusst, dass in zivilrechtlicher wie auch in | |
wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die | |
Gleichberechtigten sind. Wir wissen, dass hier noch mit sehr vielen Dingen | |
der Vergangenheit aufzuräumen ist, die nicht von heute auf morgen aus der | |
Welt zu schaffen sind. Es wird hier angestrengtester und zielbewusstester | |
Arbeit bedürfen, um den Frauen im staatsrechtlichen und wirtschaftlichen | |
Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt. | |
Die Arbeiterwohlfahrt kennt heute jeder als AWO, und das Herz im Logo der | |
333.000 Mitglieder starken Organisation erzählt noch heute von ihrer | |
Gründerin: „Wärme und Anteilnahme“, daran erinnert sich eine Weggefährti… | |
auch wenn sie oft etwas herb und verschlossen gewesen sei. | |
## Nur ein paar Schritte zu Marie | |
Heute ist Marie Juchacz erstaunlich unbekannt. Wer ihr begegnen will, muss | |
den Berliner Mehringplatz besuchen, ein paar hundert Meter entfernt vom | |
Neubau der taz. Auf einer Wiese hinter gelben Mietshäusern hat die AWO ihr | |
vergangenes Jahr ein Denkmal errichtet, unweit der Stelle, an der die | |
Arbeiterwohlfahrt vor 1933 ihre Zentrale hatte. | |
Schön ist es hier nicht, ein paar Junkies liegen auf Parkbänken, vor dem | |
Denkmal hat jemand eine Tüte Toastbrötchen ausgeschüttet. Ins Metall | |
gefräst ist Marie Juchacz’ Profil, daneben die Worte „Freiheit | |
Gerechtigkeit Gleichheit Toleranz Solidarität“. Enthüllt hat es Martin | |
Schulz, der damals Kanzlerkandidat war. Die SPD, deren Parteizentrale | |
gleich um die Ecke liegt, schmückt sich gern mit dem Namen ihrer ersten | |
Rednerin. Die Bundestagsfraktion etwa verleiht den Marie-Juchacz-Preis für | |
Reden von jungen Menschen über die Frage, wie Juchacz’ Bilanz zur | |
Gleichstellungspolitik heute ausfiele. | |
So erscheint Marie vor allem als Heldin der Frauenbewegung – aber das war | |
sie nicht, zumindest nicht nur. Sie war nicht einfach die erste Frau am | |
Redepult des Parlaments, ihr Selbstverständnis war das einer | |
Sozialpolitikerin. Ihre Lebensgeschichte erzählt davon, wie untrennbar | |
beides zusammengehört, Gleichstellungspolitik und Klassenkampf, die soziale | |
und die Frauenfrage. Und wie die Erfolge auf dem einen Feld die | |
Handlungsfähigkeit auf dem anderen bedingen. Wenn die SPD also mal wieder | |
überlegt, ob sie nicht Gleichstellung und Diversität gegenüber einer | |
engagierteren Sozialpolitik vernachlässigen müsse – sie täte gut daran, die | |
paar Schritte zu Marie hinüberzulaufen und darüber nachzudenken, wie sie | |
das wohl fände. | |
11 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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