# taz.de -- Das Lied der Deutschen: Wem die Hymne gebührt | |
> Alle reden über die deutsche Nationalhymne, doch es gibt eine Institution | |
> in Deutschland, die wirklich eine Hymne verdient hätte: die | |
> Frauenbeauftragte. | |
Bild: Des Glückes Unterpfand: deutsche Hymne, hier 2008, mit Brüdern | |
Allein das Hymnische an sich hat etwas, das mich anspricht. Als | |
Halbbrasilianer – wir tänzeln ja gern! – finde ich Hymnen gut. [1][Wenn ihr | |
diese Hymne kennt, wisst ihr, wovon ich rede]. | |
Um es vorweg zu sagen: Wir diskutieren hier nicht, ob in der deutschen | |
Nationalhymne das Wort Vater (männlich) durch das Wort Heimat (weiblich) | |
ersetzt werden soll, wie es eine Frauenbeauftragte namens Kristin | |
Rose-Möhring [2][jüngst vorschlug]. Wir diskutieren hier auch nicht, ob das | |
Wort brüderlich (deutsch) durch das Wort couragiert (französisch) ersetzt | |
werden soll. Das ist mir alles egal. | |
Meinetwegen könnt ihr die deutsche Nationalhymne abschaffen. Es ist ja | |
sowieso eher eine Penishymne (Fallersleben: Vaterland, brüderlich, | |
Vaterland, Vaterland). | |
Es ist, übrigens, aber das nur am Rande, überdies eine Hymne, deren Melodie | |
(Strophe eins) von jüdischen Häftlingsorchestern in deutschen | |
Konzentrationslagern gespielt wurde und deren Melodie (Strophe drei) heute | |
erklingt, wenn bei deutschen Staatsakten der Schoa gedacht wird. Das ist | |
ergreifend, und bösartig. Es ist vergifteter Pathos. Da tänzelt gar nix. | |
Das kann alles weg. | |
An dieser Stelle diskutieren wir also nur, wem, [3][außer Brasilien], auch | |
noch eine Hymne gebührt. | |
Der deutschen Frauenbeauftragten gebührt eine Hymne. Sie ist eine | |
Institution. Nicht nur Kristin Rose-Möhring, sondern auch all ihre | |
Kolleginnen. Es ist gut, dass es sie gibt. | |
Warum? | |
Die meisten Verlierer, wo man sie auch trifft, sind männlich. | |
Bemitleidenswerte Bettler, morgens in der U-Bahn: männlich. | |
Banker, die unsere Welt ausnehmen: männlich. | |
Leute, die in unseren Knästen sitzen: männlich. | |
Trump, Putin, Erdoğan: alle männlich. | |
BILD-Chefredakteur: auch männlich, Betonung auf -ich. | |
Wer hat die Arbeiterwohlfahrt erfunden? | |
Marie Juchacz, SPD, Frau. | |
Wer heult nun in Kommentaren rum, weil eine Frau, die auch | |
Frauenbeauftragte ist, vorschlägt, die Nationalhymne zu ändern, wie etwa | |
Kanada und Österreich dies schon getan haben? | |
Klar: Männer. | |
Zum Beispiel Rainer Haubrich in der [4][Welt] („Sprach-Taliban“, | |
„Kabarett“) oder das Herrenmagazin Focus, das gewohnt recherchefrei gleich | |
von der „[5][Frauenbeauftragten der Bundesregierung]“ berichtet, so als | |
hätte die Bundesregierung eine zentrale Frauenbeauftragte, was allein | |
deshalb grober Unfug ist, weil die Bundesregierung nicht eine, sondern | |
gleich dutzende Frauenbeauftragte hat, nämlich in jeder ordentlichen | |
Bundesbehörde eine und in jedem Bundesministerium eine und eine auch im | |
Bundesfamilienministerium und das ist Kristin Rose-Möhring, die im Jahr | |
1955 geboren wurde und ein Studium der Angewandten Sprachwissenschaften | |
hinter sich hat. | |
Die hat zwar keine Zuständigkeit für die Nationalhymne, sondern für | |
Personalpolitik in ihrem eigenen Hause und dies aufgrund von Artikel 19 des | |
Bundesgleichstellungsgesetzes und das wiederum aus dem einzigen Grund, dass | |
die Männer in deutschen Behörden früher viel zu viel rumgezickt haben; und | |
deshalb kann sich zum Beispiel Kristin Rose-Möhring zwar viel wünschen oder | |
auch mal in einen Rundbrief zum Weltfrauentag ganz am Ende ein paar Dinge | |
reinschreiben, aber mehr kann sie nun in puncto Hymne wahrlich nicht. | |
Doch immerhin dies hat sie getan und es war gut, denn jetzt sind viele | |
Männer, wie einst die Affen, wieder auf den Bäumen und Angela Merkel lässt | |
ausrichten, die Nationalhymne könne bleiben wie sie ist und wir alle dürfen | |
wahlweise glücklich sein darüber oder uns empören, dass die Nationalhymne | |
also bleibt wie sie ist. | |
Dem gebührt an sich keine Achtung und auch keine Aufmerksamkeit, es sei | |
denn man will über die Nationalhymne debattieren (allein schon die | |
Melodie!), aber Achtung gebührt dem Umstand, dass hunderte | |
Frauenbeauftragte in Deutschland jeden Tag darauf achten, dass böse Lümmels | |
nicht wieder nur ihre Kumpels bevorzugen, sondern dass diese Lümmels auch | |
ab und zu einmal überlegen müssen, wessen Lieder sie singen. | |
Und deshalb sollte man diesen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten mal | |
eine Hymne schreiben und diese Hymne laut singen, zum Beispiel am | |
[6][Internationalen Frauentag], der ist jetzt am Donnerstag. Und wenn es | |
schon keine Frauenbeauftragtenhymne gibt, dann ersetzt doch meinetwegen, | |
auch wenn es weh tut, mal einen Tag lang das Wort Vater durch das Wort | |
Heimat und das Wort brüderlich durch das Wort couragiert und singt die | |
deutsche Penishymne in einer anderen Melodie und ich jedenfalls mache | |
meinetwegen ausnahmsweise auch mit und dann denken wir an die | |
Sprachwissenschaftlerin Kristin Rose-Möhring und stellen uns vor, dass sie | |
tänzelt, denn das täte diesem Land ganz generell gut: etwas mehr tänzeln. | |
5 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=wy0r4RDsuOU | |
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article174166978/Vaterland-Frauenbe… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Brasilien | |
[4] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article174188821/Nationalhymne-aende… | |
[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/heimatland-statt-vaterland-frauenb… | |
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Frauentag | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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