| # taz.de -- Clara-Zetkin-Preis für Kristina Hänel: „Ich kämpfe für viele … | |
| > Die Ärztin ist für ihr Engagement gegen den Paragrafen 219a ausgezeichnet | |
| > worden. Ein Gespräch über echten Lebensschutz und warum der Paragraf weg | |
| > muss. | |
| Bild: „Mir wurde Unrecht angetan“: Kristina Hänel vor dem Amtsgericht Gie�… | |
| taz: Frau Hänel, Freitagabend haben Sie den Clara-Zetkin-Frauenpreis der | |
| Linkspartei bekommen – für Ihren Kampf gegen Paragraf 219a, das Verbot der | |
| „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche. Nach diesem Paragrafen wurden Sie | |
| im vergangenen November verurteilt, weil auf Ihrer Webseite steht, dass Sie | |
| Schwangerschaftsabbrüche machen. Wie fühlen Sie sich? | |
| Kristina Hänel: Ich freue mich sehr über diese Anerkennung. Als Ärztin, die | |
| Abtreibungen macht, war ich viele Jahre eher eine Außenseiterin. Es ist | |
| schön, zu sehen, dass sich das jetzt ändert. | |
| Es ist ein halbes Jahr her, dass Sie sich entschieden haben, Ihren Fall | |
| öffentlich zu machen. Als wir damals das erste Mal miteinander sprachen, | |
| klangen Sie längst nicht so selbstsicher wie heute. | |
| Das hat alles eine Weile gedauert, ja. Ich bin ja schon öfter angezeigt | |
| worden, aber ich habe das immer irgendwie abgetan und gedacht: Jeder | |
| vernünftig denkende Mensch hält diese Leute, die da reihenweise Ärzte | |
| anzeigen, für Spinner. Die bekommen doch kein Recht. Als dann dieser gelbe | |
| Brief auf meinem Tisch lag, musste ich ihn mehrmals lesen, um zu begreifen: | |
| Du musst jetzt vor Gericht. Das war zwei Tage vor meinem Geburtstag, das | |
| musste ich dann erst mal Freunden und Bekannten beichten. | |
| Sie sagen „beichten“. Hatten Sie denn das Gefühl, etwas falsch gemacht zu | |
| haben? | |
| Nein; das habe ich zu keinem Zeitpunkt gedacht. Ich dachte eher: Mann, | |
| jetzt gibt es wegen mir Schwarzem Schaf schon wieder Ärger. | |
| Was meinen Sie mit „Schwarzes Schaf“? | |
| Wenn man Abbrüche macht, hat man es nicht immer leicht – auch nicht unter | |
| Kolleginnen und Kollegen. Da gibt es viele, die das nicht gut finden. | |
| Warum haben Sie den Schritt in die Öffentlichkeit dann doch gewagt? | |
| Das lag an dem Zuspruch, die ich aus meinem Umfeld erfahren habe. Aber es | |
| fiel mir anfangs sehr schwer; in dem ersten Brief, in dem ich um breitere | |
| Unterstützung gebeten habe, habe ich noch gar nicht das Wort „ich“ benutzt, | |
| sondern nur von „einer Ärztin“ gesprochen. Ich kann gut für andere kämpf… | |
| Aber ich war es bisher nicht gewohnt, mich als Person in den Mittelpunkt zu | |
| stellen. Zu sagen: Mir wurde Unrecht angetan. Ich weiß nicht, ob ich das | |
| alleine geschafft hätte. | |
| Das liegt jetzt sechs Monate zurück. Wie hat sich Ihr Gefühl seitdem | |
| verändert? | |
| Die Frage, ob der Schritt nur der richtige war oder nicht – die stelle ich | |
| mir nicht mehr. Es hat sich ja ganz deutlich gezeigt, dass es genau richtig | |
| war, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich kämpfe ja nicht nur für mich, | |
| sondern für viele andere auch. Für Ärztinnen und Ärzte, und für die Frauen. | |
| Gab es Zeiten, in denen Sie die Entscheidung bereut haben? | |
| Ich bin Schritt für Schritt weiter in die Öffentlichkeit gegangen. Erst mit | |
| meinem Namen, dann auch mit meinem Foto, inzwischen war ich sogar im | |
| Fernsehen. Das wirkt sich natürlich auch auf mein Privatleben aus. Jeder | |
| dieser Schritte hat mich viel Kraft gekostet. In der Nacht vor dem Prozess | |
| wäre ich am liebsten geflohen, hätte alles ungeschehen gemacht. | |
| Sie als Person sind jetzt untrennbar mit der Debatte um den Paragrafen | |
| verbunden. | |
| Ich dachte ursprünglich mal, es wäre gut, wenn diese Kampagne über Pro | |
| Familia oder einen anderen Verband laufen würde. Aber jetzt ist mir klar, | |
| dass es wichtig ist, dass ich da als Person, mit meinem Gesicht und mit | |
| meinem Namen, stehe. Als meine Kollegin Nora Szász aus Kassel kürzlich ihre | |
| Anklageschrift erhalten hat, hat sie mir gleich geschrieben. Ich sollte die | |
| erste sein, die es erfährt. Da kam auch in mir die Erinnerung noch mal | |
| hoch, was für ein schlechtes Gefühl das damals war. Das ist so ungerecht, | |
| so etwas wünscht man niemanden. | |
| Es sind radikale Abtreibungsgegner*innen, die systematisch Ärzt*innen | |
| anzeigen. Wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt, hat mit diesen | |
| selbsternannten Lebensschützer*innen fast unausweichlich zu tun. Warum | |
| kommt der Aufschrei erst jetzt? | |
| Das ist eine gute Frage. Ich denke, da kommen verschiedene Faktoren | |
| zusammen; einerseits spielen die sozialen Medien eine große Rolle. Und dann | |
| fällt das Thema in eine Zeit des allgemeinen gesellschaftlichen Rollbacks. | |
| Aber es gibt ja nicht nur die AfD und den allgemeinen Rechtsruck, sondern | |
| auch Menschen, die dem entgegenstehen. Auch hier in der Region war im | |
| Sommer 2015 eine wahnsinnige Solidarität mit den Geflüchteten zu spüren. Es | |
| war beeindruckend, was die Bevölkerung damals getan hat, um diesen Menschen | |
| zu helfen. Und dann ist man plötzlich konfrontiert mit Leuten, die so | |
| radikal unmenschlich denken. So ähnlich ist es beim Schwangerschaftsabbruch | |
| auch. Ich spüre gerade einen enormen Solidarisierungsprozess, in meinem | |
| persönlichen Umfeld wie auch in der gesamten Ärzteschaft. Das ist ein viel | |
| stärkerer Halt, als wir ihn all die Jahre hatten. | |
| Aber Sie bekommen nicht nur Unterstützung. | |
| Ich bekomme auch Drohmails. Gegen einige erstatte ich Strafanzeige. Manche | |
| sind christlich geprägt, andere einfach rechtsextrem und antisemitisch. Da | |
| geht es dann nicht mehr um Schwangerschaftsabbrüche. Aber so was kommt | |
| automatisch in dem Moment, wo die sogenannten Lebensschützer merken, dass | |
| sie Land verlieren. Dass sie nicht mehr so einfach im Hintergrund Ärzte und | |
| Frauen tyrannisieren können. Niemand findet das gut, was wir da all die | |
| Jahre schweigend über uns haben ergehen lassen. | |
| Wie geht es Ihrer Meinung nach jetzt weiter mit Paragraf 219a? | |
| Ich kann momentan nicht abschätzen, ob der Paragraf gestrichen oder nur | |
| geändert wird. Aber er kann und wird so nicht stehen bleiben. Auch in der | |
| Union gibt es Menschen, die das so sehen. Ich warte nur darauf, dass sich | |
| der erste traut, das auch öffentlich zu sagen. | |
| Sie fordern nach wie vor die Streichung? | |
| Ja. Das Informationsrecht für Frauen ist mit diesem Paragrafen nicht zu | |
| erreichen. Auch nicht, wenn er verändert wird. Die Abtreibungsgegner werden | |
| nicht aufhören, Ärzte anzuzeigen und der Auslegung der Gerichte ist Tür und | |
| Tor geöffnet. Sie können einen freisprechen oder ins Gefängnis stecken, und | |
| das nur wegen einer Information auf einer Webseite. | |
| Angenommen, in einem weiteren halben Jahr ist der Paragraf weg. Was dann? | |
| Dann beginnt die inhaltliche Arbeit eigentlich erst. (lacht) Dann können | |
| wir aufholen, was wir all die Jahre versäumt haben: dafür sorgen, dass | |
| Frauen an verschiedenen Stellen an die Adressen für einen | |
| Schwangerschaftsabbruch kommen, am besten über die Gesundheitsämter. Dass | |
| es sachliche Informationen auf staatlichen Webseiten gibt, so wie in | |
| anderen europäischen Ländern. Dass der Eingriff Thema in der medizinischen | |
| Ausbildung wird. Dass wir auch in Deutschland medizinische Leitlinien zum | |
| Schwangerschaftsabbruch entwickeln. Und dass die Themen Sexualität, | |
| Verhütung, Schwangerschaft auch in den Bereichen Pädagogik, Biologie oder | |
| Psychologie wichtiger werden. Denn dann haben wir auch niedrigere | |
| Abbruchszahlen. Dann tun wir tatsächlich etwas für den sogenannten | |
| Lebensschutz. | |
| Ist „Lebensschutz“ nicht eher ein Begriff der Abtreibungsgegner*innen? | |
| Ich verwende den ganz gerne in letzter Zeit. Wir müssen uns unsere Sprache | |
| zurückholen. Abtreibungsgegner verdrehen die Realität, sie wollen, dass | |
| Abtreibungen ganz verboten werden. Aber dann würden wieder Frauen sterben. | |
| Das ist für mich kein Lebensschutz. | |
| Sondern? | |
| Zum Lebensschutz gehört für mich alles, was ich als Ärztin tue. Angefangen | |
| beim Rettungsdienst über meine Arbeit mit traumatisierten Kindern bis zum | |
| Schwangerschaftsabbruch. Denn Abtreibungen wird es immer geben – und ich | |
| möchte nicht, dass irgendwo auf der Welt noch eine Frau an einem illegalen | |
| Abbruch stirbt. Und ich will, dass die Kinder, die auf die Welt kommen, | |
| erwünscht sind. Das gönne ich jedem Kind, und auch das schützt sein Leben. | |
| Und ich will, dass Frauen wählen können. Vor mir sitzen manchmal Frauen, | |
| die hochgradig ambivalent sind. Die das Kind eigentlich bekommen wollen, es | |
| aber aus verschiedenen Gründen nicht können. Für solche Frauen tue ich | |
| alles, was ich kann. | |
| 3 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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