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# taz.de -- Essay zu Klimakonferenzen: Besser als ihr Ruf
> Jedes Land blickt auf die eigenen Interessen. Aber sind
> Klimaverhandlungen deshalb überflüssig? Im Gegenteil: Sie sind
> erstaunlich effektiv.
Bild: Eine Frau erklärt auf der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen den Klima…
Anlässlich der Klimakonferenz in Paris durchstöbern wir unser Archiv nach
Texten zum Thema, die den Verhandlungsprozess auch heute noch treffgenau
analysieren. Dieser Artikel erschien am 29. November 2014 in der taz.
Beim Thema Klima wird um so ziemlich alles gestritten. Nur in einem Punkt
ist die Stimmung erstaunlich einmütig: Die UN-Klimakonferenzen sind
nutzlos, überflüssig oder schädlich. Verbänden, Parteien und Medien nennen
die Treffen, „sinnlos“, „absurdes Theater“ oder „heiße Luft“. Hara…
Welzer, einer der deutschen Querdenker in Sachen Ökologie, meinte vor der
Konferenz 2013, das „Klimathema ist final von der Tagesordnung der
Weltpolitik genommen worden“. Und selbst die ehemalige EU-Klimakommissarin
Connie Hedegaard sagt: „Ich hasse Klimakonferenzen.“
Das ist verständlich. Wer einmal bei den Verhandlungen dabei war, erinnert
sich an schlechte Stimmung, schlechten Schlaf und schlechtes Essen. Von
unzureichenden Ergebnissen gar nicht erst zu reden. Selbst den Experten
geht auf diesen Monsterkonferenzen manchmal der Überblick verloren. „Ich
habe schon Papiere unterschrieben, wo ich nicht wusste, was genau
drinsteht“, gesteht ein hochrangiger Delegierter. So sehen die Ergebnisse
dann auch oft aus.
Aber Ablehnung und Desinteresse sind fehl am Platz. Denn die
Klimakonferenzen sind ein großer Erfolg. Kaum ein anderer internationaler
Prozess ist so zielführend und engagiert wie die Verhandlungen unter der
„UN-Klimarahmenkonvention“ von 1992. Sie haben konkrete Ergebnisse
gebracht, wirksame Institutionen geschaffen, Geld aufgebracht und Menschen
mobilisiert. Die globale Energiepolitik verändert sich in rasantem Tempo –
auch durch das jährliche Ritual der Klimagespräche. Viele Aktivisten aus
anderen Bereichen wären froh, wenn sie für ihre Belange ähnlich
„überflüssige und sinnlose“ Foren hätten.
Um keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen: Das Problem des
Klimawandels ist weit entfernt von einer Lösung. Der weltweite Ausstoß an
Kohlendioxid aus Öl, Kohle und Gas ist seit 1990 um 60 Prozent gestiegen,
im letzten Jahrzehnt schneller als zuvor. Der UN-Klimarat IPCC hat gerade
wieder eindrücklich klargemacht, dass wir die Atmosphäre so schnell wie nie
zuvor aufheizen und bei jetzigen Trends auf einen Planeten zusteuern, der
etwa 4 Grad wärmer ist als heute. Das wäre eine furchtbare Welt, in der
viele ökologische Sicherungen durchbrennen und die von „Natur“katastrophen,
Hunger, Dürre und Konflikten dominiert würde.
## Das Kioto-Protokoll war ein Erfolg
Aber der Grund für dieses Desaster liegt nicht im angeblichen Versagen der
Klimakonferenzen. Sondern darin, dass es für alle Länder wahnsinnig schwer
ist, den Pfad des liebgewonnenen dreckigen Wirtschaftswachstums zu
verlassen – besonders wenn man noch wie China oder Indien Millionen von
Menschen aus der Armut holen muss.
Für einen Löwenanteil der jetzigen und zukünftigen Emissionen sind Länder
verantwortlich, die sich bisher nicht zum Klimaschutz verpflichtet haben.
Anders als allgemein behauptet, ist das gern geschmähte Kioto-Protokoll ein
großer Erfolg: Die versprochene Senkung der Emissionen um etwa 5 Prozent
wurde von den Industrieländern selbst dann übertroffen, wenn man alle
Rechentricks abzieht.
Und auch die heftig kritisierten Klimakonferenzen bringen alle Jahre wieder
wichtige Ergebnisse, obwohl hier nur mit Einstimmigkeit von Regierungen
entschieden wird, die teilweise jenseits der Zurechnungsfähigkeit agieren.
Aber noch auf dem gescheiterten Gipfel von Kopenhagen 2009 legten viele
Staaten zum ersten Mal Emissionsziele fest und versprachen 100 Milliarden
Dollar jährliche Hilfe für die Entwicklungsländer ab 2020. Es folgten die
verbindliche 2-Grad-Grenze, der „Grüne Klimafonds“, die Verabredung, 2015
in Paris ein globales Abkommen mit allen Staaten zu schließen, und ein
Mechanismus für Schadensersatz wegen des Klimawandels. Alle diese
Fortschritte retten nicht die Welt. Aber ein permanentes Scheitern sieht
anders aus.
Der Grund für den schlechten Ruf der Klimaverhandlungen sind falsche
Erwartungen, aber auch politisches Kalkül. Einige unbequeme Wahrheiten:
Klimaverhandlungen sind keine Umweltkonferenzen. Es geht nicht um Wellness,
sondern um Wirtschaft, um harte Entscheidungen über Leben und Wohlstand:
Welches Land darf noch wie viel Kohlenstoff verbrennen, um der Armut zu
entfliehen? Wer muss wie viel an Kohle und Öl im Boden lassen, wer bekommt
Entschädigung?
## Nicht die Rettung der Welt
Die Enttäuschung ist groß, wenn eine Konferenz wieder nicht den umfassenden
Klimadeal gebracht hat. Der steht aber meist gar nicht auf der
Tagesordnung. Das Thema ist zu komplex und zu umstritten, um es mit einem
Dokument zu befrieden. Jetzt hoffen alle auf „das große Klimaabkommen“, das
im Dezember 2015 in Paris geschlossen werden soll. Gelingt dieses
„Paris-Protokoll“, wäre es zweifellos ein Fortschritt – aber nicht die o…
erwartete Rettung der Welt.
Es gibt keine Chance, ein Ergebnis zu erzwingen. Jede Einigung ist
freiwillig, niemand lässt sich zum Klimaschutz zwingen. Kopenhagen ist
daran gescheitert, dass Europa versucht hat, seine Idee eines
allumfassenden Vertrags den anderen Ländern aufzudrücken. Aber die neuen
Herren der Welt in China, Indien und Brasilien lassen sich nicht drängen.
Und die USA sowieso nicht.
Es gibt kein Wir. Anders als immer wieder etwa von UN-Generalsekretär Ban
Ki Moon herbeigewünscht, existiert „die Weltgemeinschaft“ auf diesen
Konferenzen nicht. Jedes Land blickt auf die eigenen Interessen. Nur wenn
die Rechnung von nationalen Gewinnen und Verlusten positiv ist, bewegen
sich die Staaten.
Es gibt keine Alternative. Oder haben Sie eine bessere Idee für ein
Verfahren, das alle Staaten einschließt?
Das Schlechtreden der Klimaverhandlungen folgt auch politischem Kalkül.
Vielen Ressourcenländern mit ihren angeschlossenen Öl- und Kohlekonzernen
wie Saudi-Arabien oder Russland gehen schon die bisherigen Ergebnisse viel
zu weit. Sie klagen gern über die Blockade der Verhandlungen, die sie
selbst organisieren. Manche Umweltgruppen erwecken gern den Eindruck, die
Politik würde nur quatschen, während sie doch handelten.
## Zuerst den Kapitalismus abschaffen?
Und „Linke“ empfinden die UN-Verhandlungen manchmal als „schlimmer als
nichts“, weil vor echten Fortschritten eigentlich erst mal eben der
Kapitalismus abgeschafft werden müsste. Sie sehen nicht, dass sich auch das
„Buen Vivir“ der lateinamerikanischen Linksregierungen auf die ungebremste
Ausbeutung der „Mutter Erde“ durch Bergbau- und Kohlekonzerne stützt. Und
über postmaterielles Nullwachstum, das bei uns völlig zu Recht heiß
debattiert wird, denken Indien und China nicht einmal laut nach.
Klimakonferenzen sind sehr effektiv, wenn man sie mit anderen
internationalen Prozessen vergleicht: Bei den WTO-Verhandlungen geht seit
Jahren nichts voran, die Regulierung der Kapitalmärkte ist ein schlechter
Witz, das iranische Atomprogramm und die Aggression Russlands sind nicht
entschärft. Trotzdem redet niemand regelmäßig vom „Scheitern“ dieser
Gespräche. Es zählt eben auch, dass geredet wird.
Klimaverhandlungen ähneln dann auch eher dem KSZE-Prozess während des
Kalten Kriegs in Europa: Auch da wurde ewig in frustrierenden Runden über
Jahrzehnte hinweg gestritten, ohne dass es einen Durchbruch gab. Aber die
Konferenzen schufen Institutionen und vermittelten Vertrauen – und als es
vor 25 Jahren ernst wurde mit „Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, da
trugen diese Strukturen.
Diesen ungeahnten Erfolg müssen die Klimaverhandlungen kopieren. Allerdings
ist die globale Energiewende schwieriger als der Fall der Mauer. Denn
anders als im Kalten Krieg, wo es ausreichte, nicht auf den Knopf zu
drücken, müssen die Staaten im warmen Konflikt ihre gesamte Infrastruktur
und Lebensweise umbauen. Nicht nur unsere Energieversorgung, auch unsere
Ernährung, unsere Fortbewegung und unser Wohnen sind immer noch von
fossiler Energie abhängig. Diesen Umbau der Industriestaaten zu schaffen
und sie den Schwellenländern ebenfalls zu ermöglichen – und alles unter dem
Zeitdruck von zwei bis drei Jahrzehnten –, ist eine unglaublich
komplizierte und historisch einmalige Aufgabe.
Um sie auch nur halbwegs zu erfüllen, brauchen wir politischen Druck in
möglichst vielen Staaten, aus Parteien, Umwelt- und Entwicklungsgruppen,
Gewerkschaften und Kirchen. Wir benötigen wütende Menschen auf der Straße,
gut informierte Medien und kühl kalkulierende Manager in den Unternehmen,
warnende Mediziner und einen Aufstand an den Finanzmärkten. Was wir nicht
brauchen, sind ahnungslose Zyniker, die sich mit verschränkten Armen
zurücklehnen und rufen: „Das wird nie was!“
25 Nov 2015
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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