| # taz.de -- Ergebnisse der UN-Konferenz: Ein Marshallplan fürs Klima | |
| > Die UN-Klimaverhandlungen quälen sich in Richtung eines globalen | |
| > Abkommens. Aber der wichtigste Punkt ist ungeklärt: die Finanzierung. | |
| Bild: Der Klimawandel sorgt für eine harte Dürreperiode in Indien: Allahabad,… | |
| BONN taz | Das Schloss liegt idyllisch: Mit seinen Türmchen und Erkern | |
| blickt die Sandsteinfassade des „Haus Castanjen“ in den Bonner Rheinauen | |
| über den Fluss. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier der Marshallplan zum | |
| Wiederaufbau Westdeutschlands unterzeichnet. Heute sitzt in dem Schlösschen | |
| das UN-Klimasekretariat. Fährt man durch den Park am Flussufer zur | |
| Klimakonferenz im nagelneuen Kongresszentrum von Bonn, kommt man an einem | |
| großen Irrgarten vorbei. Die Symbolik könnte nicht deutlicher sein. | |
| Zwei Kilometer flussabwärts vom „Haus Castanjen“ sind die Delegierten der | |
| internationalen Klimagemeinde in ihrem Labyrinth kaum vorangekommen. In den | |
| beiden vergangenen Wochen haben sie vordergründig um Texte verhandelt, die | |
| im Dezember in einem globalen Klimavertrag enden sollen. Hinter den | |
| Kulissen allerdings wird wieder um einen Marshallplan gefeilscht. Es geht | |
| wieder um Aufbau, Absatzmärkte und Eindämmung. | |
| Aber die Hilfe ist für die armen und unterentwickelte Staaten, es geht um | |
| milliardenschwere Umsätze mit grüner Technologie und der Feind ist nicht | |
| mehr die Sowjetunion, sondern der Klimawandel. Auch wenn die Diskussionen | |
| um Wortungetüme wie INDC, ADP oder CBDR kreisen, wird am härtesten um einen | |
| Begriff gefeilscht, den jeder versteht: 100 Milliarden Dollar. | |
| So lautet das Versprechen der Industrieländer vom gescheiterten Gipfel in | |
| Kopenhagen 2009: Bis 2020 wollen sie jedes Jahr 100 Milliarden Dollar | |
| „mobilisieren“, um den Entwicklungs- und Schwellenländern beim Kampf gegen | |
| den Klimawandel zu helfen. Bisher fließt nicht einmal die Hälfte des | |
| Geldes, aber bei der Klimakonferenz von Paris im Dezember wird es ernst. | |
| Das Abkommen dort soll den Weg ebnen, um die Treibhausgase aus der | |
| Verbrennung von Öl, Kohle und Gas massiv zu reduzieren. „Das Geld ist der | |
| Schlüssel für ein erfolgreiches Abkommen“, sagt Tosi Mpanu Mpanu, | |
| Finanzexperte aus der Delegation der Demokratischen Republik Kongo und | |
| Sprecher der afrikanischen Länder. „Ohne einen glaubwürdigen Fahrplan zu | |
| den 100 Milliarden ist Paris für manche Länder die Mühe nicht wert.“ | |
| So denkt nicht nur Mpanu Mpanu. Das Gleiche sagte Bundeskanzlerin Angela | |
| Merkel auf dem G-7-Gipfel in Elmau. Die Frau, die selbst als | |
| Umweltministerin Klimaverhandlungen führte, weiß sehr gut: Ohne Geld gibt | |
| es keinen Deal in Paris. Das Problem ist nur: Ohne einen Deal gibt es auch | |
| kein Geld. Denn wenn die Investoren in Paris keine sicheren Signale | |
| bekommen, wie es weitergeht, werden sie das Geld, das sie jetzt in Kohle | |
| und Öl stecken, nicht in Solaranlagen und Windkraft investieren. Deshalb | |
| verhandeln die Finanzexperten aller Seiten seit Monaten praktisch ohne | |
| Unterbrechung. | |
| ## Der neue Plan hat seine Tücken | |
| Verglichen mit heute war das Hilfsprogramm von 1948 Peanuts: Damals halfen | |
| nach heutiger Kaufkraft etwa 120 Milliarden Dollar über vier Jahre dem | |
| zerstörten Europa. Heute soll fast diese Summe jedes Jahr und unbefristet | |
| fließen. Damals entschied die US-Regierung, heute reden 193 Staaten mit. | |
| Damals wusste das US-Finanzministerium, worum es ging. Heute „sind wir uns | |
| nicht einig darüber, woher das Geld kommen soll, wohin es fließen soll und | |
| wie wir überhaupt zählen“, sagt ein frustrierter Verhandler. | |
| 100 Milliarden sind versprochen. Etwa 30 Milliarden fließen jährlich | |
| bereits als Öko-Entwicklungshilfe. 70 Milliarden ist die Summe, um die | |
| gerungen wird. | |
| Die 30 Milliarden sind eine Schätzung der Weltbank, die auch Merkel nennt. | |
| Andere Zahlen liegen leicht mal um ein paar Milliarden drüber oder drunter, | |
| je nachdem, was alles gezählt wird: nur staatliche Mittel oder auch private | |
| Investitionen? Das Geld aus den staatlichen Entwicklungsbanken? Ein | |
| öffentlich subventionierter Kredit? | |
| Zumindest eine kleine Säule des Marshallplans ist klar: Der „Green Climate | |
| Fund“ (GCF) soll einen Teil der 100 Milliarden bündeln. 33 Nationen haben | |
| dem Fonds mit Sitz in Südkorea erst einmal 10 Milliarden für vier Jahre | |
| versprochen und tatsächlich schon über die Hälfte davon aufs Konto | |
| überwiesen. Jetzt wird mit Hochdruck an Projekten gebastelt. Im Oktober | |
| sollen erste Entscheidungen fallen, damit im Dezember in Paris erste | |
| Erfolge präsentiert werden können und die Industriestaaten ihren guten | |
| Willen beweisen: Etwa Hilfe für Bauern oder Öko-Energien für Afrika. Der | |
| GCF will die Regeln setzen für die großen Geldströme der Zukunft, und er | |
| soll es transparent machen. Wenn Geld in schwarzen Kassen versickert, wäre | |
| das ganz schlecht für das Image der Klimafinanzierung. Immerhin geht bei | |
| der Entwicklungshilfe jeder dritte Dollar durch Korruption verloren, | |
| schätzen Experten. | |
| Die Aufgabe ist riesig. „Viele Billionen von Dollar müssen bis 2050 | |
| umgeleitet werden“, um die Weltwirtschaft von den fossilen Energien | |
| wegzusteuern, heißt es im „Hintergrund-Bericht zur | |
| Langzeit-Klimafinanzierung“ den die Bundesregierung zum G-7-Gipfel | |
| vorgelegt hat. Dort haben die westlichen Industriestaaten unter Merkels | |
| Führung genau das propagiert: Das Ende der Fossilen in diesem Jahrhundert. | |
| Über dieses „deutliche Signal an die Investoren“ freuten sich die | |
| Umweltgruppen auch noch bei der Konferenz in Bonn. Aber der Bericht bringt | |
| sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen: Um das Ziel zu erreichen, | |
| den Klimawandel auf zwei Grad zu begrenzen, müssten „jedes Jahr 1,1 | |
| Billionen Dollar in grüne Energien investiert werden.“ Derzeit sind es 121 | |
| Milliarden – etwa ein Zehntel. | |
| ## Das Klima schönrechnen | |
| Es muss also viel mehr Geld als bisher auf den Tisch. Woher nehmen? Ideen | |
| gibt es viele: Die ohnehin anstehenden weltweiten Investitionen von 90 | |
| Billionen Dollar in Kraftwerke, Verkehr und Landwirtschaft aus den nächsten | |
| 15 Jahren müssten nur nach Ökokriterien vergeben werden, befand letztes | |
| Jahr die UN-Expertenkommission New Climate Economy. Andere Experten | |
| schlagen vor, die Zentralbanken sollten dafür „grüne Staatsanleihen“ | |
| ausgeben oder das Geld über eine Steuer auf Finanzgeschäfte aufbringen. | |
| Möglich wäre auch Kapital aus Abgaben auf den Flug- und Schiffsverkehr, | |
| über den Emissionshandel oder über eine zusätzliche Steuer auf Kohle, Gas | |
| und Öl. Die Staaten könnten ihre Subventionen für Gas, Öl und Kohle | |
| streichen. Der G-7-Bericht der Bundesregierung urteilt über diese Ideen | |
| höflich, der „Fortschritt ist bisher gemischt“. Denn die gleichen Staaten, | |
| die bei den Klimaverhandlungen dringend nach neuen Geldquellen suchen, | |
| sperren sich zu Hause und international gegen diese neuen Abgaben. | |
| Die Hilfsorganisationen und die Entwicklungsländer sind deshalb alarmiert: | |
| Auf dem Papier könnten die Industrieländer die 100 Milliarden erreichen, | |
| ohne viel zu verändern. Das ist möglich, wie eine aktuelle Studie des World | |
| Resources Institute nahelegt: Zählt man alle Geldflüsse, die sich irgendwie | |
| mit „Klima“ in Verbindung bringen lassen, zusammen, kommt man über die 100 | |
| Milliarden. „Die Gefahr ist real, dass sich die Industriestaaten durch | |
| diesen Taschenspielertrick aus der Affäre ziehen, statt einen ehrlichen | |
| Fahrplan zu den versprochenen 100 Milliarden vorzulegen“, sagt Jan | |
| Kowalzig, Finanzexperte der Hilfsorganisation Oxfam. | |
| Noch eine andere Angst treibt die armen Länder um: dass Geld nur bekommt, | |
| wer aus dem Klimaschutz eine Geschäftsidee macht. Schon bislang fließt | |
| Kapital eher in Solaranlagen und Windparks, die Gewinn abwerfen, als in | |
| Bewässerung der Felder oder Sicherung der Küsten, also „Anpassung“ oder | |
| Schadensbegrenzung, die Zuschussgeschäfte sind. Das Geld kommt bisher in | |
| den wirklich armen Ländern vor allem in Afrika kaum an. Um das zu ändern, | |
| fordern die Entwicklungsländer, die Hälfte des globalen Marshallplans solle | |
| für Anpassung und Schadensersatz reserviert bleiben. Der Bedarf dafür ist | |
| riesig. Nach einer UN-Studie wird allein diese „Anpassung“ an den | |
| Klimawandel im Laufe der Zeit richtig teuer. Die Rede ist von 200 bis 300 | |
| Milliarden Dollar im Jahr. | |
| 12 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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