# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Klimaratlos | |
> Seit 1990 informiert der Weltklimarat IPCC über die Risiken des | |
> Klimawandels. Wir sind gewarnt und tun immer noch viel zu wenig. | |
Bild: Klimarisiko Dürre. | |
Antarktis, Forschungsstation Wostok, Anfang der 1980er Jahre: In der | |
Polarnacht steigen die Temperaturen kaum über minus 60 Grad Celsius. Die | |
wenigen Nachrichten, die eintreffen, sind nicht erfreulich. US-Präsident | |
Ronald Reagan hat gerade sein SDI-Programm gegen die Sowjetunion gestartet, | |
die im afghanischen Kriegssumpf feststeckt, während die Wirtschaft | |
stagniert. | |
In den Baracken der Forschungsstation singen die Wissenschaftler einander | |
Lieder von Georges Brassens und Wladimir Wyssozki vor. Die Forscher aus | |
Frankreich und der UdSSR werden aus der Luft von US-Flugzeugen versorgt. | |
Gemeinsam trotzen sie den Elementen, um endlich die Geheimnisse des Klimas | |
zu lüften. Ihr Vorhaben: ein Vorstoß ins Innere des 3700 Meter dicken | |
Gletschers zu ihren Füßen – und eine Reise in die Vergangenheit der Erde. | |
Im Februar 1985 beendeten die Wissenschaftler ihre Bohrungen im Eis. Nach | |
zwei weiteren Jahren, in denen sie aus den Eisbohrkernen wichtige | |
Informationen über die Luft- und Temperaturverhältnisse der letzten 160 000 | |
Jahre gewannen, ließ sich endlich mit Gewissheit sagen: Auf der Erde war es | |
schon manchmal wärmer und schon oft kälter als heute, doch die Temperatur | |
schwankte stets in Abhängigkeit von der Kohlendioxidmenge in der | |
Atmosphäre. Fest stand damals auch schon, dass die CO2-Konzentration seit | |
Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts stetig gestiegen | |
ist und historisch neue Dimensionen erreicht hat. | |
## Vier-Grad-Erwärmung bis zum Jahr 2100 | |
Diese Erkenntnisse, die durch Bohrungen im Meeressediment und durch die | |
Erforschung anderer Treibhausgase wie Methan untermauert wurden, | |
veranlassten die Vereinten Nationen 1988 dazu, den Weltklimarat | |
(Intergovernmental Pannel on Climate Change, IPCC) ins Leben zu rufen. | |
[1][Das IPCC hat die Aufgabe, die Welt über den aktuellen Forschungsstand | |
zum Thema Klimawandel zu informieren.] Seit seinem ersten Bericht im Jahr | |
1990 und dem fünften von 2013 erhöhte sich die prognostizierte | |
Wahrscheinlichkeit klimatischer Veränderungen kontinuierlich. | |
Der jüngste IPCC-Bericht fasst zusammen: „Die Erwärmung des Klimasystems | |
ist eindeutig, und viele der seit den 1950er Jahren beobachteten | |
Veränderungen sind in früheren Jahrzehnten und Jahrtausenden nicht | |
aufgetreten. Die Atmosphäre und der Ozean haben sich erwärmt, die Schnee- | |
und Eismengen sind zurückgegangen, der Meeresspiegel ist angestiegen und | |
die Konzentrationen der Treibhausgase haben zugenommen.“ An den Ursachen | |
besteht für die Wissenschaftler kaum mehr ein Zweifel: „Der menschliche | |
Einfluss auf das Klimasystem ist klar [. . .] Die Begrenzung des | |
Klimawandels erfordert beträchtliche und anhaltende Reduktionen der | |
Treibhausgasemissionen.“ | |
Auf der Basis verschiedener Klimamodelle informiert der Weltklimarat | |
regelmäßig über aktuelle Entwicklungen, vor allem aber erstellt er | |
Projektionen, die auf vier unterschiedlichen Szenarien beruhen. Die | |
pessimistischste Hypothese geht von keiner nennenswerten Reduktion der | |
Emissionen aus und prognostiziert bis 2100 einen Temperaturanstieg von etwa | |
4 Grad Celsius weltweit und 6 Grad auf dem Festland. Die Folgen wären | |
verheerend. Auch die mittleren Szenarien garantieren keine mittelfristige | |
Stabilisierung. | |
## Auftauen der Permafrostböden | |
Im optimistischsten der vier Szenarien bliebe der Temperaturanstieg unter 2 | |
Grad – ein Wert, den es keinesfalls zu überschreiten und am besten gar | |
nicht zu erreichen gilt. Jenseits dieser Grenze kommt es unausweichlich zu | |
unkontrollierbaren Klimaveränderungen: Die Eismassen Grönlands würden | |
schnell schmelzen, die Meeresströmungen ihre Richtung ändern, und das | |
Auftauen der Permafrostböden würde riesige Mengen CO2 freisetzen. | |
Das optimistische Szenario geht jedoch von einer sofortigen Kehrtwende aus, | |
mit der der CO2-Ausstoß innerhalb von zwei, drei Generationen quasi auf | |
null reduziert würde. Seit dem Rio-Gipfel 1992 und der Verabschiedung des | |
Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) | |
herrscht in der internationalen Staatengemeinschaft offiziell Einigkeit | |
darüber, dass es notwendig ist, sofort und radikal umzusteuern. Doch die | |
Lage ist seither nur schlimmer geworden: Der globale Kohlendioxidausstoß | |
lag 2013 bei mehr als 35,3 Milliarden Tonnen, 1990 waren es noch 23 | |
Milliarden Tonnen. Durch die Entwicklung in den Schwellenländern hat sich | |
der „anthropogene Einfluss“, also die Erderwärmung, die auf menschliche | |
Aktivitäten zurückgeht, zwischen 1980 und 2011 verdoppelt. | |
Der Klimawandel verstärkt die global bestehenden Ungleichgewichte und | |
Ungleichheiten sowie die Gefahren, denen die Ärmsten der Armen weitgehend | |
schutzlos ausgesetzt sind. Dürre, Orkane und unregelmäßige Monsunregen: Der | |
globale Süden bekommt bereits heute die Auswirkungen des Klimawandels zu | |
spüren, ohne überhaupt je die Errungenschaften der Industrialisierung | |
erlebt zu haben. In Afrika breitet sich die Wüste immer weiter in die | |
Sahelzone hinein aus, während 620 Millionen Menschen auf dem Kontinent noch | |
immer keinen Stromanschluss besitzen. | |
## Chevron, Klimakiller Nummer eins | |
Verantwortlich für diese Probleme sind historisch gesehen in erster Linie | |
die Industrieländer, allen voran die USA. Allein der US-Ölkonzern Chevron | |
soll seit seiner Gründung mehr als sechsmal so viele Emissionen in die | |
Atmosphäre geblasen haben wie alle Subsaharaländer (ohne Südafrika) seit | |
1850; Gazprom stößt so viel aus wie ganz Afrika und Saudi Aramco mehr als | |
ganz Lateinamerika. | |
Und obwohl die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas die Hauptursache des | |
Klimawandels ist, flossen 2013 staatliche Subventionen in Höhe von 480 | |
Milliarden Dollar in die fossilen Brennstoffe – mehr als das Vierfache der | |
Summe, die in regenerative Energien investiert wurde. | |
Angesichts einer derartigen Herausforderung wird die Logik der alten | |
Machtspiele zwischen den Nationalstaaten außer Kraft gesetzt. Aber die Wege | |
der internationalen Kooperation sind steil und voller Hindernisse. 1997 | |
weigerte sich der US-Senat , das Kioto-Protokoll zu ratifizieren, das eine | |
verbindliche Treibhausgasreduktion in 38 Industrienationen vorsah; die | |
Kopenhagener Klimakonferenz 2009 war am Ende ein Fiasko. Deshalb wurde die | |
diesjährige Weltklimakonferenz in Paris gründlich vorbereitet. Man setzte | |
dabei insbesondere auf freiwillige Klimaschutzzusagen, „Intended Nationally | |
Determined Contributions“. | |
## Weiterhin tabu: Steuern auf Kerosin und Schiffsdiesel | |
Mitte Oktober hatten 148 Länder, die zusammen für 87 Prozent der weltweiten | |
Emissionen verantwortlich sind, ihren Fahrplan vorgestellt – von den großen | |
Verschmutzerländern fehlten lediglich der Iran und Saudi-Arabien. Die Ziele | |
sind durchaus ehrgeizig: China will 2030 sein Emissionsmaximum erreichen, | |
die Europäische Union hat bis dahin eine Reduzierung ihres | |
Treibhausgasausstoßes um 40 Prozent gegenüber 1990 versprochen, und die USA | |
wollen es im Vergleich zu 2005 bis 2015 auf 26 Prozent weniger Emissionen | |
bringen. | |
Doch die Leiterin der Klimakonferenz, Laurence Tubiana, hat bereits | |
eingeräumt: „So positiv diese ersten Zusagen auch sind, sie reichen nicht | |
aus, um – ausgehend von der Konferenz in Paris – die Entwicklung | |
einzuleiten, die zum Erreichen des 2-Grad-Ziels vonnöten ist. Deshalb muss | |
das Pariser Abkommen Bestimmungen enthalten, die eine Überprüfung in | |
regelmäßigen Abständen vorsehen, so dass wir jedes Mal einen Schritt | |
weitergehen und unsere langfristigen Ziele erreichen können.“ | |
Bislang haben die französischen Organisatoren unbequeme Fragen im Vorfeld | |
vermieden, um den Nachfolgevertrag für das Kioto-Protokoll unter Dach und | |
Fach zu bringen. Das neue Abkommen mit verbindlichen Klimazielen für alle | |
195 Mitgliedstaaten der UN-Klimarahmenkonvention, soll ab 2020 in Kraft | |
treten. Im Vorfeld herrschen aber große Unklarheiten – etwa beim globalen | |
Reduktionsziel, bei der Festlegung eines weltweiten Emissionsmaximums oder | |
bei möglichen Kontrollmechanismen. Ein Tabu ist nach wie vor die | |
Steuerbefreiung für Flugbenzin und Schiffsdiesel. Eine generelle | |
Infragestellung unserer Produktions- und Konsumgewohnheiten ist nicht in | |
Sicht. | |
## TTIP und die Klimaschuldner | |
Einige Länder, etwa die USA, Deutschland oder die Golfemirate, werden ihre | |
Spuren in der Atmosphäre nie wieder beseitigen können, dafür sind ihre | |
Klimaschulden viel zu hoch. Von ihnen erwarten die Länder des globalen | |
Südens finanzielle Ausgleichszahlungen für eine kohlenstofffreie | |
Entwicklung, damit sie die extrem schädliche Etappe des massiven Verbrauchs | |
fossiler Brennstoffe überspringen können. Doch für die 100 Milliarden | |
Dollar, die jährlich zu diesem Zweck fließen müssten, fehlt es an Gebern. | |
Bei den Vorbereitungen zur diesjährigen 21. Weltklimakonferenz spielte auch | |
der wachsende Einfluss der Konzerne eine wichtige Rolle. Deren Credo | |
lautet: Die kommerziellen Interessen haben stets Vorrang vor sozial- und | |
umweltpolitischen Bemühungen. Und dieselben Verantwortlichen, die als | |
überzeugte Befürworter eines Klimaabkommens auftreten, verhandeln hinter | |
verschlossenen Türen gleichzeitig am Transatlantischen Freihandelsabkommen | |
(TTIP), das „ein offenes, transparentes und berechenbares Geschäftsumfeld | |
in Energieangelegenheiten und einen unbeschränkten und nachhaltigen Zugang | |
zu Rohstoffen sicherstellen“ soll. | |
Die Klimakatastrophe wird sich nur abwenden lassen, wenn der Großteil der | |
verbliebenen fossilen Energiereserven unter der Erde bleibt. Das ist eine | |
große Herausforderung, die nur dann weltweit angenommen werden wird, wenn | |
die wachsende Ungleichheit, die jegliche Solidarität unmöglich macht, | |
gleichzeitig bekämpft wird. Man erinnere sich nur an die Worte von George | |
Bush senior bei seiner Ankunft auf der Rio-Konferenz 1992: „Der | |
amerikanische Lebensstil ist nicht verhandelbar“ – ein Lebensstil, den | |
niemals alle Erdenbürger pflegen könnten. Durch diesen fortgesetzt | |
verschwenderischen Lebensstil haben wir 20 Jahre verloren, in denen die | |
notwendigen Weichenstellungen noch mehr erschwert wurden. | |
## Engineering gegen die Sonne | |
Es wäre gefährlich, noch mehr Zeit verstreichen zu lassen und uns auf | |
abseitige Lösungsansätze einzulassen – etwa das Geoengineering mit seinen | |
Versprechungen, mehr CO2 im Boden zu speichern oder die Sonneneinstrahlung | |
auf der Erde zu reduzieren. | |
Einen anderen Weg sind die nordeuropäischen Länder gegangen, die schon in | |
den frühen 1990er Jahren eine CO2-Steuer eingeführt haben. Damit konnten | |
sie ihren Treibhausgasausstoß erheblich reduzieren, ohne ihren Wohlstand | |
aufs Spiel zu setzen. Sie vergaben Kredite, mit denen die Energieeffizienz | |
bei Transportmitteln und Gebäuden verbessert und erneuerbare Energien | |
weiterentwickelt wurden. | |
Doch auch mit den regenerativen Energieträgern lässt sich eine steigende | |
Nachfrage nicht decken, denn die Metalle, die für die Herstellung von | |
Windrädern und Solaranlagen gebraucht werden, gehen ebenfalls zur Neige. | |
Wir sollten das Motto „Reduce, reuse, recycle“ ernst nehmen, unsere | |
Konsumgewohnheiten überdenken und lernen, unsere Lebensqualität an anderen | |
Kriterien als der Anhäufung von Gütern zu bemessen. | |
Optimisten werden einwenden, die Weltwirtschaft sei 2014 – bei konstanten | |
CO2-Emissionen – doch um 3 Prozent gewachsen. Aber ist das wirklich der | |
Beginn einer Entkopplung oder nur ein Nebeneffekt der allgemeinen | |
Konjunkturentwicklung? Die zahlreichen neu entstandenen Klimainitiativen | |
und auch Positionen moralischer Leitfiguren wie Papst Franziskus sprechen | |
immerhin dafür, dass das Problembewusstsein zugenommen hat. | |
21 Nov 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://ipcc.ch/ | |
## AUTOREN | |
Philippe Descamps | |
## TAGS | |
Kerosin | |
Treibhausgase | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Wüste | |
Erdgas | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Erneuerbare Energien | |
Ermittlungen | |
fossile Energien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Bildband über Wüsten: Kalte und heiße Extreme | |
Der neue Bildband von Michael Martin ist ein opulentes Werk über die Wüsten | |
dieser Erde von Spitzbergen bis zur Sahara. | |
Umweltkatastrophe in den USA: Die Ölpest der Lüfte | |
Aus einem unterirdischen Speicher in Kalifornien entweicht seit Monaten | |
Erdgas. Die Katastrophe ist nicht zu stoppen. | |
Aus „Le Monde diplomatique“: Die Erde im Kapitalozän | |
Ungleichheit und Umweltzerstörung haben dieselben Triebkräfte. Ihre | |
Veränderung wird von den Opfern des Hydrokarbon-Kapitalismus ausgehen. | |
Klimaforscher über die Erde: „Wir müssen unser Leben ändern“ | |
Klimaforscher Mojib Latif will, dass wir die Welt retten. Er fordert eine | |
Steuer auf alle Ressourcen – und verrät, wie er trotz der drohenden | |
Apokalypse entspannt bleibt. | |
Essay zu Klimakonferenzen: Besser als ihr Ruf | |
Jedes Land blickt auf die eigenen Interessen. Aber sind Klimaverhandlungen | |
deshalb überflüssig? Im Gegenteil: Sie sind erstaunlich effektiv. | |
Fossile Energien: Kohle wirft keine Kohle mehr ab | |
Der Finanzkonzern Allianz will seine Milliarden aus der Kohleindustrie | |
abziehen. Das soll das Weltklima schützen – und die eigene Rendite. | |
UN-Bericht zum Klimawandel: Mutmacher für zögerliche Länder | |
Die Vereinten Nationen fordern sofortiges Handeln bei Waldschutz, Ökostrom | |
und CO2-Steuern. Doch in vielen Ländern fehlt noch der Wille. | |
UN-Klimakonferenz in Paris: Klimadiplomatie ohne Gedöns | |
Die Verhandlungen gegen die Erderwärmung werden zu sehr von Männern | |
dominiert, kritisiert das Frauennetzwerk „Women for Climate Justice“. | |
Kommentar Klimaprotest-Verbot in Paris: Protestiert doppelt so laut | |
Aktivisten dürfen in Paris nicht gegen den Klimagipfel demonstrieren. Aber | |
Lobbyisten agitieren weiter. Nun müssen Alternativen her. | |
Manager über Energiewende: „Es fehlt der Business Case“ | |
Karsten Löffler über den Profit der Versicherer an den Risiken des | |
Klimawandels, die Finanzierung der Vorsorge und Rechenprobleme. | |
Ermittlungen gegen ExxonMobil: Klimawandel runtergespielt? | |
Einem Bericht zufolge ermittelt ein Staatsanwalt gegen den weltgrößten | |
Ölkonzern. Dieser wird verdächtigt, die Klimaforschung beeinflusst zu | |
haben. | |
Aus dem Postwachstumsatlas von LMd: Immer heißer | |
Es gibt nicht zu wenig, sondern zu viele fossile Ressourcen – sie müssen in | |
der Erde bleiben. |