# taz.de -- CO2-Emissionen gesunken: Ein Prozent Hoffnung | |
> 2014 sind die deutschen Kohlendioxid-Emissionen endlich mal gesunken. Das | |
> widerlegt das gefährlichste Argument gegen die Energiewende. | |
Bild: Braunkohlekraftwerk in Brandenburg. | |
BERLIN taz | Es ist nur ein einziges Prozent, und es sind nur „erste | |
Berechnungen“ – aber an der Zahl hängt der gute Ruf der deutschen | |
Energiewende. Denn zum ersten Mal seit Jahren ist 2014 der Ausstoß des | |
klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) aus deutschen Kraftwerken gesunken, | |
statt, wie bisher, weiterzusteigen. Umweltschützer atmen vorsichtig auf, | |
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) lässt sich sogar zu der | |
Aussage hinreißen, der „Klimaschutz kommt endlich wieder in die richtige | |
Richtung“. | |
Vor allem entkräften die Daten der „AG Energiebilanzen“ das giftigste | |
Argument von Gegnern der Energiewende: dass der ganze Aufwand dem | |
Klimaschutz sogar schadet. | |
Die aktuellen Daten legen das Gegenteil nahe. Die AG Energiebilanzen, eine | |
Kommission von Experten aus Wissenschaft und Unternehmen, rechnet für das | |
vergangene Jahr „mit einem Rückgang des energiebedingten CO2-Ausstoßes in | |
einer Größenordnung von gut 5 Prozent“, sagt Hans-Joachim Ziesing, der das | |
Wirtschaftsforschungsinstitut DIW in der AG vertritt, gegenüber der taz. | |
Rechne man den warmen Winter heraus, „dürften die CO2-Emissionen um etwa 1 | |
Prozent gesunken sein“. | |
Auf diese Nachricht haben die Anhänger der Energiewende ungeduldig | |
gewartet. Denn bisher hat die Energiewende, in die deutsche Verbraucher | |
jährlich etwa 20 Milliarden Euro investieren, ihren Zweck nicht erfüllt: | |
den Klimaschutz. Trotz rekordverdächtigen Zubaus von Wind- und Solaranlagen | |
und obwohl gerade die erneuerbaren Energien zum ersten Mal mit über 27 | |
Prozent den Löwenanteil an der deutschen Stromversorgung übernommen haben: | |
in drei der vier letzten Jahre hat die CO2-Emission in Deutschland | |
zugenommen. | |
## „Schmutziger Irrtum“? – von wegen | |
Von einem „schmutzigen Irrtum“ schrieb die Zeit: „Die Energiewende, wie s… | |
jetzt angelegt ist, macht die Luft nicht sauberer, sondern dreckiger.“ Und | |
der britische Economist höhnte über die deutsche Energiepolitik: „Sonnig, | |
windig, teuer und dreckig.“ | |
Zumindest an dieser Front werden Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und | |
seine Amts- und Parteigenossin Hendricks nun eine Atempause haben. Während | |
Gabriel 2015 an einer Reform des Strommarkts arbeiten wird und auch | |
entscheiden muss, mit welchen Kraftwerksreserven die Schwankungen des | |
Stroms aus Wind und Sonne ausgeglichen werden sollen, will Hendricks vor | |
der entscheidenden Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 weltweit für | |
die Energiewende werben. | |
Dabei muss sie sich nun nicht mehr von Warschau bis Peking vorhalten | |
lassen, dass der Klimaschutzmusterschüler Deutschland seine Hausaufgaben | |
nicht macht und zu Hause die Schornsteine immer kräftiger qualmen. Im | |
Gegenteil kann sie auf die neuen Daten der AG Energiebilanzen verweisen, | |
nach denen der Energieverbrauch 2014 auf den niedrigsten Wert seit der | |
Wiedervereinigung sank: um etwa 14 Prozent gegenüber 1990, während die | |
deutsche Wirtschaft im gleichen Zeitraum um über 30 Prozent wuchs. | |
Im vergangenen Jahr ist die Energieversorgung durch Gas weiter um 14 | |
Prozent eingebrochen (ein großes Problem für die Energiewende, die diese | |
relativ sauberen und flexiblen Kraftwerke dringend brauchen könnte), aber | |
auch die Anteile aus Steinkohle (minus 8 Prozent) und Braunkohle (minus 2 | |
Prozent) nahmen ab. | |
## „Agora“ mit eigener Analyse | |
Ist das „Energiewendeparadox“ damit erledigt? Patrick Graichen, Chef des | |
Thinktanks Agora-Energiewende, hat diesen Begriff geprägt, um die Zunahme | |
von CO2-Emissionen im Zuge der Energiewende zu beschreiben. Er sagt: „Für | |
die Steinkohle ja, für die Braunkohle nein.“ | |
Denn tatsächlich liegt der Rückgang bei den extrem dreckigen | |
Braunkohlekraftwerken zum großen Teil daran, dass die Öfen im vergangenen | |
Jahr wegen Revision abgeschaltet wurden. | |
Bei den älteren Steinkohlekraftwerken sieht Graichen aber durchaus einen | |
Effekt der Energiewende: Weil immer mehr Erneuerbare auf der Bühne | |
erscheinen, die, weil sie als Brennstoff nichts kosten, den Strompreis | |
senken, und weil weniger Strom verbraucht werde, „fallen die alten | |
Steinkohlekraftwerke hinten raus“. Die „echte CO2-Minderung“ ergebe sich | |
aber aus dem geringeren Stromverbrauch, sagt Graichen. | |
Weil das Thema so brisant ist, will die „Agora“ am 6. Januar mit einer | |
eigenen Analyse auf den Markt kommen. | |
## Für die Ziele reicht’s nicht | |
Hans-Joachim Ziesing dämpft die Euphorie. Der Rückgang des Stromverbrauchs | |
liege bisher vor allem an der milden Witterung, ein wenig an der Effizienz | |
und am „Schwächeln der energieintensiven chemischen Industrie“. Der alte | |
Trend zum Steigen der Emissionen habe sich nicht fortgesetzt, „aber eine | |
Trendwende sehen wir noch nicht, dafür fehlt eine stabile Bewegung nach | |
unten.“ Ziesing erinnert daran, dass sowohl die Steigerung der | |
Energieeffizienz als auch der Rückgang der Emissionen nicht genügen, um die | |
selbst gesteckten Ziele der Bundesregierung zu erreichen. | |
Dennoch haben die Argumente der Energiewendegegner an Überzeugungskraft | |
verloren: Erst hieß es, der Schwenk zu Sonne, Wind und Biomasse vertreibe | |
die Unternehmen, weil der Strom aus Deutschland zu teuer sei, dann stellte | |
sich heraus, dass gerade Firmen mit einer hohen Stromrechnung doppelt | |
profitieren, weil sie billigen grünen Strom einkaufen und von der | |
Öko-Umlage weitgehend befreit sind. Dann gab es Aufregung, weil die | |
EEG-Umlage zur Finanzierung der Öko-Energien stieg und stieg. | |
Doch ab Januar 2015 sinkt sie zum ersten Mal von 6,24 auf 6,17 Cent pro | |
Kilowattstunde. Und trotz der Belastung von etwa 250 Euro im Jahr für einen | |
Vierpersonenhaushalt bekommt die Energiewende in allen Umfragen von etwa 70 | |
Prozent Zustimmung. Nun entfällt auch noch zumindest für 2014 das Argument, | |
die Energiewende bringe nichts für den Klimaschutz – ein Argument, das Gerd | |
Rosenkranz von der Agora als das gefährlichste ansieht: „Durch steigende | |
CO2-Emissionen wird die Energiewende ökologisch diskreditiert. | |
Dann steht für die Menschen zu Recht die Frage im Raum: Warum eine so teure | |
Energiewende finanzieren, wenn sie nicht mal die versprochenen Ziele | |
erreicht?“ | |
## Reform des Emissionshandels geplant | |
Den Gegnern bleibt noch ein Argument, wie es etwa immer wieder der Chef des | |
ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, propagiert: Der Ausbau der erneuerbaren | |
Energien in Deutschland bringe nichts fürs Klima, weil die ungenutzten | |
Emissionszertifikate unter dem EU-Emissionshandel eben anderswo genutzt | |
würden. Da widerspricht regelmäßig das Umweltbundesamt: Der Ausbau der | |
Erneuerbaren sei schon berücksichtigt, die zulässige Menge an Zertifikaten | |
sei niedriger, weil der Zubau eingepreist ist. | |
Klar ist aber allen, dass der Emissionshandel derzeit nicht richtig | |
funktioniert und mit Preisen von etwa 7 Euro pro Tonne CO2 weit unter dem | |
Niveau liegt, das zur wirksamen Reduzierung des CO2-Ausstoßes führt. | |
Anfang 2015 sollen in Brüssel in der neu formierten EU-Kommission die | |
Verhandlungen über die Reform des Emissionshandels beginnen. Wenn das | |
absehbar lange und harte Ringen um diese umstrittene Reform die Aussicht | |
auf höhere Preise für CO2 bringen würde, wäre das einmal eine wirklich gute | |
Nachricht für die Energiewende. | |
Denn das würde die Braunkohle teurer und unrentabler machen – und die | |
deutsche Umweltministerin könnte sich über eine weitaus stärkere | |
CO2-Reduzierung freuen als das mickrige 1 Prozent. | |
2 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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