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# taz.de -- Ökonom über Kosten der Einwanderung: „Einwanderer sind ein Gesc…
> Migration muss gefördert werden, sagt der Ökonom Herbert Brücker. Viele,
> die heute nach Deutschland kommen, wollen arbeiten.
Bild: Die Beschäftigung ist stärker gestiegen als die Zuwanderung – ein „…
taz: Herr Brücker, was bringen Einwanderer dem deutschen Staat?
Herbert Brücker: Wie die Studie von Holger Bonin für die
[1][Bertelsmann-Stiftung gezeigt hat], übersteigen die Steuern und
Abgabenzahlungen der ausländischen Bevölkerung alle personenbezogenen
Leistungen des Staates und Transfers der Sozialabgaben um 3.300 Euro.
Der Ökonom Hans Werner Sinn behauptet, dass der Einwanderer den Staat im
Jahr 1.800 Euro kostet. Wie das?
Sinn rechnet die allgemeinen Staatsausgaben – für Bundeswehr,
Schuldendienst, Infrastruktur – einfach mit. Nach der Logik: Je mehr Leute
in Deutschland leben, desto mehr Geld [2][muss der Staat für sie ausgeben].
Und das ist falsch?
Es ergibt sich ein verzerrtes Bild, weil die allgemeinen Staatsausgaben
nicht proportional zur Bevölkerung steigen. Die Bundeswehr schlägt in
dieser Rechnung mit 400 Euro pro Jahr pro Einwohner zu Buche. Die fallen
aber mit und ohne Migration an. Das Gleiche gilt für die
Staatsverschuldung. Es ist aber fraglich, ob wegen ein paar hunderttausend
Migranten gleich neue Straßen gebaut werden. Es entsteht der Eindruck, als
hätte Hans-Werner Sinn immer die ungünstigste Variante gewählt. Übrigens
hat er ein wichtiges Faktum vergessen: Auch jeder deutsche Bürger würde in
dieser Rechnung den Staat 1.100 Euro pro Jahr kosten.
Sind solche scheinbar exakten Rechnungen seriös?
Wir reden von Modellen. Um das ganze Bild zu erfassen, müssen wir
Erwartungen über die Zukunft bilden. Die Einwanderer 2015 sind sehr viel
besser ausgebildet als die von 1985. Das beeinflusst die Bilanz extrem
positiv. Besser Ausgebildete verdienen mehr, zahlen mehr Steuern und sind
weniger schnell arbeitslos. Und: Die Nachfahren dieser Einwanderer sind in
der Regel auch hochqualifiziert. Es wird künftig gerade in den Eliten, in
Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Medien viel mehr Einwanderer und deren
Nachkommen geben als in der Vergangenheit.
Also wird sich Einwanderung für den deutschen Staat lohnen?
39 Prozent der Zuwanderer haben derzeit Hochschulabschluss – bei den
Deutschen sind es nur 22 Prozent. Die neuen Einwanderer sind ein Geschäft,
kein Verlust.
Sinn fordert eine „ideologiefreie Debatte über Migration“. Hat er damit
recht?
Wenn jemand für sich Anspruch nimmt, „ideologiefrei“ zu sein, sollte man
vorsichtig sein. Sinn stellt die Fakten selektiv dar. Zugleich stellt er
alle anderen, die diese Annahmen nicht teilen, unter Ideologieverdacht. Das
ist Polemik.
Der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin hat den Niedergang Deutschlands durch zu
viele zu niedrig qualifizierte Einwanderer an die Wand gemalt. War das also
pure Angstmache?
Das war einfach falsch. Sarrazin hat sich auf eine Zeit bezogen, als vor
allem schlecht ausgebildete Gastarbeiter angeworben wurden. Das war das
Ergebnis einer bewussten politischen Entscheidung. Die restriktive
Einwanderungspolitik, die Deutschland bis Mitte der 2000er Jahre verfolgt
hat, hat dies verfestigt. Heute erleben wir einen radikalen Wandel. Es
kommen viele Akademiker zu uns. Die mittlere Qualifikation, die
Facharbeiter, sind dagegen nur schwach unter den Zuwanderern vertreten. Und
es kommen auch überdurchschnittlich viele ohne abgeschlossene
Berufsausbildung. Allerdings muss man da genau hinschauen.
Inwiefern?
Viele Zuwanderer kommen aus Ländern, in denen es eine duale
Berufsausbildung wie bei uns nicht gibt. Sie haben aber oft an Schulen
wichtige Qualifikationen erworben, auch wenn sie nicht in das deutsche
Profil passen. Wir beobachten zudem, dass sich auch gering Qualifizierte
besser als früher in den Arbeitsmarkt integrieren – etwa bei Pflegeberufen.
Also: Vorsicht bei Verallgemeinerungen.
Merkt man bei der Zuwanderung nach Deutschland die Eurokrise – weil in
Südeuropa die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos sind?
Ja, aber die indirekten Effekte sind viel stärker als die direkten: Aus
Spanien, Italien, Griechenland und Portugal sind 2014 netto etwa 80.000
Personen nach Deutschland gekommen. Das ist überschaubar. Es gibt aber ganz
neue Ströme von Ost nach West. Rumänen und Bulgaren sind früher vor allem
nach Spanien und Italien gegangen. Das ist vorbei, wegen der Krise dort.
Jetzt kommen sie nach Deutschland.
Und klappt das?
2014 sind etwas mehr als 120.000 aus Bulgarien und Rumänien gekommen. 2015
rechnen wir mit ebenso vielen. Die Beschäftigung ist gleichzeitig genauso
stark oder stärker als die Zuwanderung gestiegen. Man kann von einem
Beschäftigungswunder sprechen.
Warum?
Die Erwerbsquote der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer ist in weniger
als einem Jahr von gut 60 auf 75 Prozent gestiegen. Das ist einmalig in der
deutschen Wirtschaftsgeschichte. Das zeigt: Wir haben es mit Arbeits-,
nicht mit Armutszuwanderung zu tun. Viele Bulgaren und Rumänen arbeiten
hier weit unter ihrem Ausbildungsniveau.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter aus Bukarest, der jetzt in München
kellnert – ist das nicht klassischer Braindrain, der den Heimatländern
schadet und uns als Krisengewinnler nutzt?
Nein. Es kommen neben den Hoch- auch gering Qualifizierte. Insgesamt sind
10 bis 15 Prozent der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung bereits
ausgewandert – nach Spanien, Italien und die USA. Das Problem ist weniger
eines der Abwanderung von Akademikern als eines der Demografie. Denn das
Bildungsniveau steigt dort – aber die Bevölkerung Bulgariens und Rumäniens
schrumpft schnell. Und das wird zum Problem für die Sozial- und
Rentensysteme in den beiden Ländern.
Ist es nicht engherzig, Einwanderung ökonomisch zu sehen?
Nein. Wir müssen versuchen zu verstehen, welche Wirkungen Zuwanderung auf
den Arbeitsmarkt und den Sozialstaat hat. Es ist Unsinn zu sagen: Wir
führen diesen Diskurs aus moralischen Gründen nicht. Falsch ist aber,
daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass bestimmte Gruppen nicht zu uns
kommen dürfen, weil sie weniger wert wären.
Sie referieren heute vor der SPD-Bundestagsfraktion. Was ist Ihre zentrale
Botschaft?
Wir sollten die aufgeheizte Debatte versachlichen. Auf mittlere Sicht muss
Deutschland sich mehr und nicht weniger für Zuwanderung öffnen. Denn die
Krise in Südeuropa ist irgendwann vorbei, dann wird die Migration aus der
EU stark abnehmen. Dann brauchen wir mehr Einwanderer aus Nicht-EU Staaten.
Das heißt: mehr länderübergreifende Arbeitsvermittlung, mehr
Sprachförderung, schnellere Integration von Asylbewerbern in den
Arbeitsmarkt. Es gibt genug Großbaustellen. Gerade vor dem Hintergrund der
Anschläge in Paris müssen wir die Werte einer offenen Gesellschaft
verteidigen – und zur offenen Gesellschaft gehört Migration.
11 Jan 2015
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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