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# taz.de -- Verschlüsselung mit GnuPG: Der bescheidene Herr Koch
> Er hätte viel Geld verdienen können: GnuPG heißt Werner Kochs Programm
> zur Datenverschlüsselung, das niemand geknackt hat. Nicht mal die NSA.
Bild: Werner Koch in seinem Arbeitszimmer. Er will, dass seine Software allen f…
ERKRATH-HOCHDAHL taz | Die Gefahr für die Vereinigten Staaten von Amerika
und Großbritannien geht von einem Keller in Erkrath-Hochdahl aus, 12
Minuten mit der S-Bahn von Düsseldorf. Werner Koch, 53 Jahre alt, sitzt
hier oft in einem Raum, der keine zehn Quadratmeter misst. Ein Schreibtisch
mit Computer steht da, Kabel hängen an den Wänden, auch die Platine eines
Terminals von British Airways. Nebenan rauscht der Brenner der Heizanlage
des Einfamilienhauses.
Was Werner Koch hier anstellt, muss so heikel sei, dass sich der
US-Präsident, Großbritanniens Premier und der deutsche Innenminister der
Sache annehmen. Sie wollen verbieten, dass Menschen Nachrichten
verschlüsseln dürfen. Terrorgefahr. Was sonst. Aber dazu müssen sie Werner
Koch stoppen.
Wie wurden Sie zu einer derartigen Bedrohung für die Welt, Herr Koch? „Ich
wollte eigentlich Physik studieren, und dann bin ich im Ferienjob hängen
geblieben als Programmierer. Ich mache das jetzt seit 1978.“
Das klingt harmlos, denn tatsächlich wurde Werner Koch so gut, dass er
half, der NSA die größte Niederlage ihrer Geschichte beizubringen. Aber so
würde Werner Koch, weil er bescheiden ist, das nie formulieren.
Er hat das ruhige Gemüt eines Mannes, der aussieht, wie ein deutscher
Familienvater aussieht: kleiner Bauchansatz, Jeans, Hemd, kein bisschen
modisch. Das Anarchistischste scheint das Poster mit der Banane von Velvet
Underground. Doch Werner Koch ist ein Nerd und sehr begabt. Das zeigt sich
spätestens, als er bei einer Veranstaltung dem Programmier-Guru Richard
Stallman begegnet, dem Vater der Freien-Software-Bewegung. 1997 muss das
gewesen sein. Ohne diese Begegnung wäre er dem mächtigsten Geheimdienst der
Erde, der NSA, nie aufgefallen.
Stallman gründete die Free Software Foundation, Werner Koch später ihren
europäischen Ableger. Stallman hat das für jeden frei zugängliche
Betriebssystem GNU entwickelt, was für „G is Not Unix“ steht und meint,
dass es zwar auf Linux-Rechnern funktioniert, aber nicht mit diesen
identisch ist. Eine Anspielung und ein Hinweis auf den speziellen Humor von
Hackern.
Weil Stallman sagte, jemand müsse jenseits des Atlantiks eine frei
zugängliche Verschlüsselungssoftware programmieren, damit jeder Mensch auf
der Welt seine Privatsphäre schützen könne, geht Koch in seinen Keller und
fängt damit an. Am 20. Dezember 1997 kommt Gnu Privacy Guard heraus: GnuPG,
die freie Software zur Verschlüsselung. Ausgestattet mit einem Algorithmus,
hart wie die sicherste militärische Panzerung. Mit GnuPG verschlüsselte
Daten kann bis heute niemand knacken.
## Greenwald beherrschte das Programm nicht
Wäre das anders, dann hätte ein junger Mann mit dem Decknamen „Cincinnatus�…
dem Journalisten Glenn Greenwald am 1. Dezember 2012 keine Mail geschickt
und ihn gebeten, weiter verschlüsselt zu kommunizieren. Weil Greenwald das
nicht beherrschte, wäre ihm fast die größte Enthüllung aller Zeiten
entgangen. Edward Snowden wandte sich an Laura Poitras. Beide benutzten
dann GnuPG.
Vor Werner Koch hatte der US-Amerikaner Phil Zimmermann 1991 das
Verschlüsselungsprogramm PGP entwickelt. PGP steht für „Pretty Good
Privacy“. Zimmermann wollte der US-amerikanischen Antiatomkraftbewegung
helfen, sich vor den Behörden zu schützen. Doch die US-Regierung erlaubte
keine Verschlüsselung. Der Export solcher Software fiel unter das
Rüstungskontrollgesetz. PGP definierten sie per Erlass als Munition.
Bill Clinton veranlasste, dass bei jeder Verschlüsselung der Schlüssel bei
der NSA hinterlegt werden müsse. Hacker und Bürgerrechtsorganisationen
mobilisierten Zehntausende. Die Auseinandersetzung ging als die Crypto Wars
in die Geschichte ein. Zimmermann umging die Exportbeschränkung, indem er
den Code als Buch abdruckte. Im Gegensatz zu Kochs GnuPG gibt es bei PGP
jedoch Patentbeschränkungen. Zudem trennte sich Zimmermann von seiner
Firma.
## Freie Zirkulation
„Phil will mit Software Geld verdienen. Das Prinzip von freier Software
versteht er nicht“, sagt Koch. Die Free Software Foundation definiert freie
Software so: „Die Freiheit, das Programm für jeden Zweck auszuführen. Die
Freiheit, die Funktionsweise eines Programms zu untersuchen und es an seine
Bedürfnisse anzupassen. Die Freiheit, Kopien weiterzugeben und damit seinen
Mitmenschen zu helfen. Die Freiheit, ein Programm zu verbessern, und die
Verbesserungen an die Öffentlichkeit weiterzugeben, sodass die gesamte
Gesellschaft profitiert.“
Dazu muss der Code im Gegensatz zu kommerzieller Software öffentlich sein.
Der Vorteil: Änderungen – etwa eingebaute Hintertüren von Geheimdiensten –
fallen auf. Werner Koch drückt auf eine Taste seiner wuchtigen Tastatur.
Der Monitor springt an. Ziffern und Zeichen, verteilt auf zwei Fenster: der
Quellcode von GnuPG. Mittlerweile besteht das Programm aus 300.000 Zeilen,
einzelne Abschnitte sind mit Kommentaren versehen, die ihre Funktion
erläutern.
Werner Koch beschreibt, was die Schönheit von Software ausmacht: „Sie
sollte elegant programmiert sein, schlank, aber gut lesbar. Die Kommentare
in Englisch, damit das auch andere nachvollziehen können.“ Ohne Schnörkel,
aber verständlich. Er bevorzugt die Programmiersprache C. Die sei am
nächsten an der Maschinensprache, also der direkten Kommunikation mit dem
Rechenprozessor. Wenn Koch in C programmiert, weiß er sofort, wie diese
Übersetzung in der Maschinensprache ankommt.
## Eigene Firma für Wartungsdienste
Während sich viele seiner Bekannten von Google kaufen ließen, gründet
Werner Koch mit seinem Bruder „g10Code“. Eine Firma, die für andere Firmen,
die GnuPG benutzen, Wartungsdienste anbietet. Denn auch Software altert:
„Bitrot sagen Hacker dazu.“ Doch GnuPG hat zu wenig Fehler und deswegen
kommen kaum Aufträge rein. Werner Koch winkt ab. Dann erzählt er, wie er
immer wieder als „Coder“ für Firmen arbeitet, um GnuPG zu finanzieren. Doch
2012 ist er kurz davor, alles hinzuwerfen.
Die Ironie der Geschichte ist, dass die Snowden-Enthüllungen Werner Koch
dazu bringen, weiterzumachen. Ein Hacker sagt, für Werner Koch gelte, was
in der Szene gemeinhin mit der „Bus-Theorie“ umschrieben werde: Würde er
von einem Bus überrollt, wäre es vorbei mit der frei verfügbaren
Verschlüsselung. Der Bus rollte schon an: Erst seit Anfang 2015 ist die
Finanzierung von GnuPG dank Crowdfunding gesichert.
Werner Koch widerlegt mit seiner chronischen Unterfinanzierung die
vermeintlichen Naturgesetze der Marktwirtschaft. Denn GnuPG verbreitet sich
unaufhaltsam. Bei der Mehrheit der Linux-Betriebssysteme ist die Software
heute Bestandteil der Sicherheitsarchitektur. Und wie viele Linux-Rechner
gibt es weltweit, Herr Koch? „Das kann ich nicht genau sagen, aber es
werden wohl ein paar hundert Millionen sein.“
## Der deutsche Herbst prägte ihn
Werner Koch hätte mit seinem Programm wohl exorbitant reich werden können,
doch er werkelt lieber an einer besseren Welt. Was sagt Ihre Frau dazu?
„Die ist genauso.“ Werner Kochs Idealismus geht auf die 1970er Jahre
zurück. „Da blickte ich in den Lauf einer Maschinenpistole. Das war kein
Spaß.“ Der Deutsche Herbst, Rasterfahndung. Bürgerrechte sind für ihn kein
Hindernis im Kampf gegen den Terror. Der Name seiner Firma g10code bezieht
sich auf den 10. Artikel im Grundgesetz, der das Post- und
Fernmeldegeheimnis regelt. Dieses sei „unverletzlich“, heißt es im ersten
Absatz.
Das stimmt so nicht, die Privatsphäre ist zum staatlichen Angriffsziel
geworden. Nach eigenen Angaben sammelt und speichert die NSA, deren
Hauptquartier „Crypto-City“ genannt wird, 29.000.000.000.000.000 Bytes pro
Tag. Ein Hacker sagt, dass das neue und gigantische Utah Data Center der
NSA dazu diene, die Daten zu speichern, die noch nicht geknackt werden
konnten. Dank Werner Koch gibt es noch Geheimnisse.
Vor wenigen Tagen bekam der Mann in Erkrath-Hochdahl Post aus den
Arabischen Emiraten. Man bietet ihm an, dorthin zu ziehen und ein
Sicherheitssystem aufzubauen. Sie schreiben, er würde viel Geld verdienen.
Werner Koch aber wird in Erkrath-Hochdahl wohnen bleiben, gegenüber dem
Wohnhaus seiner Eltern.
13 Feb 2015
## AUTOREN
Kai Schlieter
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