# taz.de -- Debatte Freie Software: Occupy Cyberspace! | |
> Man sollte das Digitale als Gemeingut denken. Der erste Kongress der Free | |
> Software Foundation Europe bietet dazu einen guten Anlass. | |
Bild: Freie Software ist mehr als Linux. Und Linux ist mehr als sein symbolisch… | |
[1][Das Internet sei kaputt], schrieb der einflussreiche Autor Sascha Lobo | |
im Januar 2014 mit Blick auf die umfassende Überwachung des Netzes durch | |
Geheimdienste und Konzerne. Sein Text erhielt ein großes Medienecho. | |
Unsere Computersoftware ist schon immer kaputt, und zwar nicht nur im | |
übertragenen Sinn. | |
Im November 2015 hielt das Bundesamt für Sicherheit in der | |
Informationstechnik in seinem [2][Jahresbericht zur Computersicherheit] | |
fest: Allein im Betriebssystem Windows und dessen Browser-Programm Internet | |
Explorer sowie im Apple-Betriebsprogramm Mac OS X und im weit verbreiteten | |
Programm Adobe Flash seien im ersten Dreivierteljahr 2015 rund 100 neue | |
Sicherheitslücken gefunden worden. | |
„Die Anzahl kritischer Schwachstellen in Standard-IT-Produkten hat sich | |
gegenüber den bereits hohen Werten in den Vorjahren noch einmal massiv | |
erhöht“, so das Fazit. Bundesinnenminister Thomas de Maizière kritisierte | |
die Softwarehersteller für ihre angeblich unzureichende Umsetzung von | |
Sicherheitsmaßnahmen und bezeichnete sogar Schadenersatzforderungen als | |
denkbar. Hierzu war das Medienecho allerdings bemerkenswert klein. Immerhin | |
forderte die Frankfurter Allgemeine Zeitung ein [3][„völlig neu zu | |
programmierendes, von Grund auf sicheres Betriebssystem“]. | |
## Commons for the people | |
Manche Fachleute argumentieren, dass absolute Sicherheit bei der | |
vorherrschenden Computerarchitektur unmöglich ist. Doch unsere Hauptsorge | |
sollte nicht der Mangel an technischer Perfektion sein. Wir müssen uns | |
zunächst aus der Klammer der Digitalisierungsgiganten befreien. Sowohl | |
Geheimdienste als auch Konzerne wollen das gesamte gesellschaftliche Leben | |
überblicken. | |
Internetdienste und Computersoftware eint deshalb ein Problem: Immer mehr | |
Menschen – tendenziell so ziemlich die ganze Menschheit – bewegen sich auf | |
im Normalfall privaten Tummelplätzen. Das muss nicht sein. Wir können uns | |
eine digitale Infrastruktur schaffen, die sich an den Konzepten des | |
öffentlichen Raums und des Gemeinguts („Commons“) orientiert. Leitbegriffe | |
sollten Dezentralität und Transparenz sein. | |
Bei Computersoftware folgt die Freie-Software-Bewegung diesen Prinzipien. | |
Nicht nur zu Windows und dem Handy-Betriebssystem Android – zu so ziemlich | |
allem, was Computerfirmen für die breite Masse produzieren, entwickeln | |
Leute in aller Welt eine Nachahmung mit Freier Software. Aus diesem Bereich | |
ist vor allem „Linux“ bekannt. Das ist der Dachbegriff für eine Vielzahl | |
von kostenlosen Betriebssystemen, die im Grunde quelloffen („Open Source“) | |
sind, die also jeder Mensch mit Ahnung selbst weiterentwickeln kann. | |
## Gemeingut mit strengen Regeln | |
Doch während „Open Source“ nur für einen pragmatischen Ansatz steht – e… | |
quelloffenes System kann stabiler, praktischer, besser zu entwickeln und | |
billiger sein –, bedeutet Freie Software mehr. Hier geht es um ein | |
Gemeingut, und zwar nach strengen Regeln. Fast alle der sogenannten | |
Linux-Betriebssysteme akzeptieren kleine Teile intransparenter Software, um | |
auf den generell für unfreie Software ausgelegten Rechnern laufen zu | |
können. Seit dem Bekanntwerden der allgegenwärtigen Infiltrierung von | |
IT-Infrastrukturen ist diese Intransparenz umso bedenklicher. Die | |
Freie-Software-Bewegung lehnt so etwas ab. | |
Internetplattformen für die soziale Vernetzung, die auf Dezentralität (die | |
Server können von den Nutzenden selbst betrieben werden) und Freie Software | |
setzen, gibt es längst. „Diaspora“ und „GNU social“ ersetzen Facebook … | |
Twitter. Die Plattform Mediagoblin bezeichnet sich selbst als „dezentrale | |
Alternative zu Flickr, YouTube, Soundcoud etc.“ Mag sein, dass das Internet | |
und die Computersoftware allgemein kaputt sind. Aber wenn etwas kaputt ist, | |
das ich gern benutzen würde, dann versuche ich es zu reparieren – umso | |
mehr, wenn ich das Ding sowieso nicht mehr loswerden kann. | |
Wer so denkt, findet jetzt am kommenden Wochenende in Berlin eine besonders | |
große Menge Gleichgesinnter. Von Freitag bis Sonntag findet der erste | |
[4][Kongress der Free Software Foundation Europe] (FSFE) statt. Die in | |
Berlin beheimatete Stiftung feiert dabei schon ihren 15. Geburtstag. Da | |
sie außerhalb der Szene eher unbekannt ist, muss sie sich selbst | |
gratulieren: „Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass die FSFE die | |
Grundfesten der IT verändert hat und dass wir eine tiefgreifende positive | |
Wirkung auf jeden haben, der in den letzten zehn Jahren vor einem Computer | |
saß, ein Telefon benutzt hat oder auf einem Tablet gespielt hat.“ | |
Vier Wochen später ruft eine radikalere Szene zu einem dreitägigen Kongress | |
nach Köln. Unter dem Titel [5][„Leben ist kein Algorithmus.] Solidarische | |
Perspektiven gegen den technologischen Zugriff“ soll die Vielfalt der | |
digitalen Angriffe auf uns alle gezeigt und Möglichkeiten einer | |
Gegenoffensive überlegt werden. | |
## Google sagt: Vernetzt euch! | |
Google, Amazon und Co. halten das Ziel der totalen Erfassung unseres | |
Verhaltens nicht geheim. Sie haben – auch über verstreute Tochterfirmen – | |
immer mehr Dienstleistungen für den Alltag im Angebot. Wir sollen immer | |
vernetzter sein, immer online, unser Leben wird zu einer einzigen ständigen | |
Datenerhebung. [6][Facebook ist am deutlichsten dabei], digitale | |
Interaktionen aus dem öffentlichen Raum in seinen halb privaten zu ziehen. | |
Der Konzern versucht, das gesamte Internet als solches zu ersetzen. | |
Beispiel Journalismus: Selbst die weltweit größten Zeitungen, bis hin zur | |
New York Times, erleben einen drastischen Einbruch der Zugriffe, die nicht | |
über Facebook kommen. Und wenn sie Artikel auf der Plattform verlinken, | |
werden die laut dem Autor Stefan Schulz nicht einmal allen Followern | |
angezeigt. Zuerst beurteilt Facebook automatisiert ihre Attraktivität. | |
Wir steuern auf den schlechten Film zu, in dem die Gesellschaft von einem | |
oder wenigen Konzernen beherrscht wird. Noch können wir aber gegensteuern – | |
und wir sind dabei nicht mal auf den Staat als Garant des Öffentlichen | |
angewiesen. Der digitale öffentliche Raum kann und muss auf dezentrale | |
Weise erschaffen werden. | |
2 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/abschied-von-der-utopie-die-… | |
[2] https://www.bsi.bund.de/DE/Publikationen/Lageberichte/lageberichte_node.html | |
[3] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/netzwirtschaft/sicherheit-im-internet… | |
[4] https://fsfe.org/community/events/2016/summit/frontpage | |
[5] https://bigdata.blackblogs.org/ | |
[6] /Schwerpunkt-Facebook/!t5009279/ | |
## AUTOREN | |
Ralf Hutter | |
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