| # taz.de -- Sterbehilfe von Ärzten: „Sie hängen an einem Rest von Leben“ | |
| > Soll ein Arzt beim Sterben helfen? Auf keinen Fall, sagt der | |
| > Palliativmediziner Georg Maschmeyer. Ein Gespräch über das Problem mit | |
| > dem letzten Willen. | |
| Bild: "Wir können mit Medikamenten Schmerz und Angst nehmen", sagt Georg Masch… | |
| taz: Herr Maschmeyer, Sie leiten eine Klinik, in der schwerstkranke | |
| Patienten behandelt werden, viele von ihnen am Lebensende. Wie vielen | |
| Menschen haben Sie als Arzt beim Sterben geholfen? | |
| Georg Maschmeyer: Bei uns wird täglich gestorben. Wir behandeln Menschen, | |
| die an Krebs, Leukämien und anderen schweren Bluterkrankungen leiden. Viele | |
| dieser Menschen können nicht geheilt werden. Es gibt einen Zeitpunkt, an | |
| dem die Bemühungen, die Krankheit zurückzudrängen, für uns Ärzte nicht mehr | |
| vertretbar sind, weil die Aussichten auf Erfolg so gering sind, dass die | |
| Nebenwirkungen alles dominieren. | |
| Wir konzentrieren uns dann darauf, die Auswirkungen der Krankheit zu | |
| bekämpfen, also Atemnot, Verstopfung, Schmerzen, Angst oder Übelkeit, aber | |
| nicht mehr die Krankheit selbst. Ich mache das seit 1981. Persönlich beim | |
| Sterben begleitet habe ich sicher einige hundert Menschen. Eine aktive | |
| Lebensbeendigung, indem ich jemandem eine Spritze gegeben oder eine Pumpe | |
| hochgefahren habe, damit er aufhört zu atmen, habe ich aber natürlich noch | |
| nie gemacht. | |
| Warum „natürlich“ nicht? | |
| Weil die Tötung auf Verlangen in Deutschland verboten ist. Weil sie dazu | |
| führt, dass man bestraft wird und seine Zulassung verliert. | |
| Aber wenn es erlaubt wäre, könnten Sie es sich vorstellen? | |
| Nein! Schauen Sie, im Regelfall kommen Patienten zu uns, die ausgesprochen | |
| schwer leiden und intensiv palliativmedizinisch betreut werden müssen. | |
| Anschließend können sie häufig zurück gehen, nach Hause, in ein Pflegeheim, | |
| ins Hospiz. Das ist die Regel. Die Ausnahme gibt es aber auch. | |
| Es kommt vor, dass Patienten im Moment der Aufnahme so verzweifelt und so | |
| gequält sind, dass sie sagen: ‚Jetzt geben Sie mir endlich eine Spritze, | |
| damit das aufhört!’ Es ist ein schwieriger Punkt, weil man sieht, wie | |
| unglaublich sie leiden, und es wäre ein Leichtes, ihnen eine solche Spritze | |
| zu geben… | |
| …aber? | |
| Sobald wir die akuten Beschwerden beseitigt haben, ist dieses Verlangen zu | |
| sterben innerhalb von Minuten bis Stunden weg. Es wird abgelöst durch den | |
| Wunsch, weiter zu leben. Und zwar auch in einem Zustand, den diese | |
| Patienten sich vielleicht noch vor ein paar Wochen so nicht hätten | |
| vorstellen können. Sie hängen plötzlich an einem ganz kleinen Rest von | |
| Leben. | |
| Das gilt selbst für diejenigen, die einen festen religiösen Glauben haben, | |
| dass nach dem Tod noch etwas passiert, und auch für diejenigen, die eine | |
| Patientenverfügung auf dem Nachttisch liegen haben, in der etwas ganz | |
| Anderes steht. Genau das ist der Konflikt. In der Akutsituation wollen die | |
| Patienten zu 90 Prozent nicht, was sie da geschrieben haben. Und dann | |
| müssen wir Ärzte herausfinden, was im Moment ihr tatsächlicher Wunsch ist. | |
| Angenommen, der Todeswunsch des Patienten bleibt dennoch stabil und er | |
| bittet Sie mehrfach, ihm ein todbringendes Medikament zu überlassen, was | |
| derzeit in Deutschland strafrechtlich nicht verboten ist. Helfen Sie ihm? | |
| Das sind diese konstruierten Fälle aus den Talkshows. Ein solcher Fall ist | |
| mir in 33 Jahren Berufspraxis nicht vorgekommen. Die Menschen wollen | |
| vielleicht sterben, aber sie wollen sich nicht selbst das Leben nehmen. Sie | |
| wollen, dass der Arzt das für sie erledigt. | |
| Jetzt sage ich Ihnen aber, ich schlucke das Medikament selbst, und Ihnen | |
| passiert strafrechtlich gar nichts. Was tun Sie? | |
| Ich würde es nicht machen, das kann ich sicher sagen. Es wird von uns | |
| Ärzten zu Recht erwartet, dass wir alles dafür tun, Leben zu erhalten und | |
| nicht darüber nachzudenken, wie wir es beenden können. | |
| Der Patientenwille hat Grenzen? | |
| Es geht nicht um Bevormundung oder darum, den Moralapostel zu geben. | |
| Diejenigen Menschen, die uns darum bitten, ihnen ein Medikament zu | |
| überlassen, sind keine Sterbenden. Sie wollen vorbeugen für einen Zeitpunkt | |
| X. Im Übrigen wissen wir, dass 90 Prozent der Menschen mit Suizidwunsch | |
| psychische Krankheiten haben. | |
| Empirische Daten aus dem US-Bundesstaat Oregon, wo ärztlich assistierter | |
| Suizid legal ist, zeigen doch aber gerade, dass allein die Möglichkeit, mit | |
| dem Arzt offen über Sterbehilfe sprechen zu können und für den Notfall über | |
| einen Medikamentenvorrat zu verfügen, häufig Selbsttötungen verhindert. | |
| Ich würde diese Oregon-Daten sehr skeptisch interpretieren. Von den | |
| Betroffenen, die tatsächlich ärztlich assistierten Suizid begangen haben, | |
| haben 60 Prozent als Grund angegeben, anderen nicht zur Last fallen zu | |
| wollen. Über 90 Prozent haben gesagt, sie wollten nicht länger auf Hilfe | |
| angewiesen sein. Und nur knapp 30 Prozent haben gesagt, sie hätten Angst | |
| vor unerträglichen Schmerzen. Was aber noch bedrückender ist, ist, dass von | |
| den Betroffenen aus Oregon 86 Prozent einsam und allein gestorben sind, | |
| irgendwo in einem Heim. Das ist kein Ausdruck von Entscheidungsfreiheit. | |
| Das ist ein Ausdruck von Elend. | |
| Die Frage nach der Zulässigkeit ärztlicher Beihilfe zum Suizid könnte 2015 | |
| zur zentralen bioethischen Debatte werden. Der Bundestag diskutiert mehrere | |
| Gesetzesentwürfe, wonach die bislang legale Beihilfe zur Selbsttötung | |
| verboten werden soll – möglicherweise auch für Ärzte. Ist das richtig? | |
| Es geht in den meisten Entwürfen darum, dass man die gewerbsmäßig oder | |
| geschäftsmäßig betriebene, organisierte Suizidbeihilfe dubioser | |
| Sterbehilfevereine untersagen will, und auch die Werbung dafür. Das ist in | |
| Ordnung. | |
| Im Zweifel würden sich Ärztekollegen, die anders denken als Sie, | |
| berufsrechtlich strafbar machen, wenn sie Menschen helfen, sich selbst zu | |
| töten. | |
| Ich denke, das ist prinzipiell auch in Ordnung so. Nehmen Sie die Zahlen | |
| aus Holland und Belgien an, da sehen Sie, wohin eine Freigabe führen kann. | |
| In Belgien wurde das Gesetz, das Tötung erlaubt, in den letzten zehn Jahren | |
| 25 Mal ausgeweitet. In Holland sterben 2,8 Prozent der Menschen durch | |
| Euthanasie. Wenn die Gesellschaft sich einmal daran gewöhnt hat, dass so | |
| eine Möglichkeit besteht, dann öffnet das Tür und Tor. Es wird dann mit | |
| edlen Motiven argumentiert, aber tatsächlich wird eine Exit-Strategie | |
| eröffnet – für Menschen, die als soziale Belastung empfunden werden. Ich | |
| halte das für ethisch problematisch. | |
| Das Dammbruch-Argument ist eine Unterstellung. In Deutschland diskutiert | |
| niemand die Legalisierung der Tötung auf Verlangen. | |
| Mir macht das trotzdem Sorge. Wir müssen uns um die Schwächsten kümmern, | |
| anstatt zu sagen, es wäre ein Element der Freiheit, dass Patienten aus dem | |
| Leben scheiden können. | |
| Medizinethiker wie Urban Wiesing und Ralf Jox oder der Palliativmediziner | |
| Gian Domenico Borasio argumentieren in einem eigenen Gesetzentwurf, Ärzten | |
| die Beihilfe zum Suizid untersagen zu wollen, sei unvereinbar sowohl mit | |
| der „Berufsausübungsfreiheit“ als auch mit dem „Grundrecht der | |
| Gewissensfreiheit des Arztes“. Irren sie? | |
| Aus ärztlicher Sicht finde ich diesen Gesetzentwurf monströs. Er fordert, | |
| dass Ärzte, die Suizidhilfe leisten wollen, bestimmte Qualifikationen | |
| nachweisen, Pflichten erfüllen, zeitliche Abläufe einhalten müssen. Die | |
| Ärzte müssen sich zudem überzeugen von diesem und jenem, sie müssen | |
| Checklisten führen, ihre Tätigkeit dokumentieren und sie melden. Kurz: Ein | |
| Arzt soll qualitätszertifiziert sein für einen Vorgang, bei dem es sich um | |
| eine ethische Ausnahmesituation handelt. Für mich ist das ein Widerspruch | |
| in sich, denn das, was da gefordert wird, schreit nach professioneller | |
| Organisation. | |
| Sie halten einen solchen Vorschlag für unvereinbar mit dem ärztlichen | |
| Ethos? | |
| Ich sage ganz klar: Wir Ärzte haben schon jetzt alle Möglichkeiten, die wir | |
| brauchen, um Sterbenden legal zu helfen. Wir können Patienten ausreichende | |
| Mengen von Medikamenten verschreiben, auch für zu Hause und auf Vorrat. Wir | |
| können durch Entlastung von Wasser in der Lunge die Luftnot beseitigen, und | |
| wir können mit Medikamenten Schmerzen und Angst nehmen. Und wenn Menschen | |
| mit Beginn des Sterbeprozesses darüber hinaus unsere Hilfe brauchen, dann | |
| geben wir ihnen eine Sedierung und irgendwann auch eine Dauersedierung. | |
| Das ist unsere tägliche Praxis. Sie erfolgt nicht im Graubereich, sondern | |
| sie entspricht den Grundsätzen der ärztlichen Sterbebegleitung der | |
| Bundesärztekammer. Sie ist uns nicht nur erlaubt, sondern wir sind | |
| verpflichtet, so zu handeln. Selbst wenn wir den Sterbevorgang damit | |
| verkürzen sollten. | |
| 28 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
| ## TAGS | |
| Palliativmedizin | |
| Ärztlich assistierter Suizid | |
| Sterbehilfe | |
| Tod | |
| Sterben | |
| Tod | |
| Tabuthema | |
| Strafgesetz | |
| Kongress | |
| Palliativmedizin | |
| Karl Lauterbach | |
| Leben | |
| Streitfrage | |
| Belgien | |
| Sterbehilfe | |
| Sterbehilfe | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Arzt über Gespräche mit Sterbenskranken: „Lernen, in sich zu fühlen“ | |
| Wie redet man mit Patienten, die unheilbar krank sind? Wie thematisiert ein | |
| Mediziner das Sterben und fragt sie nach ihren Plänen für die verbleibende | |
| Zeit? | |
| Messe sperrt Sterbehilfe-Verein aus: Worüber geschwiegen werden muss | |
| Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben darf nicht an einer Fachmesse | |
| Ende der Woche in Bremen teilnehmen. Das hat die Evangelische Kirche | |
| durchgesetzt. | |
| BGH-Richter über Beihilfe zum Suizid: „Positive Kultur des Sterbens“ | |
| BGH-Richter Thomas Fischer plädiert für eine Legalisierung der Tötung auf | |
| Verlangen. Die Sorge vor stark steigenden Suizid-Zahlen hält der Jurist für | |
| übertrieben. | |
| Kongress für Palliativmedizin: Hilfe zum Suizid o.k. | |
| Bei der 9. Bremer Tagung zur Palliativmedizin sprechen 600 Experten über | |
| Sterbebegleitung und mehr Lebensqualität für unheilbar kranke Menschen. | |
| Wer betreut die todkranken Kinder?: Hospizstreit um Braunschweig | |
| Der Verein Löwenherz für todkranke Kinder aus Syke arbeitet jetzt auch in | |
| Braunschweig. Der dortige Hospizverein bewertet das als unfreundlichen Akt. | |
| Debatte um Sterbehilfe: Der Tod als Dienstleistung | |
| Die Beihilfe zur Selbsttötung ist derzeit straffrei. Bei aktiver Hilfe | |
| müssen Ärzte bisher mit Sanktionen rechnen. Das könnte sich in diesem Jahr | |
| ändern. | |
| Diskussion um Sterbehilfe: Hilft halt der Klempner beim Sterben | |
| Was tut jemand, wenn er denkt, seine Mutter will sterben – es gibt aber | |
| keine Patientenverfügung? Von den Grenzen einer Ethikdiskussion. | |
| Die Streitfrage: Ist das Leben unantastbar? | |
| Der Gesundheitsminister möchte kommerzielle Angebote zur Sterbehilfe | |
| verbieten. Hat die Politik das Recht, über unseren Tod mitzubestimmen? | |
| Sterbehilfe für Straftäter in Belgien: Doch Therapie statt Todesspritze | |
| Es ist eine überraschende Wende beinahe in letzter Minute: Ein Mörder und | |
| Vergewaltiger in Belgien bekommt nun doch keine Sterbehilfe. | |
| Patientenschutz kritisiert Euthanasie: Belgien setze auf Töten statt Therapie | |
| Am 11. Januar soll der flämische Sexualstraftäter Frank Van den Bleeken | |
| getötet werden. Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz ist dagegen. | |
| Ethikrat gegen Sterbehilfe-Regelung: „Sterben ist nicht normierbar“ | |
| Suizidbeihilfe ist für den Ethikrat keine Aufgabe des Arztes. | |
| Gewissensentscheidungen müsse man aber respektieren. Ein Statement für | |
| Sterbehilfe ist das nicht. |