| # taz.de -- Diskussion um Sterbehilfe: Hilft halt der Klempner beim Sterben | |
| > Was tut jemand, wenn er denkt, seine Mutter will sterben – es gibt aber | |
| > keine Patientenverfügung? Von den Grenzen einer Ethikdiskussion. | |
| Bild: Brittany Maynard nahm sich das Leben, weil sie an Krebs litt. Wochen vorh… | |
| Die chilenische Regierung konnte Valentina Maureira nicht helfen. So sehr | |
| die 14 Jahre alte Chilenin auch darum gebeten hatte. Ein Regierungssprecher | |
| sagte, es sei schwer gewesen, „bei der Bitte des Mädchens nicht von | |
| Emotionen überwältigt zu werden“. Aber die Gesetzeslage in Chile ist klar: | |
| aktive Sterbehilfe ist verboten. Auch die mehr als 20 Briefe, die Maureiras | |
| Vater an die Staatschefin geschickt hatte, änderten nichts an der | |
| Entscheidung. | |
| Valentina Maureira leidet an der unheilbaren Erbkrankheit Mukoviszidose. | |
| Behandelt wird sie zurzeit in einer katholischen Universitätsklinik. In | |
| einem Youtube-Video hatte sie die Präsidentin darum gebeten, „ewig schlafen | |
| zu dürfen“. | |
| In Reims liegt der Franzose Vincent Lambert seit sieben Jahren im Wachkoma. | |
| Seine Frau würde die Ernährung gern einstellen lassen. Ein Gericht | |
| allerdings hat das verboten. Und auch Lamberts Eltern sind dagegen. Die | |
| Sache liegt jetzt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. | |
| Aufsehen erregte im November vergangenen Jahres auch der Fall der schwer | |
| krebskranken US-Amerikanerin Brittany Maynards, die sich mit einem | |
| Schmerzmittel das Leben nahm. | |
| Im Herbst dieses Jahres [1][wird sich der Bundestag in Berlin] mit | |
| Gesetzentwürfen zur Sterbehilfe befassen. Erst in dieser Woche hatte der | |
| Deutsche Ethikrat sich mit der Frage beschäftigt, ab wann ein Mensch als | |
| tot gilt. Hirntod sei ein ausreichendes Kriterium für eine Organentnahme | |
| beschloss das Gremium. | |
| Der Frage, wie wir sterben wollen oder sollten, widmen sich Gerichte, | |
| Parlamente und Staatschefs. Gerade das Jahr 2015 gilt vielen Befürwortern | |
| der Sterbehilfe in Deutschland als ein entscheidendes. Schließlich soll der | |
| Bundestag wieder einmal entscheiden. | |
| ## „Dann brauchen sie fachliche Hilfe“ | |
| Blassblauer Himmel. Photoshopgrüne Wiese. Ein älteres Paar, Rücken an | |
| Rücken. Über der Website der Organisation Exit prangt eine Idylle wie man | |
| sie sonst aus der Versicherungswerbung kennt. Für 45 Franken pro Jahr | |
| garantiert Exit Schweizer Bürgern einen schmerzlosen, selbstbestimmten Tod. | |
| Auch eine Art Versicherung. „Menschen leben manchmal länger, als sie das | |
| wollen. Patienten leiden manchmal mehr, als sie das ertragen. Dann brauchen | |
| sie fachliche Hilfe,“ beschreibt der Geschäftsführer Bernhard Sutter seine | |
| Motivation gegenüber der taz.am wochenende. | |
| Seit Jahresanfang führt er die Geschäfte des größten Vereins für | |
| assistierten Suizid im deutschsprachigen Raum und ist somit zentraler | |
| Akteur im anhaltenden Streit um die Sterbehilfe. 80.000 Mitglieder sammeln | |
| sich in seiner „Vereinigung für humanes Sterben“. | |
| Jedes Jahr stellen 2500 von ihnen einen Antrag auf begleiteten Freitod: | |
| unheilbar Kranke, Alte, Schwerstleidende ohne Aussicht auf Besserung – | |
| allesamt entschlossen zu sterben. Man versteht sich selbst als | |
| Organisation, die Suizide auch verhindert. 80 Prozent springen noch während | |
| der persönlichen Beratungsphase ab. Sie entscheiden sich für ein Leben mit | |
| der Krankheit. Auf den Rest wartet eine Überdosis des Beruhigungsmittels | |
| Natrium-Pentobarbital, das selbstständig eingenommen werden muss. „Heute | |
| will niemand mehr den Doktor, den Pfarrer, den Richter oder gar den | |
| Politiker fragen, wann und wie er sterben darf“, schreibt Sutter in einem | |
| Statement für die taz.am wochenende. | |
| ## Der Suizid werde seiner Ausnahmestellung beraubt | |
| Rechtliche Ungenauigkeiten liefern die Grundlage. In der Schweiz wie auch | |
| in Deutschland ist die uneigennützige Beihilfe zum Suizid prinzipiell | |
| straffrei. Ärzte müssen hierzulande jedoch mit Klagen wegen unterlassener | |
| Hilfeleistung und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz rechnen. | |
| Zusätzlich legte im Dezember 2014 der deutsche Ethikrat Einspruch gegen die | |
| organisierte Beihilfe zum Selbstmord ein. Der Suizid werde seiner | |
| Ausnahmestellung beraubt und bekomme „den Anschein der Normalität“, heißt | |
| es in dem 111-seitigen Dokument. | |
| Hinter dem Gesetzesentwurf, der im Herbst in den Bundestag kommt, stehen | |
| Personen wie die CDU-Bundestagsabgeordnete und Claudia Lücking-Michel. Ende | |
| des Jahres wird sie für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe stimmen. | |
| In der [2][taz.am wochenende vom 28. Februar/1. März] rechtfertigt sie den | |
| Vorstoß. Sie sieht eine Gefahr für lebensbedrohlich erkrankte Menschen und | |
| einen ökonomischem und psychologischen Druck. Mit der Enttabuisierung würde | |
| man „diese Menschen über Schwelle drängen, die sie selbst gar nicht | |
| überschreiten wollen. Das wäre das glatte Gegenteil von Selbstbestimmung | |
| bis zum Tode.“ | |
| Auch beim sozialdemokratischen Regierungspartner ist man skeptisch | |
| gegenüber den Sterbevereinen. SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese | |
| beschwört gegenüber der taz.am wochenende: „Die Ausweitung der Sterbehilfe | |
| ist keine Antwort auf die Sorgen und Nöte von schwerkranken Menschen und | |
| ihren Angehörigen.“ Eine verbesserte Versorgung mit Hospizen und | |
| Palliativplätzen sei die Lösung. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende | |
| Eva Högl attestiert die Bewährtheit bestehender Regelungen. Man müsse sich | |
| davor hüten, „durch gesetzliche Erleichterungen Einfalltore für die | |
| Legalisierung von aktiver Sterbehilfe zu schaffen,“ schreibt sie der taz.am | |
| wochenende. | |
| ## Am Ende erstickte der Sohn sie mit einem Handtuch | |
| Wie kompliziert manche Fälle sein können, zeigt das Beispiel von Jan. | |
| Sieben Jahre lag seine Mutter im Wachkoma. Unheilbar. Austherapiert. Jan | |
| glaubte, sie erlösen zu müssen. Allerdings hatte seine Mutter keine | |
| Patientenverfügung hinterlassen. Am Ende erstickte der Sohn sie mit einem | |
| Handtuch, weil er keine Alternative sah. Danach ging er ins Gefängnis. | |
| Martina Rosenberg, Autorin von „Mutter, wann stirbst du endlich?“, hat | |
| einen Buch über den Fall geschrieben. In der Titelgeschichte „Ist das noch | |
| ein Leben?“ der taz.am wochenende vom 28. Februar/1. März 2015 erzählt sie | |
| seine Geschichte, von der monatelangen Suche nach einem Ausweg, den letzten | |
| Minuten am Krankenbett. | |
| 34 Prozent der Ärzte in Deutschland wurden schon um Hilfe beim Suizid | |
| gebeten, zum Teil von Patienten, zum Teil auch von deren Angehörigen. 78 | |
| Prozent der Ärzte lehnen aktive Sterbehilfe, etwa durch Injektion eines | |
| tödlichen Medikaments, ab. In derselben Umfrage des Instituts für | |
| Demoskopie in Allensbach gaben 61 Prozent an, auch Beihilfe zum Suizid käme | |
| für sie auf keinen Fall infrage. | |
| Martina Rosenberg kritisiert deshalb die Bundesärztekammer. Deren Präsident | |
| Frank Ulrich Montgomery äußerte sich im Dezember zur ärztlichen Beihilfe | |
| beim Suizid. „Von mir aus soll es der Klempner oder wer auch immer machen, | |
| aber von den Ärzten gibt es keine klinisch saubere Suizidassistenz,“ sagte | |
| er damals auf der Pressekonferenz. | |
| „Jeder sollte das Recht haben, den Zeitpunkt seines Todes selbst zu | |
| bestimmen. Und haben wir als Gesellschaft nicht die Pflicht, diese Menschen | |
| dabei in Würde zu begleiten und ihre Wünsche zu akzeptieren?“, schreibt | |
| Rosenberg. | |
| Verantwortungsbewusstsein müsse das Fundament für unseren Umgang mit dem | |
| Tod sein, kommentiert der ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen | |
| Kirche Nikolaus Schneider die Debatte zur Streitfrage in der taz.am | |
| wochenende: „Hier brauchen wir auch Strukturen, die das Eingehen auf die | |
| Bedürfnisse Sterbender erleichtern.“ | |
| Die Titelgeschichte „Ist das noch ein Leben?“ und die Streitfrage „Soll | |
| Sterbehilfe erleichtert werden?“ lesen Sie [3][in der taz.am wochenende vom | |
| 28. Februar/1. März 2015]. Darin diskutieren außerdem: Peter Hintze, | |
| Vizepräsident des Deutschen Bundestages, die Leserin Jana Beck und die | |
| Autorin Inge Jens. | |
| 27 Feb 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/kw46_de_sterbebegleitung/… | |
| [2] /taw | |
| [3] /Ausgabe-vom-28-Februar-2015/!155433/ | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Lücker | |
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