| # taz.de -- BGH-Richter über Beihilfe zum Suizid: „Positive Kultur des Sterb… | |
| > BGH-Richter Thomas Fischer plädiert für eine Legalisierung der Tötung auf | |
| > Verlangen. Die Sorge vor stark steigenden Suizid-Zahlen hält der Jurist | |
| > für übertrieben. | |
| Bild: Man könne Menschen nicht dazu zwingen, sich bis zur äußersten Grenze d… | |
| taz: Herr Fischer, eine Mehrheit im Bundestag will künftig Menschen | |
| bestrafen, die anderen bei ihrer Selbsttötung helfen. Warum ist das falsch? | |
| Thomas Fischer: Die Selbsttötung ist straflos in Deutschland. Folglich kann | |
| eine Beteiligung daran auch nicht strafbar sein. An dieser guten Regelung | |
| etwas zu ändern, widerspräche eklatant unserer rechtsstaatlichen | |
| Vorstellung von Selbstbestimmung und individueller Verantwortung. | |
| Jeder soll autonom über sein Lebensende entscheiden dürfen? | |
| Selbstverständlich. Ich persönlich bin für eine Öffnung der Sterbehilfe bis | |
| hin zur Legalisierung der sogenannten aktiven Sterbehilfe, also der Tötung | |
| auf Verlangen. Diese Position ist derzeit in Deutschland noch nicht | |
| mehrheitsfähig, ich glaube aber, dass sie es wird, ähnlich wie in den | |
| Beneluxländern. | |
| Sie wollen den Paragrafen 216 im Strafgesetzbuch abschaffen, das Verbot der | |
| Tötung auf Verlangen? Ein Tabubruch! | |
| Ich will das Verbot nicht abschaffen, aber einschränken. Selbstverständlich | |
| kann es nicht sein, dass beliebige Menschen andere Menschen auffordern | |
| dürfen, sie zu erschießen, nur weil jetzt ihr Fußballverein abgestiegen | |
| ist. Aber die Tötung auf Verlangen könnte legal sein im Rahmen einer | |
| Regelung, die eine Begutachtung durch Ärzte beinhaltet. | |
| Aus Belgien und Holland wissen wir, dass die Zahl der assistierten Suizide | |
| seit der Liberalisierung der Sterbehilfe dort signifikant gestiegen ist. | |
| Politiker hierzulande fürchten deswegen einen Dammbruch. | |
| Was heißt schon: signifikant gestiegen? Selbst wenn die assistierten | |
| Suizide um 300 Prozent gestiegen wären, wären es immer noch sehr wenige. | |
| Wovor immer gewarnt wird, ist, dass die Menschen in großer Zahl dazu | |
| gedrängt werden, aus dem Leben zu scheiden, damit sie Angehörigen oder | |
| Pflegeheimen nicht zur Last fallen. Ich halte das für eine | |
| interessengeleitete Schwarzmalerei. Was wir brauchen, ist eine positive | |
| Kultur des Sterbens, also eine Einbeziehung des Sterbens in das Leben, | |
| umfassende Fürsorge und Beratung. | |
| Palliativmediziner argumentieren, es würde reichen, die medizinische | |
| Versorgung am Lebensende zu verbessern. Dann verschwände der Wunsch, | |
| vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, bei den meisten Patienten ganz von | |
| selbst. Irren diese Ärzte? | |
| Auch die Wirklichkeit der Palliativmedizin ist leider nicht so, wie viele | |
| sie schildern. Palliativmedizin kann Sterbehilfe ergänzen, aber nicht | |
| ersetzen. | |
| Warum? | |
| Es gibt Bereiche des Leidens, die sich palliativ nicht ausreichend regeln | |
| lassen. Außerdem kann man Menschen meiner Auffassung nach nicht dazu | |
| zwingen, sich bis zur äußersten Grenze der Leidensfähigkeit einem | |
| staatlichen Paternalismus zu unterwerfen. Ein Mensch, der bei vollem | |
| Verstand ist und eine tödliche Krankheitsdiagnose erhält, muss das Recht | |
| haben, sich in einer menschenwürdigen Weise das Leben zu nehmen oder nehmen | |
| zu lassen. Man darf diese Menschen nicht weiterhin darauf verweisen, sich | |
| vor Züge zu werfen oder von Gebäuden zu springen. | |
| Die Selbstbestimmung am Ende des Lebens ist durch zahlreiche Gesetzgebungen | |
| – Stichwörter Patientenverfügung und Therapiebegrenzung – gestärkt worde… | |
| Woher rührt der jetzt drohende Systembruch? | |
| Die Fragen der Selbstbestimmung am Lebensende sind hoch ideologisch | |
| besetzt. Wie bei der Abtreibung gibt es starke Kräfte, die bereit sind, | |
| ihre christlich beeinflusste Weltanschauung bis aufs Äußerste zu | |
| verteidigen. Sie warten nur darauf, den politischen Rollback initiieren zu | |
| können. Durch die Diskussion über den umstrittenen Sterbehilfeverein des | |
| ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch ist eine solche Hysterie | |
| entstanden, dass jetzt praktisch alle Politiker davon ausgehen, dass etwas | |
| geschehen muss. Es gibt aber keine Rechtfertigung dafür, im Schweinsgalopp | |
| irgendein Gesetz rauszupeitschen, das nicht nur verbietet, was ohnehin | |
| schon verboten ist, sondern weit darüber hinausgeht. | |
| Eine liberal argumentierende Gruppe im Parlament um den | |
| SPD-Gesundheitsexperten Lauterbach und den CDU-Politiker Hintze fordert, | |
| die Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen, will aber Ärzte | |
| ausdrücklich davon ausnehmen. Das finden Sie auch unvernünftig? | |
| Es ist mitnichten ein liberaler Vorschlag, er ist nur ein bisschen weniger | |
| illiberal als die anderen im Bundestag bisher diskutierten. Im Rechtsstaat | |
| ist erlaubt, was nicht verboten ist – nicht umgekehrt. Wir brauchen kein | |
| Gesetz, in dem steht, was uns erlaubt ist. Die ärztliche Suizidbeihilfe ist | |
| schon jetzt erlaubt. | |
| Berufsrechtlich ist sie vielerorts verboten. | |
| Ja, aber deswegen muss man kein Gesetz machen, das es allen anderen | |
| verbietet. Strafrechtlich riskieren Ärzte auch heute nichts, wenn sie ihren | |
| Patienten bei der Selbsttötung helfen. | |
| Welche Auswirkungen hätte es auf die Arbeit von Ärzten in Kliniken oder | |
| Hospizen, wenn die Beihilfe zum Suizid künftig per Strafgesetzbuch verboten | |
| wird? | |
| Sterbehilfe würde noch stärker als bisher in eine Tabuzone gedrängt. Die | |
| Angst vor eigener Bestrafung würde steigen. Aber dass deswegen tatsächlich | |
| die Anzahl der Sterbehilfefälle zurückgehen würde, wage ich zu bezweifeln. | |
| Sie würden nur nicht öffentlich. | |
| Sie haben zusammen mit 140 anderen prominenten deutschen Strafrechtlern | |
| eine Resolution gegen die geplante Strafverschärfung verabschiedet. Glauben | |
| Sie, dass die Politik sich davon beeindrucken lässt? | |
| Ich glaube, dass die Resolution der Strafrechtslehrer in Deutschland etwas | |
| bewirken kann. Die Kenntnisse vieler Bundestagsabgeordneter über die | |
| Rechtslage und die tatsächlichen Verhältnisse sind bisher sehr gering. 80 | |
| Prozent der Menschen im Land sind laut Umfragen für eine völlige Freigabe | |
| der Selbsttötung und der Sterbehilfe. Die Politik aber schaut auf die | |
| angeblich dumme Bevölkerung und meint, diese vor sich selbst schützen zu | |
| müssen. Das ist unhaltbar. | |
| Angenommen, das Gesetz kommt dennoch. Kippen Sie es dann – notfalls | |
| juristisch? | |
| Ich halte nichts davon, im Vorfeld von Gesetzesvorhaben hypothetisch über | |
| Gerichtsentscheidungen zu räsonnieren. Es kommt jetzt darauf an, eine | |
| illiberale und verfassungsrechtlich zweifelhafte Rechtsverschärfung zu | |
| verhindern. | |
| 22 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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