| # taz.de -- Bundestag debattiert über Gesetz: Vier Streitpunkte bei der Sterbe… | |
| > Im Herbst soll über ein neues Gesetz abgestimmt werden. Wie ist der | |
| > Status quo und was sind eigentlich die strittigen Punkte? | |
| Bild: Pro Jahr setzen etwa 10.000 Menschen in Deutschland ihrem Leben selbst ei… | |
| BERLIN taz | Der Bundestag hat erste Weichen für eine gesetzliche | |
| Neuregelung der Suizidhilfe in Deutschland gestellt. Seit Mittwoch liegen | |
| vier Gesetzentwürfe vor, über die die Parlamentarier am 3. Juli in erster | |
| Lesung beraten wollen. Im Herbst wollen sie abstimmen, welcher Entwurf | |
| tatsächlich in Kraft treten soll. Wie üblich bei bioethischen Debatten, | |
| handelt es sich um interfraktionelle Vorschläge. | |
| Auslöser der Debatte waren zunächst Sterbehilfevereine wie der des | |
| Hamburger Exjustizsenators Roger Kusch, die ihren Mitgliedern Unterstützung | |
| bei der Selbsttötung anbieten. Vielen Parlamentariern sind derlei Angebote | |
| ein Dorn im Auge; sie fürchten, dass die Selbsttötung so zu einem | |
| regelhaften Angebot am Lebensende werden könnte und dadurch Menschen, die | |
| dies ablehnen, unter Druck geraten könnten. | |
| In Deutschland ist der Suizid straffrei. Derzeit wird auch niemand dafür | |
| bestraft, dass er anderen hilft, sich das Leben zu nehmen, etwa indem er | |
| ihm ein todbringendes Medikament überlässt oder einen Strick besorgt. Das | |
| heißt konkret: Solange die Tatherrschaft bei der Person bleibt, die sterben | |
| möchte, ist die Hilfe zulässig. Aktive Sterbehilfe, also die Tötung auf | |
| Verlangen, ist dagegen in Deutschland – anders als etwa in den Niederlanden | |
| oder in Belgien – auch jetzt schon strafrechtlich verboten. Daran will | |
| niemand im Bundestag rütteln. | |
| Pro Jahr setzen etwa 10.000 Menschen in Deutschland ihrem Leben selbst ein | |
| Ende. Sie werfen sich vor Züge, stürzen sich von Brücken oder schlucken | |
| eine Überdosis Medikamente. Schätzungen zufolge greifen nur rund 500 von | |
| ihnen – derzeit völlig legal – bei ihrer Selbsttötung auf ein von | |
| Sterbehelfern bereitgestelltes Mittel zurück. | |
| ## Entkriminalisierung eines sensiblen Themas | |
| Auch aus diesem Grund wird der Sinn einer gesetzlichen Neuregelung, die zu | |
| einer strafrechtlichen Sanktionierung der Suizidhilfe führen würde, von | |
| vielen Juristen und Ärzten, aber auch von einer Mehrheit der Deutschen laut | |
| Umfragen bezweifelt. | |
| Bereits im April dieses Jahres hatten sich 140 Strafrechtswissenschaftler | |
| um die Juraprofessoren Eric Hilgendorf und Henning Rosenau in einer | |
| Resolution gegen die Strafbarkeit des assistierten Suizids „aus | |
| verfassungsrechtlichen und medizinethischen Gründen“ ausgesprochen. „Mit | |
| der Strafbarkeit des assistierten Suizids würde die in den letzten Jahren | |
| erreichte weitgehende Entkriminalisierung des sensiblen Themas Sterbehilfe | |
| konterkariert“, warnten damals die Juristen. | |
| Ähnlich äußerten sich Anfang Mai 180 Mediziner aus ganz Deutschland in | |
| einem Brandbrief an ihren Kammer-Präsidenten Frank Ulrich Montgomery. | |
| Montgomerys Credo, wonach es Ärzten standesrechtlich verboten ist, | |
| schwerstkranke Menschen in den Tod begleiten zu dürfen, sei nicht mit dem | |
| ärztlichen Berufsethos vereinbar, so die Verfasser des Briefs. | |
| Mit seiner paternalistischen Haltung schade Montgomery dem Ansehen des | |
| Arztberufs. Zudem vertreten die Verfasser folgende Auffassung: „Es ist | |
| nicht nur ethisch vertretbar, sondern hilfreich und human, einen | |
| schwerstleidenden Patienten nicht im Stich zu lassen.“ Wer sich | |
| „wohlinformiert“ dazu entschlossen habe, dem eigenen Leben ein Ende setzen | |
| zu wollen, verdiene Hilfe. | |
| ## 1. Ab ins Gefängnis ohne Kompromisse | |
| Wer: Initiatoren sind die CDU-Abgeordneten Thomas Dörflinger und Patrick | |
| Sensburg, der den NSA-Untersuchungsausschuss leitet | |
| Was: Die bislang legale Beihilfe zum Suizid soll kriminalisiert werden, und | |
| dies in vollen Zügen: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren“ soll | |
| bestraft werden, „wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten, | |
| oder ihm dazu Hilfe leistet“. Verankert werden soll dies im Strafgesetzbuch | |
| in Paragraf 217. Auch bereits „der Versuch“ der Suizidhilfe wäre demnach | |
| „strafbar“. Ausnahmen von der Strafbarkeit soll es keine geben – weder f�… | |
| Angehörige noch für Ärzte. | |
| Begründung: Die Haltung fußt auf einer empirisch nicht belegten | |
| Unterstellung: „Wenn lebenserhaltende Therapie und Tod als gleichwertige | |
| Alternativen gesehen werden, wird der Patient, der sich für die | |
| Lebenserhaltung entscheidet, den Angehörigen und der Gesellschaft gegenüber | |
| dafür begründungspflichtig.“ | |
| Chancen: Keine. Selbst vielen Lebensschützern und konservativen | |
| Unionspolitikern geht diese Radikalität zu weit. | |
| ## 2. Sterbehilfe ja, aber nicht geschäftsmäßig | |
| Wer: ein breites Bündnis aus Vertretern aller fünf Fraktionen, u. a. | |
| Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linkspartei), | |
| Harald Terpe (Grüne) und Michael Frieser (CSU). | |
| Was: Generell soll die Suizidhilfe wie bisher straffrei bleiben, doch der | |
| Teufel liegt im Detail: Sobald diese Hilfe nämlich über den Einzelfall | |
| hinausgeht und „geschäftsmäßig“ wird, was juristisch so viel bedeutet, d… | |
| sie auf Wiederholung angelegt ist, soll sie strafrechtlich geahndet werden | |
| – mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe. Dabei ist es | |
| den Verfassern des Entwurfs egal, ob die wiederholte Beihilfe zum Suizid | |
| von Ärzten, Sterbehelfern oder Vereinen geleistet wird; sie alle würden | |
| sich strafbar machen wegen der „geschäftsmäßigen Förderung der | |
| Selbsttötung“, wie es in Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs künftig laut | |
| ihrem Vorschlag heißen soll. Straffrei blieben lediglich Angehörige oder | |
| andere nahe stehende Personen, die einen Menschen, der Suizidhilfe sucht, | |
| zu einer entsprechenden, geschäftsmäßig handelnden Organisation hinfahren | |
| würden. | |
| Begründung: Die Verfasser wollen nach eigenen Angaben vermeiden, dass sich | |
| „die Beihilfe zum Suizid zu einem Dienstleistungsangebot der | |
| gesundheitlichen Versorgung“ entwickelt. Ansonsten drohe eine | |
| gesellschaftliche „Normalisierung“ oder ein „Gewöhnungseffekt“. Von ei… | |
| vollständigen strafbewehrten Verbot der Beihilfe zum Suizid sehen die | |
| Autoren ab, weil es „mit den verfassungspolitischen Grundentscheidungen des | |
| Grundgesetzes kaum zu vereinbaren“ und auch „politisch nicht gewollt“ wä… | |
| Chancen: Führende Strafrechtler aus Deutschland hatten in einem | |
| Positionspapier Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit solcher Pläne geäußert: | |
| Es sei kaum vorstellbar, eine Handlung, die zunächst jedem erlaubt sei, zu | |
| verbieten, sobald sie „geschäftsmäßig“ erfolge. Dennoch zeichnet sich im | |
| Bundestag ein breites Bündnis ab, das den Entwurf unterstützt – zu den | |
| bisherigen Unterzeichnern gehören etwa Bundesgesundheitsminister Hermann | |
| Gröhe (CDU), CDU-Fraktionschef Volker Kauder, Grünen-Chef Cem Özdemir und | |
| SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. | |
| ## 3. Der freie Wille wird nicht bestraft | |
| Wer: Zu der Gruppe der Verfasser und Unterstützer gehören Renate Künast und | |
| Anton Hofreiter (beide Grüne), Petra Sitte und Dietmar Bartsch (beide | |
| Linkspartei) und Johannes Kahrs (SPD). | |
| Was: Per Gesetz soll ausdrücklich positiv festgeschrieben werden, dass die | |
| Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist, egal von wem sie wie oft | |
| geleistet wird. Einzige Abweichung vom bisherigen Status quo: Wer | |
| „gewerbsmäßig“ Suizidhilfe anbietet, also mit der Beihilfe Geld verdienen | |
| will, soll bestraft werden – mit bis zu drei Jahren Haft oder einer | |
| Geldstrafe. Umstrittene Sterbehilfevereine müssten dagegen wohl keine | |
| Sanktionen befürchten – ihre Mitgliedsbeiträge dienen der Kostendeckung und | |
| nicht als „fortlaufende Einnahmequelle“. Für Ärzte und Vereine, die | |
| Suizidhilfe anbieten, soll es künftig eine Pflicht zur ergebnisoffenen | |
| Beratung samt schriftlicher Dokumentation geben. Die Hilfe zur Selbsttötung | |
| wird explizit als eine mögliche ärztliche Aufgabe definiert, die Ärzten | |
| nicht untersagt werden dürfe. Anderslautende „berufsständische Regelungen“ | |
| erklärt dieser Gesetzentwurf für „unwirksam“. Diese Formulierung freilich | |
| ist nicht bloß Quatsch, sondern verfassungswidrig, denn der Bund darf sich | |
| nicht Kompetenzen anmaßen, die einzig den Ländern zustehen – wie etwa das | |
| Berufsrecht. | |
| Begründung: „Staat und Gesellschaft dürfen es einem Menschen nicht | |
| abverlangen, einen qualvollen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen“, finden | |
| die Verfasser. Es müsse möglich sein, denen zu helfen, die sich | |
| selbstbestimmt das Leben nehmen möchten. „Durch Verbote und eine damit | |
| einhergehende Tabuisierung wird lediglich erreicht, den Suizid zu | |
| kriminalisieren, ohne die Häufigkeit seines Vorkommens damit reduzieren zu | |
| können.“ | |
| Chancen: Dürfte das Volk direkt abstimmen, dann hätte dieser Entwurf wohl | |
| die größten Chancen, Gesetz zu werden. Seine Position entspricht laut | |
| Umfragen dem Mehrheitswillen der Deutschen. Im Bundestag dagegen dürfte der | |
| Entwurf kaum Erfolgsaussicht haben – zu groß ist die Gruppe der | |
| Abgeordneten, die Angst vor der Freiheit des Einzelnen haben und glauben, | |
| mündige Bürger vor sich selbst schützen zu müssen. | |
| ## 4. Mehr Rechtssicherheit für Ärzte | |
| Wer: Federführend ausgearbeitet von SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann, | |
| Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und Vize-SPD-Fraktionschef Karl | |
| Lauterbach. | |
| Was: Es ist der einzige Entwurf, der ohne strafrechtliche Auflagen | |
| auskommt. Wer schwer krank ist und sein Leben aus freiem Willen selbst | |
| beenden möchte, soll nicht alleingelassen werden. Im Bürgerlichen | |
| Gesetzbuch soll festgeschrieben werden, dass unheilbar Kranke zur | |
| „Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens“ ärztliche Hilfe bei der | |
| „selbst vollzogenen Beendigung ihres Lebens“ erhalten dürfen. Allerdings | |
| müssen zuvor bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Dazu zählen eine ärztliche | |
| Beratung, die medizinische Feststellung, dass die Erkrankung unumkehrbar | |
| und der Tod wahrscheinlich ist, und die Bestätigung durch einen zweiten | |
| Arzt, dass der Todeswunsch und die Einwilligungsfähigkeit gegeben sind. | |
| Begründung: Menschen, die vorhaben, sich das Leben zu nehmen, dürften nicht | |
| alleingelassen werden. Zugleich bräuchten Ärzte, die Menschen bei der | |
| Selbsttötung assistieren wollten, mehr Rechtssicherheit. Sei beides | |
| garantiert, entzöge dies auch Sterbehilfevereinen die Existenzgrundlage. | |
| Chancen: Gelingt es der Gruppe, viele der noch Unentschlossenen im | |
| Bundestag zu überzeugen, dann könnte es am Ende ein Kopf-an-Kopf-Rennen | |
| geben zwischen diesem Entwurf und demjenigen Antrag, der die | |
| geschäftsmäßige Suizidhilfe verbieten will. | |
| 18 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
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