# taz.de -- BVerwG zu Patientenrechten: Freitod auf Rezept | |
> Unheilbar Kranke können in „Extremfällen“ künftig ein Medikament zur | |
> „schmerzlosen Selbsttötung“ erhalten. Das ist ein wegweisendes Urteil. | |
Bild: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig | |
LEIPZIG taz | Das Bundesverwaltungsgericht hat schwerkranken Patienten den | |
Weg zu einem risikolosen und schonenden Freitod ermöglicht – wenn es keine | |
zumutbare Alternative gibt. In Ausnahmefällen kann künftig das Medikament | |
Natrium-Pentobarbital an Sterbewillige verschrieben werden, entschied am | |
Donnerstagabend das höchste deutsche Verwaltungsgericht. Das Urteil ist | |
rechtskräftig. | |
Der Fall war dramatisch. Im April 2002 stürzte Bettina Koch beim Ausladen | |
ihres Autos und brach sich den Nacken. Seither konnte die Hundepflegerin | |
aus Braunschweig nur noch den Kopf bewegen. Trotz der Querschnittslähmung | |
hatte sie Krampfanfälle und am ganzen Körper Schmerzen. Die Ärzte | |
erklärten, ihr Zustand sei stabil, sie habe noch rund 15 Jahre zu leben. Da | |
beschloss Bettina Koch, dass sie sich selbst töten will. | |
Sie stellte beim Bundesamt für Arzneimittel (BfArM) in Bonn den Antrag auf | |
Abgabe von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital, einer tödlichen Dosis. Das | |
Narkosemittel führt nach Angaben von Experten zu einer Art „natürlichem | |
Entschlafen“. | |
Doch das Bundesamt lehnte Kochs Antrag unter Berufung auf das | |
Betäubungsmittelgesetz ab. Solche Medikamente dürften nur zur | |
„medizinischen Versorgung“, also zur Heilung und Linderung von Krankheiten, | |
eingesetzt werden. Die Vernichtung von Leben sei im Gesetz nicht | |
vorgesehen. | |
## In allen Instanzen verloren | |
Also ließ sich Bettina Koch im Februar 2005 in die Schweiz fahren, | |
begleitet von Mann und Tochter. Dort beging sie dann mithilfe der Schweizer | |
Organisation Dignitas Freitod – mit Natrium-Pentobarbital, das dort an | |
lebensmüde Schwerstkranke verschrieben werden darf. | |
Ihr Mann Ulrich Koch allerdings führte das Verfahren gegen das Bonner | |
Bundesamt fort, seine Frau hatte ihn vor ihrem Tod darum gebeten. Der heute | |
74-jährige Rentner will erreichen, dass künftig auch in Deutschland ein | |
solcher Suizid möglich wird. In bisher sieben Gerichtsverhandlunge ohne | |
Erfolg. | |
Zuletzt lehnte das OVG Münster im August 2015 seinen Antrag ab. Der | |
Gesetzgeber habe bei der Abwägung von Lebensschutz und | |
Selbstbestimmungsrecht einen weiten Gestaltungsspielraum, den er nicht | |
überschritten habe. | |
Überraschend eröffnet nun das Bundesverwaltungsgericht aber doch eine | |
Möglichkeit. Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehöre auch das Recht | |
eines „schwer und unheilbar kranken“ Patienten, zu entscheiden, „wie und … | |
welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll“ – vorausgesetzt, der | |
Patient kann seinen „Willen frei bilden“, sagte die Vorsitzende Richterin | |
Renate Philipp, bei der Begründung des Urteils. | |
## Andere Wege denkbar | |
Daraus könne sich im „extremen Einzelfall“ ergeben, dass der Staat den | |
Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten | |
eine „würdige und schmerzlose Selbsttötung“ ermöglicht. Voraussetzung | |
hierfür ist neben einer „unerträglichen Leidenssituation“, dass dem | |
Patienten keine „zumutbare Alternative“ zur Verfügung steht, so die | |
Richter. | |
Denkbar wäre etwa das selbstbestimmte Abschalten von künstlicher Beatmung | |
oder Ernährung, wenn dies ebenfalls zum Tod führt. Mithilfe von | |
Palliativmedizin könnte der Patient dann bis zum Tode schmerzfrei und | |
bewusstseinslos „sediert“ werden. | |
Allerdings hängt nicht jeder unheilbar Kranke an solchen Apparaten. In | |
solchen Fällen müsste der Wunsch auf Natrium-Pentobarbital künftig erfüllt | |
werden. Ob Ärzte darüber entscheiden oder das Bundesamt für Arzneimittel | |
ließ das Gericht offen. (Az.: 3 C 19.15) | |
2 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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