# taz.de -- Die Streitfrage: Ist das Leben unantastbar? | |
> Der Gesundheitsminister möchte kommerzielle Angebote zur Sterbehilfe | |
> verbieten. Hat die Politik das Recht, über unseren Tod mitzubestimmen? | |
Bild: Der ehemalige Hamburger Justizminister Roger Kusch zeigt 2008 eine Videoa… | |
Ein selbstbestimmtes Leben ist das Ziel eines jeden Menschen. Was aber, | |
wenn er sich für den Tod entscheidet? Und was, wenn er zum Sterben Hilfe | |
braucht? | |
Das deutsche Gesetz unterscheidet zwischen vier Formen der Sterbehilfe. | |
Passive Sterbehilfe beschreibt das Sterbenlassen durch Unterlassung. Einem | |
Komapatienten werden beispielsweise die lebenserhaltenden Geräte | |
abgeschaltet. Die passive Sterbehilfe ist in Deutschland seit 2010 erlaubt, | |
wenn der Patient in einer Verfügung vorab erklärt hat, dass die | |
Unterlassung seinem Willen entspricht. | |
Die indirekte Sterbehilfe meint das Verabreichen von schmerzlindernden | |
Medikamenten, die aufgrund ihrer Wirkung auf geschwächte Organe auch das | |
Leben verkürzen können. Ist ein Krebspatient im Endstadium damit | |
einverstanden, dass er früher stirbt weil er Morphium bekommt, ist das in | |
Deutschland erlaubt. | |
Wer Beihilfe zur Selbsttötung leistet, besorgt einem Patienten zum Beispiel | |
Gift, damit dieser sich selbst umbringen kann. Dieser Vorgang ist in der | |
Regel nicht strafbar. Der Helfer kann allerdings wegen unterlassener | |
Hilfeleistung bestraft werden, wenn er bei der Selbsttötung anwesend ist | |
und es unterlässt, den bewusstlosen Sterbenden zu retten. | |
Die aktive Sterbehilfe bezeichnet das Töten auf Verlangen und ist in | |
Deutschland verboten. Wenn jemand einem Patienten Gift verabreicht, weil | |
dieser den Wunsch äußert zu sterben, wird das mit bis zu fünf Jahren Haft | |
bestraft. Wenn unklar ist, ob der Patient überhaupt sterben wollte droht | |
eine Verurteilung wegen Totschlags. | |
## Ärzte wollen keine Profis für das Sterben sein | |
Die Sterbehilfe ist in Deutschland also relativ klar geregelt. Trotzdem | |
sollen die Gesetze zur Sterbehilfe in diesem Jahr reformiert werden. Vorab | |
versuchten die Bundestagsabgeordneten im November vergangenen Jahres in | |
einer Orientierungsdebatte erste Positionen zum Thema zu finden. | |
Aktuell werden die neuen Gesetzentwürfe erarbeitet, im Herbst diesen Jahres | |
wird der Bundestag schließlich über die dann vorliegenden Gesetzentwürfe | |
abstimmen. Ein erster Versuch, Sterbehilfe umfassend gesetzlich zu regeln, | |
war 2012 gescheitert. | |
Grund dafür ist unter anderem die unklare Rolle von Ärzten. So wird die | |
Sterbehilfe durch Ärzte in den Ärztekammern einzelner Länder | |
unterschiedlich geregelt. Je nach Landeskammer „darf“ oder „soll“ ein A… | |
keine Beihilfe zur Selbsttötung leisten. Der Präsident der | |
Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery hatte sich im vergangenen Jahr | |
deutlich gegen eine Erlaubnis der ärztlichen Beihilfe zum Suizid | |
ausgesprochen: „Wir möchten nicht die Profis für den Tod sein. Wir sind die | |
Profis für das Leben“, hatte Montgomery gesagt. Es gelte Hilfe zum Leben zu | |
geben, nicht Hilfe zum Sterben. | |
Ein weiterer Punkt ist die organisierte oder kommerzielle Sterbehilfe. | |
Diese ist bisher erlaubt, aber umstritten. So wurde der Vorsitzende des | |
Vereins Sterbehilfe Deutschland, Roger Kusch, Mitte vergangenen Jahres | |
gemeinsam mit einem Mediziner wegen Totschlags angeklagt. Laut | |
Staatsanwaltschaft sollen zwei Seniorinnen nicht ausreichend auf | |
Beratungsmöglichkeiten hingewiesen worden sein, ehe man ihnen bei der | |
Selbsttötung half. Der Verein hat nach eigenen Angaben bislang in mehr als | |
hundert Fällen Sterbehilfe geleistet. | |
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sprach sich deutlich gegen | |
organisierte und kommerzielle Angebote der Sterbehilfe aus: „Ich wehre mich | |
gegen eine Verklärung der Selbsttötung.“ Gröhe betonte jedoch auch: „An … | |
Straffreiheit der individuellen Selbsttötung und der Beihilfe dazu will ich | |
selbstverständlich festhalten.“ | |
## Abgeordnete stimmen nach Gewissen ab | |
Doch mit der angekündigten Reform melden sich auch Menschen zu Wort, denen | |
der gesetzliche Rahmen zu weit geht. So sprach sich der Paderborner | |
Erzbischhof Hans-Josef Becker in seinem Fastenbrief gegen Sterbehilfe aus. | |
Aus christlicher Sicht verbiete sich eine direkte und aktive Beendigung des | |
Lebens, heißt es in seinem Schreiben. | |
Auch die Abgeordneten im Bundestag sind sich der Tragweite der Debatte | |
bewusst. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von dem | |
vielleicht anspruchsvollsten Gesetzgebungsprozess in der laufenden | |
Legislaturperiode. Wenn es zur Abstimmung kommt, werden die Abgeordneten | |
nicht an die die Position von Partei oder Fraktion gebunden sein. Es | |
entscheidet nur das Gewissen. | |
Doch was sagt uns das Gewissen? Sollte Sterbehilfe für Mediziner und | |
Vereine erleichtert werden oder ist das Leben eines Menschen unantastbar? | |
Diskutieren Sie mit! Wir wählen unter den interessantesten Kommentaren | |
einen oder zwei aus und veröffentlichen sie in der taz.am wochenende vom | |
28.02./01.03. 2015. Ihr prägnantes Statement sollte nicht mehr als 400 | |
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der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie uns bis Mittwoch | |
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24 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
David Sahay | |
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