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# taz.de -- Sterbehilfe-Debatte unter Medizinern: Nicht ganz so einig
> Dürfen Mediziner Beihilfe zum Suizid leisten? Auch die Ärzteschaft ist
> gespalten. Ihr Präsident verteidigt dennoch das berufsrechtliche Verbot.
Bild: Medikamente im Zimmer eines Sterbehilfe-Vereins in Zürich.
BERLIN taz | In der Debatte um die Rolle der Ärzte bei der Sterbehilfe
verweigern immer mehr Mediziner in Deutschland ihrem obersten Funktionär
Frank Ulrich Montgomery die Gefolgschaft. Erst vor wenigen Tagen konnte der
Präsident der Bundesärztekammer in der Deutschen Medizinischen
Wochenschrift (DMW) nachlesen, dass nur noch 25 Prozent der Ärzte das von
ihm vehement geforderte berufsrechtliche Verbot des ärztlich assistierten
Suizids unterstützen.
Wissenschaftler des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der
Medizin der Ruhr-Universität Bochum hatten mehr als 700 Ärztinnen und Ärzte
in einer Studie zum Thema Sterbehilfe befragt – und ihre Ergebnisse in der
DMW veröffentlicht. „Das vom Vorstand der Bundesärztekammer unterstützte
berufsrechtliche Verbot wird nur von einer Minderheit der Ärzte
befürwortet“, fasste der Studienleiter und Medizinethiker Jan Schildmann
zusammen.
Innerhalb der Ärzteschaft gebe es, wie in anderen gesellschaftlichen
Bereichen auch, unterschiedliche Werthaltungen zu kontroversen ethischen
Themen. Dieser Wertepluralismus jedoch, warnte der Bochumer Medizinethiker,
könne nicht durch Mehrheitsentscheidungen geregelt werden. Genau das aber
versucht Montgomery derzeit mit allen Mitteln.
Schon bei seiner Wahl zum Ärztepräsidenten 2011 hatte Montgomery vor allem
auf die konservativen Funktionäre gesetzt und die Musterberufsordnung
verschärfen lassen. Seither heißt es dort, Ärzte „dürfen keine Hilfe zur
Selbsttötung leisten“. Die Mediziner gehen damit in ihrem Berufsrecht
weiter als der Gesetzgeber. Denn nach dem Strafrecht wird die mögliche
Beihilfe eines Arztes nicht geahndet, da der Suizid selbst nicht strafbar
ist.
## Ausnahmen vom Gebot
Montgomerys Problem: Aus juristischer – und damit machtpolitischer – Sicht
ist seine Musterberufsordnung irrelevant. Für das Standesrecht sind in
Deutschland die 17 Landesärztekammern zuständig. Doch acht von ihnen haben
die neue Formulierung bis heute nicht übernommen: In Baden-Württemberg,
Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Westfalen-Lippe
und Schleswig-Holstein existiert weiterhin kein explizites Verbot des
ärztlich assistierten Suizids. Wer hier einem Patienten hilft, der riskiert
keine berufsrechtlichen Konsequenzen. Man könnte auch sagen: Die Hälfte der
ärztlichen Landesfürsten tanzt ihrem Präsidenten auf der Nase herum.
Am Freitag nun suchte Montgomery die Machtprobe. Er ließ die turnusmäßige
Vorstandssitzung, zu der sich alle 17 Landesärztepräsidenten in Berlin
versammelt hatten, unterbrechen und bestellte in ihrer Anwesenheit die
Presse ein. „Ärzte leisten Hilfe beim Sterben, aber nicht zum Sterben“,
donnerte Montgomery. Die Haltung der Ärzte, behauptete er, sei in diesem
Punkt „ebenso einheitlich wie eindeutig“. Beihilfe zum Suizid gehöre „ni…
zu den ärztlichen Aufgaben". Von einem „Flickenteppich“ in den
Berufsordnungen, von dem Politik und Presse sprächen, könne „keine Rede“
sein, sagte Montgomery sichtlich erregt.
Fragen, weshalb einige Landesärztekammern den entsprechenden Paragrafen der
Musterberufsordnung dann immer noch nicht übernommen hätten, durften die
Landespräsidenten zunächst nicht selbst beantworten. „Wir haben uns darauf
geeinigt, dass Fragen, die mehrere Kammern betreffen, ich beantworte“,
beschied Montgomery. Und weil sich die Ärzte ja inhaltlich einig seien, sei
es im Grunde unwichtig, wer nun welchen Satz übernommen habe oder nicht,
wand sich Montgomery.
## Frage der Aufgabenbereiche
Tatsächlich? Auf explizite Bitten der Presse erhielten die Ärztepräsidenten
von Bayern und Baden-Württemberg, Max Kaplan und Ulrich Clever, dann doch
ein kurzes Rederecht. In ihren Kammerbezirken wird der ärztlich assistierte
Suizid besonders liberal gehandhabt, und in ihren Landesärzteblättern, den
offiziellen Verlautbarungsorganen der Kammern, hatten sie ihre Distanz zu
Montgomery in puncto Sterbehilfe zuletzt sogar schriftlich fixiert.
So ließ Clever 2012 veröffentlichen, dass „was die Beihilfe zum Suizid
angeht, berufsrechtlich keine strengere Regelung als die strafrechtliche
getroffen werden.“ In Kaplans Blatt wiederum hieß es im Herbst 2014, „dass
bestehende gesetzliche Regelungen des Strafgesetzbuches auch für Ärzte
gelten und daher nicht erneut in die Berufsordnung aufzunehmen sind“.
In Berlin verzichteten Kaplan und Clever darauf, ihren Konflikt mit
Montgomery verbal weiter zu verschärfen. „Wir wollten bloß die
Berufsordnung schlank halten und auf Redundanzen verzichten“, erklärte
Kaplan. „Ärzte sind Staatsbürger“, sagte Clever – was bedeute, dass fü…
keine anderen Regeln gelten könnten als für den Rest der Bevölkerung.
Beide, Kaplan und Clever, versicherten, auch sie seien überzeugt davon,
dass Beihilfe zum Suizid „nicht zu den ärztlichen Aufgaben“ gehöre. Was s…
nicht sagten: Was nicht zu den Aufgaben einer Berufsgruppe gehört, ist ihr
noch lange nicht verboten.
14 Dec 2014
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Sterbehilfe
Frank Ulrich Montgomery
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