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# taz.de -- Arzt über Gespräche mit Sterbenskranken: „Lernen, in sich zu f�…
> Wie redet man mit Patienten, die unheilbar krank sind? Wie thematisiert
> ein Mediziner das Sterben und fragt sie nach ihren Plänen für die
> verbleibende Zeit?
Bild: „Wir als Ärzte müssen den hohen Sockel verlassen und auf Augenhöhe m…
taz.am wochenende: Herr Grah, sie behandeln seit Jahrzehnten
LungenkrebspatientInnen. Wie gehen die meisten Ihrer Patienten mit der
Diagnose „unheilbar“ um?
Christian Grah: Natürlich sehr unterschiedlich. Viele verzweifeln oder
verdrängen. Aber es gibt immer wieder Menschen, bei denen angesichts des
Todes Erstaunliches entsteht. Die sich dieser existenziellen
Auseinandersetzung wirklich stellen: Was mache ich denn in der Zeit, die
mir noch bleibt?
Ist das nicht auch manchmal sehr schwierig und deprimierend für Sie als
Arzt, der ja eigentlich heilen will?
Nein, überhaupt nicht. Diese Beschäftigung damit hat mich immer mehr
entdecken lassen, was für einen Kosmos an Vielfältigkeit es gibt unter uns
Menschen. Ich würde schon sagen, es hat die Sinngebung meines Berufs immer
mehr verstärkt. Mit jedem Jahr erlebe ich immer stärker, welcher Vorzug es
ist, Menschen zu helfen, diese Sinnfragen stellen zu üben – also quasi
Geburtshelfer dafür zu sein. Geburtshelfer für den eigenen Sinn im Leben in
dieser wirklich schwierigen Krisenphase. Es ist für mich wirklich so, dass
ich die Erfahrung habe, dass das, wenn es gelingt, eine Neugeburt der
eigenen Persönlichkeit ist.
Eine Neugeburt im Angesicht des Todes?
Ja, denn ich sehe es als meine Aufgabe an, die Patienten so zu
unterstützen, dass wir als Ärzte und Pflegepersonal hinhören lernen: Was
braucht der andere jetzt, was braucht der Betroffene? Dass es also nicht
nur um das möglichst optimale Reinträufeln von Chemotherapie geht oder auch
die bestmögliche Operation – die selbstverständlich gewährleistet sein muss
–, sondern häufiger auch Fragen zu stellen: Wo willst du denn noch hin, was
ist dir denn noch wichtig? Das ist für mich ein wichtiges Motiv im
Begleiten von Patienten, die eine endliche Lebenszeit vor sich haben, viel
endlicher als sie es sich vorgestellt haben. Dass man irgendwie lernt, in
sich zu fühlen. Das hält auch uns oder mir persönlich immer wieder den
Spiegel vor: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben? Und ich würde schon
sagen, die mitunter wichtigsten Fragen in meinem Leben habe ich von meinen
Patienten gehört. Weil die mir das natürlich zeigen.
Aber für diese Begleitung und diese Gespräche braucht man ja sehr viel
Zeit. Zeit, die die meisten Ärzte gar nicht haben oder die ihnen nicht
vergütet wird.
Ja, das ist eine Frage unseres Medizinsystems. Lässt es das zu? Genauso wie
wir die Todesfrage in unserer Gesellschaft verdrängen, kann auch der
Mediziner diese Frage komplett aus seinem Leben verdrängen. Insofern ist
für mich Medizin auch immer so ein bisschen ein Brennglas der Gesellschaft.
Wir alle sind ja der Endlichkeit ausgeliefert und verdrängen es. Und
krebskrank werden, das heißt plötzlich: Ich kann es nicht mehr verdrängen.
Und jetzt ist die Frage: Verdrängen wir es nicht kollektiv, dass wir alle
sterben müssen?
Die Möglichkeit des Todes wird in der Krebsbehandlung noch viel zu oft
nicht offen ausgesprochen?
Ja, auch das geschieht in Krebszentren. Und auch mal schnell bei uns, dass
man nicht offen die Frage stellt: Wie möchtest du sterben? Es kann sein,
dass das Leben nicht mehr sehr lange währt und wie soll denn die Therapie
dann fortgeführt werden? Und wann soll sie auch enden? Wir nennen das das
Therapie-Begrenzungs-Gespräch. Dass die Betroffenen auch für sich sagen,
was für einen Sinn sie in der Therapie sehen oder auch überhaupt: Was sie
für einen Sinn im Leben sehen.
Warum ist das so wichtig?
Was dem Betroffenen gut tut, kann nur er selbst entscheiden. Wir als Ärzte
müssen deswegen den hohen Sockel verlassen und auf Augenhöhe mit den
Patienten reden. Diese Techniken haben wir bisher in der Onkologie nicht
systematisch entwickelt. Patienten müssen kompetent werden und sollen sich
nicht als Objekt einer Medizinmaschinerie ausliefern. Sie sollen zum
Beispiel wissen, dass eine Chemotherapie oft nicht heilt, sondern nur
verlängert. Es geht nicht nur um Quantität, sondern um die Qualität der
Zeit, die noch bleibt. Zum Kranksein gehört ja auch ganz viel Leben.
Wir sollten also hinhören lernen, was die Kranken zu sagen haben über das
Leben?
Ja, genau. Ich hatte einen für mich wichtigen Patienten – Christoph
Schlingensief. Der schreibt in seinem Buch „So schön wie hier kann’s im
Himmel gar nicht sein“, dass bei dem Kranken wieder Antennen angehen. Das
ist ein Begriff von Beuys, den er übernommen hat. Beim Kranken fangen
Antennen wieder an zu funken, die stumm waren. Und mit diesen Antennen baut
er als Kranker an der Gesellschaft mit. Bei Christoph Schlingensief konkret
war das: Eigentlich muss ich dahin gehen, wo die Menschheit herkommt, also
nach Afrika – und muss gucken, wie ich da was Gesundes hinbringen kann.
Aber nicht, indem ich als Weißnasentyp und als Besserwisser hingehe,
sondern indem ich helfe, dass die an ihre Kreativität anschließen. Deswegen
das [1][Operndorf] im Sinne des erweiterten Kunstbegriffs. Das ist dann die
Energie, die man hinterlässt. Und die ist nicht sterblich.
29 Jan 2016
## LINKS
[1] http://www.operndorf-afrika.com/
## AUTOREN
Sandra Löhr
## TAGS
Tod
Krebs
Sterben
Krebs
Palliativmedizin
Familie
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