# taz.de -- Auschwitz-Prozess in Lüneburg: „Ich habe den Nazis vergeben“ | |
> Eine Überlebende des KZ Auschwitz hat dem Angeklagten SS-Mann Oskar | |
> Gröning die Hand gereicht. Aber ihre Vergebung spreche die Täter nicht | |
> frei. | |
Bild: Die Auschwitz-Überlebende beim Gröning-Prozess in Lüneburg. | |
LÜNEBURG dpa | Im Auschwitz-Prozess hat eine Überlebende des | |
Konzentrationslagers dem angeklagten früheren SS-Mann Oskar Gröning die | |
Hand zur Versöhnung gereicht. „Ich habe den Nazis vergeben“, sagte Eva Kor | |
am Mittwoch, einen Tag nach ihrer ungewöhnlichen Geste. Die 81-Jährige hat | |
mit ihrer Zwillingsschwester grausame medizinische Experimente in Auschwitz | |
überlebt, die übrigen Familienmitglieder starben dort. | |
„Meine Vergebung spricht die Täter nicht frei“, betonte sie am zweiten | |
Prozesstag am Landgericht Lüneburg. An Gröning appellierte sie, umfassend | |
auszusagen und auch Neonazis die Wahrheit über Auschwitz zu erzählen. | |
Gröning wird Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen. | |
Der 93-Jährige hatte sich zum Prozessbeginn zu seiner moralischen Mitschuld | |
bekannt. In dem Lager im besetzten Polen ermordete das | |
nationalsozialistische Regime im Zweiten Weltkrieg mehr als eine Million | |
Menschen, weit überwiegend Juden. | |
Kor sagte, sie habe Gröning am Dienstag die Hand gereicht, unter Ausschluss | |
der Öffentlichkeit. Er sei aber im selben Augenblick wegen eines | |
Schwächeanfalls weggesackt. Sie habe dann noch versucht, dem 93-Jährigen | |
aufzuhelfen.Tags darauf sagte sie im Prozess: „Ich hoffe, dass Sie und ich | |
uns als ehemalige Gegner als Menschen begegnen können.“ Sie betonte, sie | |
gebe ihre Erklärung nur in ihrem Namen ab. Kor nannte das Verzeihen einen | |
Akt der Selbstheilung und der Selbstbefreiung. | |
Gröning setzte seine Aussage fort und bestritt, regelmäßigen Dienst bei der | |
Selektion eintreffender Juden in dem Konzentrationslager geleistet zu | |
haben. An der Rampe in dem auch Auschwitz II genannten Auschwitz-Birkenau | |
sei er in der fraglichen Zeit während der sogenannten „Ungarn-Aktion“ nur | |
dreimal im Einsatz gewesen. Die Anklage beschränkt sich aus rechtlichen | |
Gründen auf die rund 137 Transporte aus Ungarn im Sommer 1944. Gröning | |
hatte gestanden, das von den Häftlingen genommene Geld gezählt und nach | |
Berlin gebracht zu haben. Die Anklage wirft ihm vor, so dem NS-Regime | |
wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Töten unterstützt | |
zu haben. | |
## Begrenzte Kapazität der Gaskammern | |
Zum systematischen Massenmord an rund einer Million Menschen in Auschwitz | |
sagte Gröning: „Die Kapazität der Gaskammern oder auch der Krematorien war | |
reichlich begrenzt.“ Und weiter: „Man rühmte sich, dass man in 24 Stunden | |
5.000 Tote entsorgen könnte.“ Immer wieder zeigte Gröning erhebliche | |
Konzentrationsschwierigkeiten. Von Umbauten in Birkenau 1944 und der | |
blutigen Auflösung des sogenannten „Zigeunerlagers“ habe er keine Kenntnis | |
gehabt. „Ich bin ein armer kleiner Unteroffizier gewesen“, sagte der | |
Freiwillige der Waffen-SS. | |
Die 81-jährige Eva Kor schilderte anschließend die Ankunft ihrer Familie im | |
Lager im Mai 1944 mit den Eltern und ihren drei Schwestern, darunter | |
Zwillingsschwester Miriam. „Nur 30 Minuten nach der Ankunft an der Rampe | |
wurden Miriam und ich für immer von unserer Familie getrennt“, sagte sie. | |
Nur die beiden Mädchen hätten überlebt. Die Schwestern gehören zu den | |
wenigen Zwillingen, die die vom gefürchteten Lagerarzt Josef Mengele | |
geleiteten Experimente überstanden. | |
Kor beschrieb in ihrer Erklärung die grauenvollen Versuche. „Ich krabbelte | |
auf dem Boden, weil ich nicht mehr gehen konnte“, sagte sie, nachdem man | |
ihr eine Injektion mit bis heute unbekanntem Inhalt verabreicht hatte. „70 | |
Jahre später bin ich hier, weil ich nicht aufgegeben habe.“ | |
22 Apr 2015 | |
## TAGS | |
Konzentrationslager | |
Nazis | |
Oskar Gröning | |
Auschwitz | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Oskar Gröning | |
John Demjanjuk | |
Kriegsverbrechen | |
Vernichtungslager | |
SSW | |
Prozess | |
NS-Fahndungsstelle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Urteil im Auschwitz-Prozess: Ein Vorbild in Rechtsstaatlichkeit | |
Stets scheute die Justiz die Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen. Mit dem | |
Urteil gegen Oskar Gröning ist damit jetzt Schluss. Endlich. | |
Eingestelltes Verfahren gegen SS-Offizier: „Ein angreifbares Ergebnis“ | |
Die Hamburger Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen einen | |
ehemaligen SS-Offizier ein. Die Nebenklage kritisiert das zugrundeliegende | |
Gutachten. | |
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Wegen Krankheit unterbrochen | |
Die Verhandlung gegen den „Buchhalter von Auschwitz“ fand nicht statt. | |
Gröning fühlte sich nicht gut. Noch ist unklar, wann es weitergehen kann. | |
Lüneburger Auschwitz-Prozess: Überlebende wollen nicht verzeihen | |
Im Lüneburger Auschwitz-Verfahren wenden sich 49 Nebenkläger gegen eine | |
Überlebende. Sie hat dem Angeklagten pauschal verziehen. | |
Noch kein Prozess gegen Nazi-Offizier: Staatsanwalt bei SS zögerlich | |
Ein SS-Offizier, der für Massaker in Italien verantwortlich sein soll, | |
wurde nicht angeklagt. Die Staatsanwaltschaft will mehr | |
Gesundheitsgutachten. | |
Prozess in Lüneburg: Kassenwart redet über Auschwitz | |
Im Auschwitz-Verfahren schildert der Angeklagte Gröning den Dienst an der | |
Rampe. Sein Lagerleben sei das eines gewöhnlichen Buchhalters gewesen. | |
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Die Schuld des SS-Buchhalters | |
In Lüneburg steht ein Ex-SS-Mann vor Gericht. Er bekennt sich zu seiner | |
„moralischen Mitschuld“. Die Erklärung wirkt verstörend unbeteiligt. | |
Prozess gegen Auschwitz-Schergen: Nebenkläger wollen späte Gerechtigkeit | |
In Lüneburg beginnt am Dienstag die Verhandlung gegen SS-Unterscharführer | |
Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen. | |
Zentrale NS-Fahndungsstelle: Derzeit zwölf Schergen auf der Spur | |
Die Tatverdächtigen sind inzwischen hochbetagt. Die Ermittlungen oftmals | |
langwierig. Aber die Ludwigsburger Nazi-Jäger geben nicht auf. |