# taz.de -- Prozess gegen Auschwitz-Schergen: Nebenkläger wollen späte Gerech… | |
> In Lüneburg beginnt am Dienstag die Verhandlung gegen SS-Unterscharführer | |
> Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen. | |
Bild: Synonym für Massenmord und Quälerei: Auschwitz. | |
HAMBURG taz | Dass die Zeit alle Wunden heilt, daran will Thomas Walther | |
nicht glauben. Der Anwalt vertritt 31 von insgesamt 67 Nebenklägern in dem | |
Prozess, der am Dienstag gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer Oskar | |
Gröning beginnt. Nach 70 Jahren werden sich dann vor dem Landgericht | |
Lüneburg Täter und Opfer wieder begegnen. | |
Für seine Mandanten, Holocaustüberlebende und Nachfahren der in Auschwitz | |
Ermordeten, stehen mit der Verhandlung schwere Momente bevor, sagt Walther: | |
„Nicht nur, weil Erinnerungen an verlorene Angehörige hochkommen werden.“ | |
Der heute 93-jährige Gröning, im Vernichtungslager Auschwitz für das Gepäck | |
der Verschleppten zuständig, muss sich wegen Beihilfe zum Mord an | |
mindestens 300.000 Menschen verantworten. In der Anklage wirft die | |
hannoversche Staatsanwaltschaft Gröning vor, vom 28. September 1942 bis zum | |
16. Oktober 1944 im KZ als Buchhalter Geld aus dem Gepäck der Deportierten | |
an der Bahnrampe genommen und an die SS in Berlin weitergeleitet zu haben. | |
Bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten tritt der | |
Angeklagte in die Hitler-Jugend und als 18-Jähriger in die NSDAP ein. Ein | |
Jahr später meldet er sich zur SS, wo der junge Sparkassenangestellte | |
Karriere machen will. | |
Im Herbst 1942 wird er in das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt nach | |
Auschwitz versetzt. Wo er in der sogenannten Häftlingsgeldverwaltung das | |
Geld an die SS-Kommandozentrale schickt oder selbst zur Abgabe nach Berlin | |
fährt. | |
In der Anklageschrift begrenzt sich die Staatsanwaltschaft allerdings auf | |
den Sommer 1944. Allein zwischen dem 16. Juni und dem 17. Juli 1944 trafen | |
mindestens 137 Züge mit rund 425.000 Menschen aus Ungarn in | |
Auschwitz-Birkenau ein. | |
Gröning soll laut Staatsanwaltschaft ebenfalls gewusst haben: Wer nicht für | |
die Zwangsarbeit ausgewählt wird, den erwartet in der Gaskammer der Tod. | |
Der Staatsanwaltschaft zufolge sind allein bei der „Ungarn-Aktion“ | |
mindestens 300.000 Menschen durch Gas ermordet. Gröning habe „dem NS-Regime | |
wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen | |
unterstützt“. | |
Der Angeklagte hat in der Vergangenheit wiederholt angegeben, an jener | |
Rampe lediglich „Koffer bewacht“ zu haben. Im Verfahren will er sich nun | |
erneut äußern, sagt sein Rechtsbeistand Hans Holtermann. | |
Schon 1977 hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen Gröning ermittelt. | |
1985 stellte der Staatsanwalt aber das Verfahren „mangels Beweisen“ ein. | |
Eine genauere Begründung wurde laut Anwalt Walther zwar in Aussicht | |
gestellt, bis heute läge sie jedoch nicht vor. | |
Dass die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft den Vorgang dann aber auf | |
sich beruhen ließ, wertet der Nebenklägervertreter als mangelndes Interesse | |
an der Strafverfolgung seitens der zuständigen Behörden und Ministerien. | |
Dabei handele es sich um ein Verhalten, das die Betroffenen weit mehr als | |
bloß verletzt. | |
Am Verfahren werden nicht alle Nebenkläger persönlich teilnehmen. Auch sie | |
sind sehr betagt. Dass in anderen NS-Verfahren gerade das Alter des | |
Angeschuldigten angeführt wurde, um Prozesse einzustellen, weiß auch | |
Walther: „Wenn man erlebt hat, wie eine Frau kaum reden kann und zu weinen | |
beginnt, wenn sie versucht, von ihrer vor 70 Jahren ermordeten Schwester zu | |
sprechen, stellt sich diese Frage nicht.“ | |
Für Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz | |
Komitees, spiegelt diese Frage die deutschen Verhältnisse wider: „Statt bei | |
den Opfern ist man bei den Tätern.“ Doch die Opfer könnten nichts für diese | |
späte Anklage. „Die deutsche Justiz hat zu verantworten, dass die | |
Verfolgung verschleppt wurde“, sagt er: Bis heute beschäme dieses | |
Verhalten. | |
Der Prozess sei eine sehr späte Form der Gerechtigkeit, sagt Walther. Wie | |
Eva Pusztai-Fahidi mussten einige seiner Mandanten als Kinder im Sommer | |
1944 auf der Rampe in Auschwitz ansehen, wie ihre Eltern und Geschwister | |
von ihnen getrennt und in die Gaskammern gebracht wurden. | |
Pusztai-Fahidi wurde am 29. April 1944 in Debrecen mit ihrer Familie von | |
der ungarischen Gendarmerie zunächst ghettoisiert und am 14. Mai in | |
Viehwaggons nach Auschwitz gebracht. Ihre zehnjährige Schwester Gilike und | |
ihre Mutter wurden sofort vergast, ihr Vater Dezso starb in der Haft. Mit | |
dem Wort „Gerechtigkeit“ verbindet sich Walther zufolge viel Hoffnung – a… | |
mehr als nur ein juristisch richtiges Urteil. | |
19 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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