# taz.de -- Lüneburger Auschwitz-Prozess: Überlebende wollen nicht verzeihen | |
> Im Lüneburger Auschwitz-Verfahren wenden sich 49 Nebenkläger gegen eine | |
> Überlebende. Sie hat dem Angeklagten pauschal verziehen. | |
Bild: Hat allen Nazis verziehen: Überlebende Eva Kor im Gericht in Lüneburg. | |
BERLIN/LÜNEBURG taz | Im Lüneburger Prozess gegen den Auschwitz-Buchhalter | |
Oskar Gröning (93) ist es zum offenen Streit zwischen den Nebenklägern um | |
die Frage einer Aussöhnung mit dem Täter gekommen. 49 Überlebende des | |
Vernichtungslagers haben eine Erklärung der Anwälte Thomas Walther und | |
Cornelius Nestler unterzeichnet, in der sie sich von den Stellungnahmen der | |
Nebenklägerin Eva Kor distanzieren. | |
Kor hatte dem wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Menschen | |
Angeklagten sowohl bei ihrer Zeugenaussage als auch bei öffentlichen | |
Auftritten verziehen. Zudem lehnte die 81-Jährige generell Strafverfahren | |
gegen mutmaßliche NS-Täter ab und dankte Gröning dafür, dass er zu | |
Prozessbeginn seine „moralische Mitschuld“ eingestanden habe. Zuletzt | |
wiederholte sie ihre Auffassung am Sonntagabend in der TV-Sendung „Günther | |
Jauch“. Gröning hatte vor Gericht ausgesagt, er überlasse es dem Gericht, | |
ob er auch strafrechtlich schuldig sei. | |
Die heute 81-jährige Eva Kor wurde 1944 mit ihrer Familie nach Auschwitz | |
deportiert. Sie und ihre Zwillingsschwester überlebten als einzige, weil | |
sie von dem KZ-Arzt Josef Mengele zu Experimenten missbraucht wurden. Ihre | |
Familie wurde in der Gaskammer ermordet. | |
In ihrer gemeinsamen Erklärung kritisieren die 49 Nebenkläger den | |
Widerspruch, dass Kor einerseits das Verfahren gegen Oskar Gröning ablehnt, | |
andererseits aber als Nebenklägerin auftritt. „Als Nebenklägerin im Namen | |
der Ermordeten aufzutreten, öffentlich das Strafverfahren abzulehnen und | |
die Rolle der Nebenklägerin zur medial inszenierten persönlichen Verzeihung | |
zu nutzen – das passt nicht zusammen“, heißt es in dem von den | |
Rechtsanwälten Walther und Nestler am Montag verbreiteten Schreiben. | |
## Dokumentation des Justiz-Versagens | |
Jeder unter den Überlebenden müsse seinen Weg finden, mit dem Erlittenen | |
umzugehen, schreiben die beiden Anwälte. Doch ihre 49 Mandanten seien sich | |
darin einig, dass sie „für ihre ermordeten Eltern und Geschwister Klage | |
führen wollen“. In dem Strafverfahren gegen Gröning gehe es auch um die | |
Dokumentation des jahrzehntelangen Versagens der Justiz. Weiter heißt es: | |
„Wir können Herrn Gröning nicht die Mitwirkung am Mord unserer Angehörigen | |
und weiteren 299.000 Menschen verzeihen – zumal er sich bisher frei von | |
jeglicher strafrechtlichen Schuld fühlt. Wir begrüßen die Aufklärung, die | |
dieses Strafverfahren leistet.“ | |
Eva Kor hatte schon vor 20 Jahren für Aufsehen gesorgt, als sie allen Nazis | |
ihre Taten pauschal vergab. In jüngster Zeit ist sie mehrfach mit dem Enkel | |
des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, Rainer Höß, aufgetreten. Rainer Höß | |
hatte 2009 versucht, Hinterlassenschaften seines Großvaters gewinnbringend | |
an die israelische Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem zu verkaufen, was auf | |
heftige Kritik stieß. | |
Mit ihrer Erklärung machen die 49 Nebenkläger deutlich, dass Kor nicht in | |
ihrem Namen spricht. Das Schreiben gilt auch als Zeichen dafür, dass sie | |
nicht länger dazu bereit sind, Kors große mediale Präsenz widerspruchslos | |
hinzunehmen. | |
Unterdessen zeichnet sich ab, dass es schon bald zu einem weiteren | |
Auschwitz-Prozess in Deutschland kommen könnte. Das Landgericht Detmold | |
will spätestens bis zum Juni entscheiden, ob sie die Anklage gegen einen | |
93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord zulässt. Der ehemalige SS-Mann stammt | |
aus dem Kreis Lippe und soll ab 1942 in dem Vernichtungslager eingesetzt | |
worden sein. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Andreas Brendel von der | |
NRW-Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Verbrechen bestreitet er eine | |
konkrete Tatbeteiligung. | |
## Demjanjuk-Urteil führte zu Umdenken | |
Allerdings geht die Rechtsprechung seit der Verurteilung von John Demjanjuk | |
zu fünf Jahren Haft in München davon aus, dass zur Verurteilung ein | |
individueller Mord dann nicht mehr nachgewiesen werden muss, wenn der Täter | |
in einem Vernichtungslager eingesetzt worden ist. | |
Das Demjanjuk-Urteil von 2011 ist allerdings niemals rechtskräftig | |
geworden, weil der Angeklagte vor einer anhängigen Revision 2012 verstarb. | |
Dennoch hat das Verfahren dazu geführt, dass die Ermittlungsbehörden | |
seitdem gegen mutmaßliche Täter in Vernichtungslagern vorgehen, die zuvor | |
jahrzehntelang unbehelligt geblieben waren. Sowohl der Prozess in Lüneburg | |
als auch das Detmolder Verfahren gründet auf entsprechenden Recherchen. | |
Ein weiteres Verfahren gegen einen früheren SS-Sanitäter in Auschwitz wegen | |
Beihilfe zum Mord ist bei der Schweriner Justiz anhängig. | |
27 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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