Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Urteil Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Vier Jahre Haft für Gröning
> Oskar Gröning gilt als „Buchhalter von Auschwitz“. Das Landgericht
> Lüneburg hat nun den früheren SS-Mann zu vier Jahren Haft verurteilt.
Bild: Gegen den heute 94-Jährigen wurde bereits 1977 ermittelt
LÜNEBURG taz | Im Sitzen durfte der Angeklagte Oskar Gröning die
Urteilsverkündung verfolgen – ein Entgegenkommen des Vorsitzenden Richters
Franz Kompisch wegen Grönings hohen Alters von 94 Jahren. Gröning,
ehemaliger SS-Unterscharführer, wurde am Mittwoch vom Landgericht Lüneburg
für schuldig befunden, in Auschwitz
„Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen“
geleistet zu haben. Gröning selbst habe sich als kleines Rad in der
Massenvernichtung für „moralisch schuldig“ befunden, griff Kompisch eine
Aussage des Angeklagten auf. „Es ist genau das, was der Gesetzgeber als
Beihilfe bezeichnet“, sagte er und verurteilte Gröning zu einer Haftstrafe
von vier Jahren.
Mit der Verkündung hatte Kompisch gewartet, bis gänzlich Ruhe auf den
vollen Sitzreihen eingekehrt war. Er wusste, dass der Schuldspruch Nachhall
finden würde – in der Politik, der Rechtsprechung und bei denjenigen, die
sich mit NS-Erinnerungskultur beschäftigen.
Auschwitz, so Kompisch, sei eine „auf die Tötung von Menschen ausgerichtete
Maschinerie“ gewesen. In der sei Gröning mit seinem Dienst in der
Häftlingsgeldverwaltung und an der Rampe für den reibungslosen Ablauf der
Vernichtung der Verschleppten mitverantwortlich gewesen. An der Rampe habe
er durch die Bewachung des Gepäcks der Angekommenen dazu beigetragen, dass
sie keinen Verdacht schöpften und keine Unruhe aufkam. Kompisch betonte,
Gröning sei freiwillig zur SS gegangen und habe es später vorgezogen,
lieber in Auschwitz Dienst zu tun als an der Front: „Sie haben sich für den
sicheren Schreibtischjob entschieden.“
Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert, von denen 22
Monate als verbüßt angesehen werden sollten, weil eine Verurteilung schon
vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre. Erste Ermittlungen gegen Gröning
hatte es 1977 gegeben, sie wurden aber eingestellt. Die Verteidigung hatte
auf Freispruch plädiert, weil Gröning den Holocaust im strafrechtlichen
Sinne nicht gefördert habe.
Das sei vielleicht so, konterte Kompisch bei der Urteilsverkündung – führte
aber weiter aus, dass Grönings Aufklärungswille nicht gereicht habe und die
Verfahrensverzögerung ihm nicht wohlwollend angerechnet werden könne. Er
hielt Gröning aber zugute, dass er sich dem Verfahren stellte und sich von
den Zeugenaussagen betroffen gezeigt hatte.
„Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter zeit ihres
Lebens nicht vor einer Strafverfolgung sicher sein können“, sagte Thomas
Walther, der 51 Nebenkläger vertrat. Mit dem Urteil, so Walther noch im
Saal, sei „Rechtsgeschichte“ geschrieben worden.
Möglicherweise gehen Staatsanwaltschaft und Verteidigung in Revision. In
der Urteilsbegründung hinterfragte Kompisch auch die deutsche Justiz, da
sie in den 60er Jahren eine „merkwürdige Rechtsprechung“ begonnen habe, die
Verfahren verhinderte. Vorsichtig sagte er, dass die deutsche
Rechtsprechung bisher der Idee von Auschwitz gefolgt sei, durch die
Arbeitsteilung niemanden individuell verantwortlich machen zu können.
15 Jul 2015
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Oskar Gröning
Auschwitz-Prozess
Auschwitz
Oskar Gröning
Widerstand
Oskar Gröning
Auschwitz-Prozess
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Auschwitz-Prozess
Auschwitz-Prozess
SS
Oskar Gröning
John Demjanjuk
Vernichtungslager
## ARTIKEL ZUM THEMA
NS-Prozesse und die Verjährung der Taten: Zu spät
Im Juli ist ein 94-jähriger ehemaliger SS-Mann verurteilt worden. Der
Historiker Frank Bajor über die Frage, warum vielen der Prozess gar nicht
erst gemacht wurde.
Debatte Erinnerungskultur: Die Fortsetzung des 20. Juli
Die Ideologie der Erinnerungskultur des Kalten Krieges muss überwunden
werden – um andere Gruppen des Widerstands ins Recht zu setzen.
Verfahren gegen SS-Mann Gröning: Verteidigung legt Revision ein
Im Auschwitz-Prozess hat die Verteidigung Revision eingelegt. Weil ein
Verfahren gegen Gröning schon 1977 eingestellt wurde, stehe ihm jetzt
Strafmilderung zu.
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Nebenklage legt Revision ein
Sie fordert eine Verurteilung wegen Mordes, nicht nur wegen Beihilfe.
Deshalb hat die Nebenklage im Prozess gegen Oskar Gröning Revision
eingelegt.
Kommentar Urteil im Auschwitz-Prozess: Ein Vorbild in Rechtsstaatlichkeit
Stets scheute die Justiz die Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen. Mit dem
Urteil gegen Oskar Gröning ist damit jetzt Schluss. Endlich.
Überlebende im Auschwitz-Prozess: Das Vergangene ist nicht vergangen
Im Prozess berichteten Überlebende von ihrem Leid. Oft zum ersten Mal vor
einem deutschen Gericht. Mit großen Zweifeln, doch es hat ihnen geholfen.
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Verteidigung fordert Freispruch
Im Plädoyer argumentieren Grönings Anwälte, der 94-Jährige habe keinen
„offensiven Beitrag“ zum Holocaust geleistet. Am Mittwoch folgt das Urteil.
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: „Der Terror hat mich aufgefressen“
Die 84 Jahre alte Susan Pollack berichtet vor dem Landgericht von ihren
Qualen in Auschwitz. Sie überlebte, weil sie an der Rampe log.
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: Wegen Krankheit unterbrochen
Die Verhandlung gegen den „Buchhalter von Auschwitz“ fand nicht statt.
Gröning fühlte sich nicht gut. Noch ist unklar, wann es weitergehen kann.
Lüneburger Auschwitz-Prozess: Überlebende wollen nicht verzeihen
Im Lüneburger Auschwitz-Verfahren wenden sich 49 Nebenkläger gegen eine
Überlebende. Sie hat dem Angeklagten pauschal verziehen.
Prozess in Lüneburg: Kassenwart redet über Auschwitz
Im Auschwitz-Verfahren schildert der Angeklagte Gröning den Dienst an der
Rampe. Sein Lagerleben sei das eines gewöhnlichen Buchhalters gewesen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.