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# taz.de -- Überlebende im Auschwitz-Prozess: Das Vergangene ist nicht vergang…
> Im Prozess berichteten Überlebende von ihrem Leid. Oft zum ersten Mal vor
> einem deutschen Gericht. Mit großen Zweifeln, doch es hat ihnen geholfen.
Bild: Leon Schwarzbaum zeigt seinen Unterarm mit der tätowierten Nummer, die i…
Lüneburg taz | Das Foto aus Auschwitz ist schwarz-weiß. Rechts unten am
Rand der Aufnahme steht ein junges Mädchen mit hellem Kopftuch und zu
großem Mantel. „Ja, das bin ich“, sagt Irene Weiss im Landgericht Lünebur…
Vor 71 Jahren, am 26. Mai 1944, hatte ein SS-Mann dieses Bild während der
Ankunft jüdischer Ungarn an der Rampe in Auschwitz aufgenommen. Groß ist es
nun auf eine Leinwand projiziert. „Ich schaue da nach meiner kleinen
Schwester Edit“, sagt Weiss, die damals 13 Jahre alt war und heute 84 ist.
Eine weitere Aufnahme vor einer Gaskammer ist zu sehen. „Meine Brüder und
meine Mutter“, sagt Weiss.
Im Prozess gegen den SS-Unterscharführer Oskar Gröning wegen Beihilfe zum
Mord an 300.000 Menschen – [1][am Mittwoch wurde er zu vier Jahren Haft
verurteilt] – genügte oft ein Bild, um die Zeitspanne von mehr als 70
Jahren zwischen damals und heute schrumpfen zu lassen. Das Vergangene war
bei keinem der Überlebenden, die als Zeugen aussagten, wirklich vergangen.
Und auch bei den Angehörigen der Opfer blieb die Geschichte gegenwärtig.
Irene Weiss, die aus den USA angereist war, sagte als letzte von mehr als
60 NebenklägerInnen aus. Mit leiser, aber fester Stimme berichtete sie,
dass sie von der Rampe aus nur deshalb nicht ins Gas geschickt wurde, weil
sie sich zwei Jahre älter machte. Auf ruhige Bitten des Vorsitzenden
Richters in Lüneburg, Franz Kompisch – „Bitte erzählen Sie einfach“ –
berichtete sie auch vom Transport der Familie in einem Viehwaggon nach
Auschwitz und von der Trennung von ihren Verwandten. Von anderen
Verschleppten erfuhr Weiss, dass sie ihre Angehörigen nicht wiedersehen
würde: „Siehst du den Rauch? Das ist deine Familie“, hieß es. Nur eine
Schwester überlebte. Weiss‘ Eltern, drei Brüder und eine andere Schwester
kamen um.
Für die Möglichkeit, von ihrem Leid und Überlebenskampf endlich vor einem
deutschen Gericht berichten zu können, bedankte sich Irene Weiss am Ende
ihrer Schilderungen. „Es ist eine Genugtuung“, sagte auch die 89-jährige
Eva Pusztai-Fahidi. Die Ungarin hatte 49 Familienmitglieder im Holocaust
verloren.
Dem Landgericht Lüneburg war offensichtlich bewusst, dass in dem Verfahren
nicht nur der Beschuldigte, sondern auch die deutsche Justiz auf der
Anklagebank saß. Statt sich den Opfern des Nationalsozialismus anzunehmen,
hatte diese sich lange vor die Täter gestellt.
Vor Beginn des Prozesses hatten viele der 14 Vertreter der Nebenkläger
gesagt, dass ihre Mandaten lange nicht sicher gewesen waren, ob sie im
Verfahren aussagen wollten – ob sie überhaupt nach Deutschland kommen
wollten. Es habe oft großer Ermutigung für diesen Schritt bedurft, sagte
Thomas Walther, der 51 Nebenkläger vertrat. „Auszusagen, hier vor Gericht
zu erscheinen, hat ihnen aber geholfen – viel mehr, als ich selbst erwartet
hätte“, sagte er. Der Umgang mit seinen Mandaten durch das Gericht, die
Aufmerksamkeit der Medien habe seinen Mandaten auch ein positiveres Bild
von Deutschland offenbart. Auch andere Nebenklagevertreter bedankten sich
ausdrücklich beim Gericht, dass Überlebende und Angehörige der Opfer
ausführlich zu Wort kamen.
Mit Walther eint sie jedoch auch, dass das Verhalten von Politik und
Justiz, dessen Fundament lange aus dem Willen zum Vergessen und Vertuschen
bestand, mit diesem Verfahren längst nicht abgeschlossen sein kann. „Was
den Umgang mit der Shoa angeht“ sagte der Anwalt Mehmet Daimagüler, „ist
die Ungerechtigkeit ein Meister aus Deutschland“.
15 Jul 2015
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[1] /Urteil-Auschwitz-Prozess-in-Lueneburg/!5213479
## AUTOREN
Andreas Speit
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