Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eingestelltes Verfahren gegen SS-Offizier: „Ein angreifbares Erge…
> Die Hamburger Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen einen
> ehemaligen SS-Offizier ein. Die Nebenklage kritisiert das
> zugrundeliegende Gutachten.
Bild: 2013 umarmte Bundespräsident Joachim Gauck den Massaker-Überlebenden En…
taz: Überrascht es Sie, dass das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Offizier
Gerhard Sommer nun eingestellt wird, Frau Heinecke?
Gabriele Heinecke: Was heißt überraschen - ich halte die Gründe der
Einstellung nicht für richtig. Es ist die Verhandlungsunfähigkeit, die dazu
geführt hat, nicht der Tatverdacht. Man muss unterscheiden, dass die
Staatsanwaltschaft endlich anerkannt hat, dass Herr Sommer Kompaniechef war
am 12. August 1944, dass er Verantwortung für das Massaker trägt. Wenn er
nicht als verhandlungsunfähig eingeschätzt würde, wäre er anzuklagen und
vor Gericht zu stellen.
Das ist erstmals so formuliert worden?
Genau. Insofern ist dieser Einstellungsbescheid prima. Unsere Kritik ist,
dass die Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit wegen der Angaben von
Herrn Sommer und seiner Tochter geschah und keine anderen Quellen, etwa
Mitarbeiter aus der Seniorenanlage, in der er wohnt, oder Therapeuten, die
mit ihm umgehen, befragt wurden, um das Ganze zu objektivieren.
Wäre das Einholen einer dritten Stimme bei der Feststellung einer Demenz,
wie es bei Gerhard Sommer geschah, das übliche Vorgehen?
Wir haben inzwischen drei Gutachten: 2013 eines, das von
Verhandlungsunfähigkeit ausging, nachdem Herr Sommer sich vorher gerade im
Krankenhaus befunden hatte. Im letzten Jahr hatten wir eines von einem Arzt
und einer Psychologin, die nach ausführlicher Exploration von Herrn Sommer
zu dem Ergebnis kamen, dass er leicht eingeschränkt verhandlungsfähig ist.
Dann passierte lange nichts, bis die Staatsanwaltschaft im Januar erneut
einen anderen Gutachter beauftragt hat. Der hat noch einen Psychiater
ausgesucht, es wurde eine dritte Person hinzugezogen und schließlich die
Demenz festgestellt.
Halten Sie es für möglich, eine Demenz vorzutäuschen?
Natürlich. In Rentenfragen ist das etwas, was täglich passiert.
Hat die Hamburger Staatsanwaltschaft das Verfahren Ihrer Ansicht nach
verschleppt?
Sicher muss sich die Staatsanwaltschaft darüber klar werden, ob der Mensch
noch verhandlungsfähig ist. Aber gerade wenn vorher ein Gutachten die
Verhandlungsfähigkeit festgestellt hat, sollte man nicht wieder ein
angreifbares Ergebnis präsentieren. Was die Verzögerung anbelangt, so muss
man eher nach Stuttgart schauen, wo dieses Verfahren zehn Jahre
herummoderte, ohne dass irgendetwas Sachdienliches in der Angelegenheit
geschehen ist.
Gibt es für Sie als Vertreterin der Nebenklage überhaupt noch die
Möglichkeit, das Verfahren weiter zu betreiben?
Wir legen Beschwerde ein und beantragen, dass externe Quellen befragt und
möglicherweise andere Experten herangezogen werden.
Als Außenstehender hat man das Gefühl eines Déjà vu: Ist die Einstellung
wegen Verhandlungsunfähigkeit der klassische Verlauf eines Verfahrens wegen
NS-Verbrechen?
Ich möchte nichts verallgemeinern. Und ich finde, dass dieser
Einstellungsbescheid ein besonderer ist, weil er auf der einen Seite klar
den massiven Tatverdacht gegen Herrn Sommer benennt, ausführt und sehr
sauber erklärt. Was dazu nicht passt, ist dass man offensichtlich gesagt
hat: Es soll nicht länger recherchiert werden, was mit der Demenz ist. Wenn
er dement ist - dann akzeptieren wir das auch. Wir wollen keinen dementen
Menschen vor Gericht zerren. Aber mit den vorliegenden Fakten gibt es
keinen Grund, das zu akzeptieren.
Wie hat Enrico Pieri, der als Kind das Massaker überlebte, und den Sie
vertreten, die Nachricht von der Einstellung des Verfahrens aufgenommen?
Er ist enttäuscht. Der Bürgermeister von Sant‘Anna war im Januar da und hat
mit dem Generalstaatsanwalt gesprochen, der davon ausging, dass bald
Anklage erhoben würde. Natürlich kann er nicht voraussehen, was mit der
Verhandlungsfähigkeit ist, aber man hat insgesamt darauf gehofft, dass
einer der vielen SS-Leute, gegen die ein Ermittlungsverfahren geführt
wurde, Verantwortung übernehmen muss. Es sind ja zwei Seiten: Das eine ist
Herr Sommer und das andere ist die Justiz - und die hat in diesem Fall
völlig versagt.
28 May 2015
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
SS
Kriegsverbrechen
Konzentrationslager
## ARTIKEL ZUM THEMA
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: „Der Terror hat mich aufgefressen“
Die 84 Jahre alte Susan Pollack berichtet vor dem Landgericht von ihren
Qualen in Auschwitz. Sie überlebte, weil sie an der Rampe log.
Noch kein Prozess gegen Nazi-Offizier: Staatsanwalt bei SS zögerlich
Ein SS-Offizier, der für Massaker in Italien verantwortlich sein soll,
wurde nicht angeklagt. Die Staatsanwaltschaft will mehr
Gesundheitsgutachten.
Auschwitz-Prozess in Lüneburg: „Ich habe den Nazis vergeben“
Eine Überlebende des KZ Auschwitz hat dem Angeklagten SS-Mann Oskar Gröning
die Hand gereicht. Aber ihre Vergebung spreche die Täter nicht frei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.