| # taz.de -- Private Flüchtlingshilfe auf hoher See: Helfen, wo Europa fern ist | |
| > Ein reiches Ehepaar kauft ein Schiff, baut es um und zieht auf eigene | |
| > Kosten Flüchtlinge aus dem Meer. In einem Monat sind es über 3.000. | |
| Bild: Die Phoenix im Hafen von Valletta auf Malta. | |
| MALTA taz | Das Schiff, das Europa wachrütteln soll, ist 40 Meter lang. Es | |
| liegt gut vertäut in einem der Hafenbecken der maltesischen Hauptstadt | |
| Valletta. „Phönix“ heißt der ehemalige Fischtrawler, der später als | |
| Forschungsschiff diente und mit allerlei Kisten und Gerät beladen wird. | |
| Noch ein letztes Mal wird Hand angelegt, um die Vorbereitungen für die | |
| nächste Mission abzuschließen. Am Oberdeck werden mehrere Dutzend | |
| Rettungswesten festgezurrt. Ein Bordkran mit einem großen Eisenkorb, mit | |
| dem Menschen aus dem Wasser gezogen werden können, wird noch einmal | |
| getestet. | |
| Die „Phönix“ wurde speziell dafür umgebaut, Menschen in Seenot zu retten. | |
| Das war die Idee des auf Malta lebenden Millionärehepaares Christopher und | |
| Regina Catrambone, er US-Amerikaner, sie Italienerin, die nicht länger | |
| tatenlos zusehen wollten, wie im Mittelmeer Flüchtlinge ertrinken. | |
| Die Idee war entstanden, als das Paar mit seiner privaten Jacht von Malta | |
| nach Lampedusa fuhr und im Meer Fetzen einer Winterjacke sah, | |
| wahrscheinlich eines Flüchtlings, der es nicht geschafft hatte. Auf dem | |
| weiteren Weg nach Tunis hörten sie eine Rede des Papstes, der darüber | |
| redete, wie jeder sich selbst der Nächste sei und alle nur in ihren | |
| Seifenblasen lebten. | |
| ## 8 Millionen aus der eigenen Tasche | |
| Die Catrambones fassten den Entschluss, ein Schiff zu suchen und 8 | |
| Millionen Euro ihres Privatvermögens in das Projekt zu stecken. Sie kauften | |
| die „Phönix“ und ließen sie umbauen. Auf einer einmonatigen Fahrt im | |
| vergangenen Sommer konnte das Boot über 3.000 Flüchtlinge aus dem | |
| Mittelmeer bergen. | |
| Maria Luisa Catrambone, die Tochter der Schiffsbesitzer, war damals dabei. | |
| Auch in den nächsten Monaten wird sie zeitweise wieder an Bord kommen. Sie | |
| ist 19 und hat schon mehr erlebt als manch andere Europäer und | |
| Europäerinnen in ihrem Alter. „Einer der Flüchtlinge kam an Bord und küsste | |
| den Schiffsboden, bevor er ohnmächtig wurde, weil er dehydriert war“, | |
| erinnert sich Maria Luisa an ihre erste Fahrt. „Er sah mich an mit diesem | |
| Blick, der sagte: Mein Gott, ich bin am Leben, ich bin nicht ertrunken. Ich | |
| werde diesen Blick nie vergessen. Wenn ich meine Augen zumache, sehe ich | |
| dieses Bild immer noch vor mir“, erzählt sie. | |
| Bei der neuen Mission soll alles noch etwas größer und effektiver werden. | |
| Es wurden Spenden für das Projekt gesammelt, das den Namen „Migrant | |
| Offshore Aid Station“ trägt, sich also als schwimmende Hilfsstation für | |
| Migranten versteht. 180 Tage soll die „Phönix“ nun auf hoher See bleiben. | |
| Christopher und Regina Catrambone haben sich diesmal der Unterstützung der | |
| Organisation Ärzte ohne Grenzen versichert, deren Ärzte und | |
| Krankenschwestern mit an Bord sind. | |
| ## Frontex in die Pflicht nehmen | |
| Der Generalsekretär von Ärzte ohne Grenzen, Arjan Hehenkamp, ist aus | |
| Amsterdam nach Malta gekommen, um bei den Vorbereitungen dabei zu sein. Es | |
| ist das erste Mal, dass seine Organisation an einer Operation auf hoher See | |
| teilnimmt. Eines ihrer Ziele sei es, europäische Politiker dazu zu bringen, | |
| erneut angemessene Rettungsarbeit im Mittelmeer zu leisten, sagt Hehenkamp. | |
| Das Budget der europäischen Operation „Triton“ im Mittelmeer müsse | |
| verdoppelt werden. | |
| Frontex, die EU-Grenzbehörde, die Triton leitet, sei zwar verstärkt worden. | |
| „Aber deren Schiffe operieren vor der italienischen Küste und nicht dort, | |
| wo die meisten Menschen sterben und ertrinken: nahe der libyschen Küste“, | |
| klagt Arjan Hehenkamp. Europa müsse Möglichkeiten schaffen, einen | |
| Asylantrag zu stellen, ohne dass die Flüchtlinge vorher ihr Leben auf dem | |
| Meer riskierten. „Europa zwingt die Flüchtlinge geradezu in die Arme der | |
| Menschenschmuggler“, sagt er. | |
| ## Drohne an Bord | |
| „Wir haben ausgerechnet, dass dieses Jahr statistisch jede Stunde, genau | |
| gesagt alle 63 Minuten, ein Flüchtling im Mittelmeer ertrunken ist. Wir | |
| wollen das ändern“, beschreibt eine der Krankenschwestern von Ärzte ohne | |
| Grenzen ihre Motivation, während sie an Bord Medikamente sortiert. Sie | |
| hatte zuvor in Syrien und in verschiedenen afrikanischen Ländern | |
| gearbeitet. Es würde sie nicht wundern, wenn sie einige ihre Patienten auf | |
| hoher See wiedertreffen würde, sagt sie. | |
| Plötzlich fahren zwei Limousinen an der Anlegestelle vor. Der maltesische | |
| Premier Joseph Muscat will die „Phönix“ vor ihrem Auslaufen besichtigen. | |
| „Was immer es sein mag, das zusätzlich zu unseren Bemühungen stattfindet, | |
| ist willkommen“, sagt er nach einer kurzen Tour durch das Schiff. Muscat | |
| beklagt, dass einige europäische Länder bis heute weitergehende Lösungen | |
| blockierten. Es sei eine globale Herausforderung, eine solche Lösung zu | |
| finden. Neue Institutionen sollten neue Regeln aufstellen, wie man mit | |
| Asylbewerbern, aber auch mit Wirtschaftsmigranten umgeht. „Wir müssen | |
| sehen, dass es ein legitimes Streben ist, sein Leben zu verbessern. Wir | |
| müssen das in legale Bahnen lenken“, verlangt der Ministerpräsident der | |
| kleinen Insel. | |
| Die wegen des hohen Besuchs unterbrochenen Vorbereitungen gehen weiter. Am | |
| Bug steht auf einer kleinen Landeplattform eine Helikopterdrohne, ein | |
| österreichisches Produkt, weswegen es österreichische Techniker sind, die | |
| an ihr herumschrauben. Ein Kran bringt noch wenige Minuten vor dem | |
| Auslaufen das Computerleitsystem für die Drohne an. | |
| ## Nachtsicht in der Luft | |
| „Wir haben unsere letzten Kisten gerade erst aus Dubai geliefert bekommen“, | |
| entschuldigt Hans Georg Schiebel, der Chef der Herstellerfirma, die Aktion | |
| in letzter Minute. „Dieser Helikopter wird von der ’Phönix‘ aus das | |
| Mittelmeer absuchen“, erklärt Schiebel. Das Gerät könne sechs Stunden in | |
| der Luft bleiben und sei mit einer Infrarotkamera ausgerüstet. „Das | |
| erweitert den Sichthorizont des Schiffs. Und es können damit Schiffe nicht | |
| nur tagsüber, sondern auch nachts ausgemacht werden“, sagt Schiebel. Seine | |
| Drohne ist bereits bei der ersten Rettungsmission der „Phönix“ eingesetzt | |
| worden. | |
| Die 20-köpfige Crew besteht aus erfahrenen Seeleuten, Ärzten, | |
| Krankenschwestern und Drohnentechnikern. Unter ihnen tummelt sich Maria | |
| Luisa, die bei den Vorbereitungen für die kommende Mission mithilft. Ihr | |
| Studium hat die Abiturientin zunächst verschoben. | |
| Sie möchte weiter bei diesem Projekt der privaten Flüchtlingsrettung | |
| mitwirken. „Ich hoffe, dass es dieses Problem nicht mehr geben wird, wenn | |
| ich einmal Kinder haben werde. Wir haben das Jahr 2015, da sollte so etwas | |
| nicht passieren“, meint sie. Sie habe auch keine endgültigen Lösungen, gibt | |
| sie freimütig zu. „Aber wir können uns nicht einfach wegdrehen, wenn jemand | |
| vor uns leidet und stirbt. Was ist mit der Menschlichkeit geschehen, wo ist | |
| unsere Seele geblieben?“ | |
| Schließlich ist das Leitsystem für die Drohne festgeschraubt, die „Phönix�… | |
| legt ab. Langsam schiebt sie sich durch den malerischen Hafen, entlang der | |
| mittelalterlichen Festungsanlagen und Kirchenkuppeln, die in der Sonne | |
| blitzen. Am Hafenausgang lässt das Schiff noch mehrmals sein Horn | |
| erklingen, bevor es langsam am Horizont verschwindet – Kurs Richtung Süden, | |
| in libysche Küstengewässer. | |
| Schon nach wenigen Tagen auf See meldet die Besatzung der „Phönix“ die | |
| Rettung von über 700 Flüchtlingen aus dem Mittelmeer. | |
| 17 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim El-Gawhary | |
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