# taz.de -- Asylpolitik in Europa: Fähren statt Fregatten | |
> Täglich fahren Dutzende Fähren nach Europa. Aber die EU schickt | |
> Kriegsschiffe, statt den Flüchtlingen die Überfahrt zu erlauben. | |
Bild: Besitztümer von Flüchtlingen, die mit einer Fähre vor Lesbos unterging… | |
Arglose Touristen in der griechischen Ägäis sehen sich in diesen Tagen | |
hautnah mit den Konsequenzen der EU-Abschreckungs- und | |
Abschottungspolitiken konfrontiert. | |
Zum Beispiel auf Lesbos: Täglich treffen neue Boote mit Flüchtlingen aus | |
der nahen Türkei in den beschaulichen Fischerhäfen der drittgrößten | |
griechischen Insel ein. Feriengästen schmeckt ihr Abendessen nicht mehr | |
recht, seit sie dabei auf eine wachsende Zahl von Menschen blicken, die | |
irgendwo im Freien kampieren müssen, weil weder Unterkünfte noch Versorgung | |
mit Essen oder Medikamenten bereitgestellt werden können. | |
Die einheimische Bevölkerung, selbst von jahre-langer Sparpolitik unter | |
Troika-Diktat gebeutelt, tut, was sie kann. Freiwillige sammeln Kleidung | |
und Matratzen, kochen Tee und schmieren Sandwiches für die Ankommenden. Für | |
fünfzig, für hundert, für zweihundert Menschen – irgendwann erlahmen auch | |
die Kräfte selbst der engagiertesten Privatinitiativen. Sie können es mit | |
dem verordneten Wahnsinn des EU-Grenzregimes auf Dauer nicht aufnehmen. | |
Auch die staatlichen Stellen sind überfordert. In der vergangenen Woche | |
stand die Leiterin der Hafenpolizei von Molivos weinend inmitten der | |
syrischen Familien, die über Nacht die gefährliche Überfahrt gewagt hatten. | |
Zwar werden nun die wackligen Boote nicht mehr von der Küstenwache bedrängt | |
oder gar zurückgeschleppt in türkische Gewässer, wie es noch vor wenigen | |
Monaten in der gerade mal 10 Kilometer schmalen Meerenge die Regel war. Die | |
Syriza-Regierung hat solche brutalen und oft auch tödlichen Manöver | |
unmittelbar nach ihrem Amtsantritt unterbunden. Aber auf Solidarität | |
seitens der anderen EU-Mitgliedstaaten hat Alexis Tsipras auch in dieser | |
Frage vergeblich gehofft. | |
Mit der Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten, wie von Griechenland, | |
Malta, Spanien und Italien seit Jahren gefordert, wird es wohl vorerst | |
nichts. Stattdessen werden auch in der Ägäis die bewaffneten Verbände | |
verstärkt: Frontex, die EU-Agentur zum „Schutz der Außengrenzen“, hat | |
angekündigt, ihre Einsatzmittel vor den griechischen Inseln zu | |
verdreifachen. Das Motto der europäischen Grenzschützer – „Lebensrettung | |
ist nicht unsere Priorität“ – gilt selbstverständlich auch im Seegebiet | |
zwischen Griechenland und der Türkei. | |
## Leere Fähren unterwegs | |
Dort, an der kleinasiatischen Küste, sammeln sich immer mehr Flüchtlinge | |
aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, die zwar Europa vor Augen haben, aber | |
keine legale Möglichkeit, um den „Kontinent der Menschenrechte“, der | |
Verfolgten Schutz und Hilfe verspricht, gefahrlos zu erreichen. | |
Für die Touristen auf Lesbos gehört der Tagesausflug in die Türkei zum | |
Pflichtprogramm. Nach einem Shoppingbummel über den bunten Basar von | |
Ayvalik streben sie, vollgepackt mit Souvenirs, den kleinen Fähren zu, die | |
sie zurück auf ihre griechische Ferieninsel bringen sollen. Doch auch in | |
diesem Hafen spielen sich verstörende Szenen ab: Dort halten türkische | |
Soldaten mit vorgehaltener Maschinenpistole allein reisende afghanische | |
Jugendliche, syrische Familien und traumatisierte Iraker davon ab, die | |
rettenden Schiffe zu besteigen. | |
Sie tun das, weil sie wissen, dass die Behörden auf der griechischen Seite | |
die Flüchtlinge nicht an Land lassen würden. So fahren die Fähren oft leer. | |
Die kaum einstündige Reise in ein EU-Mitgliedsland, wo Verfolgte um Asyl | |
bitten könnten, ist für jeden Touristen möglich – nur eben nicht für jene, | |
die dringend Hilfe brauchen. | |
Den Abgewiesenen auf der türkischen Seite bleibt nur eine letzte Hoffnung, | |
wenn sie in Europa Schutz suchen wollen. Sie müssen jemanden finden, der | |
ihnen im Dunkel der Nacht zu einer Passage verhelfen kann. Ein Schlepper. | |
Für viel Geld wird er den Verzweifelten ein schrottreifes Fischerboot oder | |
ein Kindergummiboot andrehen, das er selbst für wenige Dollar in einem | |
Spielzeugladen im Basar gekauft hat. Damit sind dann ganze Großfamilien auf | |
dem Meer unterwegs. Viele erreichen das rettende Ufer nicht. | |
## Ein nie offziell erklärter Krieg | |
Sie sind nicht „verunglückt“. Sie sind Opfer einer Grenzpolitik, die den | |
Tod von Menschen seit Jahren in Kauf nimmt und deren Strategie es ist, über | |
Tausende tote Flüchtlinge jenen ein Signal zu senden, die noch kommen | |
könnten. | |
Es ist ein nie offiziell erklärter Krieg, den die EU, | |
Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2012, gegen Hilfesuchende führt. Nur | |
folgerichtig, dass jetzt auch deutsche Kriegsschiffe in vorderster Front | |
eingesetzt werden. Für die Kameras retten sie derzeit noch ein bisschen. | |
Bald schon werden erste Schüsse fallen. „Kollateralschäden“ auf den | |
Flüchtlingsbooten sind laut EU-Strategiepapier eingeplant. | |
Die Schützen auf der Fregatte „Hessen“ haben ihre Feuerbereitschaft erst | |
unlängst unter Beweis gestellt: In der Nacht des 25. März geriet vor der | |
südafrikanischen Küste ein Sportboot unter Beschuss ihrer | |
76-Millimeter-Bordkanone. „Ein Versehen“, teilte das Marinekommando mit. So | |
etwas soll sich natürlich nicht wiederholen. | |
Wir warten nur noch auf die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats. | |
26 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Elias Bierdel | |
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