| # taz.de -- Italien will Leichen im Mittelmeer bergen: Vom Meeresboden nach Eri… | |
| > Ministerpräsident Renzi will ein Flüchtlingsboot heben lassen, mit | |
| > Hunderten von Leichen an Bord. Humane Geste oder geschmackloses | |
| > Politspektakel? | |
| Bild: Unaufgeregt verkündet Renzi im italienischen Fernsehen, er wolle eins de… | |
| ROM taz | „Wir sind human. Da unten sind 500, 600 oder 400 Menschen, wir | |
| verfügen über Schaudern erregende Fotos, von Kindern, eingeschlossen im | |
| Schiffsrumpf, gestorben auf diese Weise. Wir werden auf den Meeresgrund | |
| runtergehen, um das Schiff zu heben.“ | |
| Mit der ihm eigenen Verve, gewürzt mit einer Prise Pathos, verkündete | |
| Ministerpräsident Matteo Renzi am Dienstagabend in Italiens wichtigster | |
| TV-Polit-Talksendung seinen neuesten Entschluss: Er will jenes vor gut | |
| einem Monat gekenterte Flüchtlingsschiff bergen lassen, bei dessen | |
| Untergang etwa 800 Menschen ertranken. | |
| Die Kosten sind immens, Renzi selbst bezifferte sie auf 15–20 Millionen | |
| Euro, „ich hoffe, dass Europa sie zahlt“, erklärte er, setzte aber sogleich | |
| nach, „sonst zahlt Italien“. | |
| Erst letzte Woche hatten humanitäre Organisationen heftig gegen den | |
| Beschluss der Staatsanwaltschaft von Catania protestiert, auf die Hebung | |
| des Schiffs im Rahmen des Verfahrens gegen die beiden inhaftierten | |
| mutmaßlichen Schleuser zu verzichten, da die Beweislage ohnehin eindeutig | |
| sei. Christopher Hein etwa, Direktor des Italienischen Flüchtlingsrats, | |
| äußerte sich empört darüber, dass damit den Angehörigen der Opfer für imm… | |
| die Gewissheit über deren Schicksal verwehrt bleibe. | |
| ## Adressat: die ganze Welt | |
| Doch Renzi bringt seinerseits ein ganz anderes Argument ins Spiel: „Ich | |
| will, dass die ganze Welt sieht, was geschehen ist.“ Schlicht unakzeptabel | |
| sei es, „dass manche immer noch sagen, aus den Augen, aus dem Sinn!“. Wenig | |
| betrüben dürfte es ihn, dass in Italien das Medienecho auf seine | |
| Ankündigung vorerst sehr bescheiden blieb – sein eigentlicher Adressat ist | |
| „die ganze Welt“. | |
| Italiens Regierungschef weiß nur zu gut um die Macht schockierender Bilder: | |
| Nicht umsonst setzte die erste europäische Diskussion über die | |
| Flüchtlingspolitik im Oktober 2013 ein, als sämtliche TV-Kanäle des | |
| Kontinents die furchtbaren Aufnahmen von Lampedusa übertrugen, nach dem | |
| Kentern eines Schiffs, das 368 Menschen in den Tod riss: Aufnahmen erst von | |
| der Bergung der Leichen aus dem Schiffswrack direkt vor der Insel, dann von | |
| den endlosen Reihen der Särge im Flughafenhangar und auf der Hafenmole. | |
| In Reaktion auf jene Katastrophe hatte Italiens Regierung seinerzeit die | |
| humanitäre Mission Mare Nostrum angeschoben, dann aber im November 2014 | |
| wieder sang- und klanglos eingestellt – da hieß Italiens Ministerpräsident | |
| schon Matteo Renzi. Doch auch diese argumentative Klippe umschifft der | |
| eloquente Politiker elegant, wenn es um die jüngste Großkatastrophe vom | |
| April geht: „Die Personen dort sind gestorben, weil die internationale | |
| Gemeinschaft nicht hingeschaut hat und weil Italien nicht alles allein | |
| machen kann.“ | |
| ## „In Eritrea intervenieren“ | |
| Die Welt aufrütteln also – aber mit welchem Ziel eigentlich? Am gleichen | |
| Abend, an dem Renzi seine flammenden Worte sprach, liefen in zwei anderen | |
| TV-Talkshows parallel hitzige Debatten über Europas und Italiens | |
| Flüchtlingspolitik; jenseits der Rezepte waren sich die Politiker von links | |
| bis rechts wenigstens in einem Punkt einig: „Europa lässt uns allein“, und | |
| Giorgia Meloni von den Postfaschisten wollte gar „gegen Merkel“ auf die | |
| Straße gehen. | |
| Italien will die europäischen Flüchtlingsquoten – keiner in Italien aber | |
| nimmt zur Kenntnis, dass das Land, in dem im letzten Jahr etwa 63.000 | |
| Asylanträge gestellt wurden, per Quote 66.000 zugewiesen bekommen hätte. | |
| Auch Renzi weiß bloß – schließlich ist in Italien gerade Regional-Wahlkampf | |
| – dass die Flüchtlinge „ohne Zweifel in Afrika blockiert werden müssen“… | |
| und setzt dann noch eins drauf: „Man muss in Eritrea intervenieren, 23% | |
| aller Flüchtlinge kommen von dort.“ | |
| 20 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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