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# taz.de -- Debatte Militarisierte Flüchtlingspolitik: Im europäischen Fadenk…
> Mit ihrer neu beschlossenen Flüchtlingspolitik definiert die EU
> schutzbedürftige Menschen in eine Bedrohung um. Ein gefährlicher
> Präzedenzfall.
Bild: Helfen Waffen gegen Not?
Es ist geradezu wahnwitzig, [1][was da am Montag von den europäischen
Außen- und Verteidigungsministern verabschiedet wurde]. „EUNAVFOR Med“
heißt die neue Mission im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik der EU.
Ihr Ziel: Möglichst bald soll militärisch gegen Schleuser vorgegangen
werden, zunächst in Libyen. Neben einer Marineoperation stehen Luftangriffe
und selbst der Einsatz von Spezialeinheiten an Land zur Debatte.
Es sei nur eine Maßnahme von vielen, redete die EU-Außenbeauftragte
Federica Mogherini den Beschluss noch am selben Tag klein. Zudem gehe es in
einer ersten Phase bloß darum, alle verfügbaren Aufklärungsinstrumente zu
nutzen, um die Aktivitäten der Schlepper möglichst genau nachzuvollziehen.
Auch in Phase zwei wolle man über das Durchsuchen und Beschlagnahmen von
Schiffen nicht hinausgehen. Erst in einem dritten Schritt seien
Militäreinsätze auf libyschem Territorium angedacht. An der grundlegenden
Entscheidung aber ändert das nichts: Die Militarisierung der europäischen
Flüchtlingspolitik ist beschlossene Sache, und das ist in gleich mehrfacher
Weise problematisch.
Zunächst wird die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
missbraucht, um die Abschottung der eigenen Grenzen voranzutreiben. Das war
nie ihr Ziel und sollte es auch nicht werden.
Gleichzeitig werden schutzbedürftige Menschen zu einer
sicherheitspolitischen Bedrohung umdefiniert, der allein mit militärischen
Mitteln beizukommen sei. Das ist vollkommen maßlos. Dennoch warb Mogherini
jüngst vor dem UN-Sicherheitsrat um das äußerste Mittel: ein Militärmandat
nach Kapitel VII der UN-Charta.
## Wie Piraterie, Drogenhandel oder Wilderei
Ein solches Mandat ist immer dann notwendig, wenn ohne das Einverständnis
des betroffenen Staates – in diesem Fall: Libyens – in dessen Hoheitsgebiet
eingegriffen werden soll. Es ist vorgesehen „bei Bedrohung oder Bruch des
Friedens und bei Angriffshandlungen“, wenn der „Weltfrieden und die
internationale Sicherheit“ auf dem Spiel stehen.
So menschenverachtend das Gebaren der Schleuser auch sein mag: Sie zu einer
derartigen Bedrohung für die kollektive Sicherheit hochzustilisieren, ist
absurd. Allein der Versuch, dennoch das Einverständnis der Vereinten
Nationen zu erhalten, schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Einen
weiteren Präzedenzfall, um genau zu sein. Von Piraterie über Drogenhandel
bis hin zu Wilderei und Elfenbeinschmuggel: In zahlreichen Fällen segnete
der Sicherheitsrat in der Vergangenheit ein militärisches Eingreifen auf
Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen ab.
Auf die stets gleiche Argumentationskette setzt nun auch die Europäische
Union: Nicht die Flüchtenden seien die Gefahr für die internationale
Ordnung, auch nicht die Schlepper; die chaotischen Verhältnisse aber, die
durch die gesamte Migrationsbewegung zu entstehen drohten, könnten zunächst
Nordafrika und Europa, in der Folge die gesamte Welt in eine
sicherheitspolitische Notlage stürzen. Nur ein frühzeitiges militärisches
Eingreifen könne diese Entwicklung aufhalten.
Mit dieser abenteuerlichen Strategie setzt die EU die längst begonnene
Aufweichung internationaler Völkerrechtsstandards fort und spielt gerade
jenen Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats in die Hände, die ohnehin die
Spielräume militärischen Eingreifens dehnen wollen. Ein schwerwiegender
Fehler.
## Völkerrecht wird aufgeweicht
Ferner zeugen die Pläne der europäischen Außen- und Verteidigungsminister
von einem beunruhigend naiven Verständnis davon, wie Schlepperstrukturen
tatsächlich funktionieren. Schleuser kommunizieren und agieren eben nicht
über klar definierbare Knotenpunkte und Logistikzentren, die präzise aus
der Luft in dieselbe gesprengt werden könnten.
Auch in Libyen operieren Schlepper meist über verwinkelte soziale
Strukturen, über familiäre Netzwerke, inmitten des gesellschaftlichen
Alltags. Will die EU etwa Ziele angreifen, die fester Bestandteil des
sozialen und infrastrukturellen Gefüges sind? Wie will sie in diesem
Zusammenhang ausschließen, dass auch Zivilisten zu Schaden kommen und sich
die ohnehin fragile Sicherheitslage in Libyen weiter destabilisiert?
Immerhin steht zu bezweifeln, dass die in Libyen weiterhin einflussreichen
Milizen tatenlos dabei zusehen würden, wie die italienische Marine oder die
britische Luftwaffe militärische Angriffe in ihrem Einflussgebiet fährt.
Und auch die libysche Tobruk-Regierung hat bereits mehrfach zu verstehen
gegeben, dass sie ein militärisches Vorgehen der Europäischen Union als
Angriff auf die eigene Souveränität deuten werde.
Einen Monat ist es nun her, dass erneut Hunderte Menschen im Mittelmeer ihr
Leben ließen. Die wenigen sinnvollen Reformvorschläge für eine andere
Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU-Kommission, die unter diesem
Eindruck entstanden, werden auch weiterhin im Konjunktiv gedacht. Eine
permanente, gemeinsame Seenotrettung? Nicht wirklich, und ohnehin zunächst
nur in europäischen Gewässern. Legale Zugangswege, um den Schleppern die
Geschäftsgrundlage zu entziehen? Vielleich später. Ein neues System der
Umverteilung innerhalb Europas? Das scheint längst vom Tisch.
## Kollektives Schiffeversenken
Bei der Militarisierung ihrer Flüchtlingspolitik hingegen schafft die EU
Fakten. Dabei werden sich wohl kaum weniger Flüchtende auf den Weg machen,
nur weil Europa auf kollektives Schiffeversenken setzt. Allenfalls werden
sie auf noch gefährlichere Routen ausweichen, den Schleusern noch mehr Geld
zahlen.
Wer sich das nicht leisten kann, bleibt in Libyen zurück – einem Land, in
dem Folter, Entführung, Vergewaltigung und die systematische Ausbeutung von
Flüchtenden an der Tagesordnung sind.
Bereits jetzt treten die EU-Mitgliedstaaten das Asylrecht mit Füßen. Bald
wollen sie schwerere Geschütze auffahren. Wir sollten alles daransetzen,
diesem militärischen Wahnsinn umgehend ein Ende zu setzen.
22 May 2015
## LINKS
[1] /Plaene-gegen-Fluechtlinge/!160121/
## AUTOREN
Barbara Lochbihler
## TAGS
EU
Europäische Union
Flüchtlingspolitik
Militär
Libyen
Schwerpunkt Flucht
Libyen
Mittelmeer
Menschenrechte
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