# taz.de -- Flüchtlinge in Italiens Landwirtschaft: Refugees Welcome im Knoche… | |
> Europas Flüchtlingspolitik hält Lebensmittel billig. In Italien beuten | |
> Landwirte die Ankommenden aus und lassen sie Feldarbeit für wenig Geld | |
> machen. | |
Bild: 50 Euro für einen Tag Arbeit: Kartoffenernte in Sizilien. | |
SYRAKUS ap | Bunte Plastikkisten stehen auf dem frisch umgegrabenen Acker | |
im Osten Siziliens bereit, um mit Kartoffeln für Verbraucher in ganz Europa | |
gefüllt zu werden. Die 14 Männer, die die Kartoffeln aus der fruchtbaren | |
Erde klauben, sind Flüchtlinge. | |
Migranten, die es über das Mittelmeer nach Italien geschafft haben, sitzen | |
dort oft über Jahre fest, bis ihr Einwanderungsstatus geklärt ist. Die | |
einzige Möglichkeit für sie, Geld zu verdienen, sind die Knochenjobs in der | |
Landwirtschaft, die Einheimische kaum noch übernehmen wollen. Und ihre | |
Arbeit trägt wesentlich zur Versorgung Europas mit Lebensmitteln bei. | |
Gerade erst schlug der italienische Innenminister Angelino Alfano vor, dass | |
die Neuankömmlinge Freiwilligendienste leisten könnten, während sie auf die | |
Bearbeitung ihrer Asylanträge warten. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass | |
sich die Migranten unter der Hand Arbeit suchen, um Geld zu verdienen, das | |
sie entweder in die Heimat schicken oder mit dem sie ihre Weiterreise | |
Richtung Norden finanzieren. | |
„Die Arbeit ist gut“, sagt der 33-jährige Chamis aus dem Sudan, der | |
vergangene Woche auf den Äckern bei Syrakus Kartoffeln erntete. Er verdiene | |
50 Euro pro Tag – mehr als die Summe, die Hilfsorganisationen üblicherweise | |
für solche Arbeit nennen. Bezahlt wird in der Regel in bar, doch häufig | |
bekommt ein örtlicher Vermittler einen Anteil davon. | |
## Billigarbeit in der Kornkammer | |
In Italien, wo in diesem Jahr bereits mehr als 26.000 Migranten ankamen, | |
werden die Menschen zunächst in Lagern untergebracht, wo sie mit Nahrung | |
und Kleidung versorgt werden. Je nach ihrem Einwanderungsstatus erhalten | |
einige von ihnen Taschengeld in Form von Gutscheinen oder Bargeld. Einige | |
dürfen arbeiten, während ihr Asylantrag überprüft wird, andere müssen | |
Monate oder gar Jahre auf eine entsprechende Erlaubnis warten. | |
Wer der Langeweile und den Entbehrungen in den überfüllten Lagern entgehen | |
will, hat angesichts der Arbeitslosenquote von 13 Prozent in Italien wenig | |
Möglichkeiten. Doch die meisten finden etwas, „ob legal oder auf dem | |
Schwarzmarkt“, sagt Einwanderungsanwältin Angela Ghennet Lupo. Für Männer, | |
die den Großteil der Migranten ausmachen, bedeutet dies häufig Arbeit auf | |
den Bauernhöfen der Region. Süditalien gilt als Kornkammer des Landes, | |
Produkte von dort werden nach ganz Europa exportiert. | |
Die Konkurrenz um Jobs ist groß. Manche beschließen, die Lager zu verlassen | |
und in leerstehende steinerne Hütten zu ziehen, von denen es in der Region | |
viele gibt. So sind sie näher an den Dörfern, in denen morgens die Arbeit | |
an die Tagelöhner vergeben wird. „Die Mehrheit lebt in heruntergekommenen | |
Hütten auf den Feldern ohne jede Infrastruktur, ohne Wasser, ohne | |
Toiletten“, sagt Anwältin Lupo. „Sie kochen über einem kleinen Feuer auf | |
dem Boden, und sie arbeiten den ganzen Tag.“ | |
Die Einheimischen wissen, wo diese Lagerstätten zu finden sind. „Die | |
Landschaft hier ist weit. Man sieht sie vielleicht nicht, aber sie sind | |
da“, sagt Safi Adem, ein 38-Jähriger aus dem Sudan, der Reportern einen | |
solchen Ort zeigt. Er selbst sei nicht bereit gewesen, auf den Feldern zu | |
arbeiten und hatte das Glück, mehrere Jahre lang von der Stadt Rom | |
beschäftigt zu werden. Als damit Schluss war, tat er sich mit einem anderen | |
Migranten zusammen. Beide kehrten nach Sizilien zurück und eröffneten dort | |
einen Laden für Obst und Gemüse. Doch das Geschäft hatte keinen Erfolg, und | |
nun kehrte er zurück nach Syrakus, um die Firma aufzulösen. | |
## Leben in Bauernhaus-Resten | |
Adem zeigt den Reportern den Weg zu einem Ort, den er „Hotel Sudan“ nennt �… | |
den Überresten eines verlassenen alten Bauernhauses, umgeben von | |
provisorischen Hütten, Zeltplanen und Matratzen. Dort ist ein halbes | |
Dutzend Männer gerade dabei, in großen Plastikwannen Wäsche zu waschen. | |
Ganz offensichtlich hat an diesem Tag niemand Arbeit gefunden. | |
Während die Stimmung in Teilen Norditaliens gegen die Flüchtlinge gerichtet | |
ist, heißen viele sizilianische Bauern die Arbeitskräfte willkommen. | |
„Einwanderung ist hier eine Ressource“, sagt Chiara Lo Bianco, deren | |
landwirtschaftliches Unternehmen ökologisch angebaute Zitrusfrüchte und | |
Gemüse für Kunden in Nordeuropa produziert. Während die begehrtesten Jobs – | |
das Pflücken von Zitronen etwa - überwiegend von Sizilianern übernommen | |
werden, pflegen Immigranten die Bäume und ernten die Zucchini in den vielen | |
hundert Gewächshäusern des Betriebs. | |
Lo Bianco bezahlt ihre Beschäftigten gut. Sie erhalten etwa 1200 Euro | |
monatlich, zusätzlich zur Verpflegung, so dass sie Anspruch auf | |
Sozialleistungen haben. Doch andere Landwirte haben weniger Skrupel. In der | |
Nachbarregion Kalabrien seien die Bedingungen viel härter, sagt Alberto | |
Barbieri von der Hilfsorganisation Ärzte für Menschenrechte. „80 Prozent | |
werden unter der Hand bezahlt, mit einem durchschnittlichen Lohn von 25 | |
Euro pro Tag“, erklärt Barbieri. | |
Der Druck, für so wenig Geld zu arbeiten, wird kaum nachlassen: Europäische | |
Verbraucher erwarten selbst für italienische Spitzenprodukte niedrige | |
Preise, und der Zustrom von Migranten soll 2015 die Rekordzahl von 170.000 | |
aus dem vergangenen Jahr noch übertreffen. | |
13 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Jordans | |
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