# taz.de -- taz-Recherche zu Drohschreiben: Anruf vom „NSU 2.0“ | |
> Der „NSU 2.0“ war intensiver und früher aktiv als bislang bekannt. Der | |
> hauptverdächtige Polizist hat zur Wahl der AfD aufgerufen. | |
Bild: Plakat bei einer Protestaktion in Wiesbaden im Juli | |
Frankfurt a.M./Kirtorf/Berlin taz | Der oder die Täter, die die bislang | |
mehr als 80 [1][„NSU 2.0“]-Drohmails verschickt haben, haben intensiver | |
Zielpersonen ausgespäht als bislang bekannt. Wie taz-Recherchen ergeben | |
haben, hat ein Mann bereits im August 2018 telefonisch versucht, an private | |
Daten von taz-Autor*in Hengameh Yaghoobifarah zu kommen. Er meldete sich | |
damals telefonisch in der taz-Redaktion, gab sich als Polizist aus und | |
äußerte eine Drohung. In zwei späteren „NSU 2.0“-Schreiben wird präzise… | |
diesen Anruf Bezug genommen. | |
Zum Zeitpunkt des Anrufes waren noch keine Drohungen des „NSU 2.0“ | |
öffentlich bekannt. Die Nachrichten, in denen das Telefonat erwähnt wird, | |
wurden im Oktober 2019 beziehungsweise Juni 2020 von der Adresse | |
verschickt, die die Ermittler dem „NSU 2.0“ zuordnen. Als Absender ist | |
„SS-Obersturmbannführer“ angegeben. Es handelt sich um einen Mailaccount | |
beim Anbieter Yandex, dessen Nutzername ein rassistisches Schimpfwort ist. | |
Mehrfach äußert der „Führer“ des „NSU 2.0“, wie sich der Absender | |
bezeichnet, in Mails, dass Yaghoobifarah eine „Sonderbehandlung“ erhalte, | |
sie sei „unser Primärziel“. Yaghoobifarah erhält schon länger massive | |
Drohungen, die nach einer polizeikritischen Kolumne im Juni 2020 noch | |
einmal zunahmen. | |
In den „NSU 2.0“-Mails, die der taz vorliegen, werden auch mehrere nicht | |
öffentlich bekannte private Daten von Personen genannt, die vom „NSU 2.0“ | |
Drohschreiben erhalten. Darunter eine alte und die aktuelle Wohnanschrift | |
der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, [2][wie die taz berichtet | |
hatte]. Başay-Yıldız hatte im August 2018 per Fax die erste bekannte | |
Drohung vom „NSU 2.0“ bekommen. Kurz zuvor waren private Daten von ihr an | |
einem Dienstcomputer in einem Frankfurter Polizeirevier abgerufen worden. | |
## Ein Polizist im Verdacht | |
Die Ermittler verdächtigen nach wie vor einen Frankfurter Polizisten, die | |
Daten abgefragt und die „NSU 2.0“-Faxe verschickt zu haben. Der | |
Tatverdacht, dass er auch hinter den Drohmails steckt, hat sich laut der | |
Staatsanwaltschaft Frankfurt jedoch nicht erhärtet. Die Staatsanwaltschaft | |
hat bereits vor einem Jahr ein Rechtshilfeersuchen nach Russland gestellt, | |
um an die Verkehrsdaten der Yandex-Adresse zu kommen. Dieses wurde nach | |
taz-Informationen bis heute nicht beantwortet, obwohl die deutsche Seite | |
mehrfach nachgehakt hat. | |
Bei dem beschuldigten Polizisten handelt es sich nach taz-Recherchen um den | |
Polizisten Johannes S. Der heutige 31-Jährige gehörte einer Chatgruppe an, | |
in der Polizist*innen des 1. Reviers rechtsextreme Inhalte austauschten. | |
Von Mai 2019 bis Ende 2019 wurden laut Staatsanwaltschaft intensive | |
Ermittlungen gegen ihn geführt. Im Juni 2019 hatten die Ermittler zum | |
zweiten Mal seine Wohnung in Frankfurt und sein Haus im mittelhessischen | |
Kirtorf durchsucht. Auch seine Kommunikation war überwacht worden. | |
In sozialen Netzwerken äußerte sich Johannes S. politisch. Auf Facebook | |
schrieb er etwa kurz vor der Bundestagswahl 2013: „Am 22. heißt es Kreuz | |
für die AfD....und nein diese Stimme ist NICHT verschenkt!“ Als der | |
G20-Gipfel in Hamburg stattfand, postete er auf Instagram einen „Fck | |
Antifa“-Schriftzug, dazu Hashtags wie #scheisslinke, #terrorvonlinks und | |
#ingedankenbeidenkollegen. Die Posts liegen der taz vor. Johannes S. wollte | |
nicht mit der taz sprechen und beantwortete keine schriftlichen Fragen. | |
Wie der „NSU 2.0“-Absender die aktuelle Wohnanschrift von Başay-Yıldız | |
erlangt hat, ist unklar. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) | |
sagte am Donnerstag im Plenum des Landtages in Wiesbaden, es habe in Hessen | |
keine erneute unrechtmäßige Abfrage im Polizeisystem gegeben. | |
Die gesamte Recherche über die Drohschreiben des „NSU 2.0“ und den | |
verdächtigen Polizisten lesen Sie in der [3][taz am Wochenende vom 5./6. | |
September 2020]. | |
4 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /NSU-20/!t5578246 | |
[2] /taz-Recherche-zum-NSU-20/!5712254 | |
[3] /Ausgabe-5/6-September-2020/!171514 | |
## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
Sebastian Erb | |
Dinah Riese | |
Luisa Kuhn | |
Konrad Litschko | |
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