# taz.de -- NSU-Terror in Deutschland: 20 Jahre Versagen | |
> Täter fühlen sich so sicher, dass sie als „NSU 2.0“ wieder Todesdrohung… | |
> verschicken. Gerade deshalb ist radikale Aufklärung so wichtig. | |
Bild: Juni 2018, eine Gedenktafel mit dem Foto von Enver Şimşek hängt an ein… | |
Es waren neun Schüsse, die nur Fragen hinterließen. Genau vor zwanzig | |
Jahren [1][trafen sie Enver Şimşek], einen Mann, der sich vom | |
Fabrikarbeiter zum Blumengroßhändler hochgearbeitet hatte, einen zweifachen | |
Familienvater. Mit einem Blumenstand hatte der 38-Jährige an einer | |
Nürnberger Ausfallstraße gestanden, zwei Tage später starb er im | |
Krankenhaus. | |
Wer waren die Täter? Was war das Motiv? Es dauerte elf Jahre, bis es | |
Antworten darauf gab: [2][Die Mörder waren Rechtsterroristen], der | |
Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Elf Jahre, in denen dieser Staat | |
versagte. Denn der Mord an Enver Şimşek markierte den Beginn der bis heute | |
schwersten Rechtsterrorserie der Bundesrepublik, neun weitere Tote folgten. | |
Die Polizei verhinderte dies nicht, schloss ein rechtsextremes Motiv | |
weitgehend aus und verdächtigte stattdessen die Opfer. An jedem Tatort | |
wieder neu. Das Versagen aber endete damit nicht. | |
Denn die Schüsse auf Enver Şimşek hinterlassen Fragen, die bis heute offen | |
sind. Die in den letzten Jahren immer wieder gestellt wurden. Wussten der | |
Verfassungsschutz und seine V-Leute wirklich so wenig über die Mordserie? | |
Gab es wirklich nur das Tätertrio? Wer aber warf dann in Nürnberg das | |
NSU-Bekennnerschreiben per Hand bei einer Zeitungsredaktion ein? Wer | |
wusste, dass Simsek ausnahmsweise gerade an diesem Tag an der Straße stand? | |
Es ist beschämend, dass solch zentrale Fragen ungeklärt sind. Und es hat | |
Folgen. Er habe das Vertrauen in den Staat verloren, sagte Abdulkerim | |
Şimşek, der Sohn von Enver Şimşek, bei dem Gedenken an seinen Vater. Ein | |
Satz, den auch einige Opfer nach den Anschlägen in Hanau und Halle | |
aussprachen. Ein verheerendes Zeugnis für dieses Land. | |
Umso mehr, da sich parallel Täter so sicher fühlen, dass sie seit Monaten | |
und wohl mit Zugriff auf Polizeidaten als „NSU 2.0“ wieder Todesdrohungen | |
verschicken. Deshalb ist radikale Aufklärung so wichtig – auch 20 Jahre | |
später. Zu den Netzwerken der Rechtsextremen, zu Verwicklungen des Staates. | |
Damit Täter gefasst werden, damit Betroffene wieder Vertrauen gewinnen. Es | |
ist nie zu spät dafür. | |
9 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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