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# taz.de -- Urteil gegen Drohmailverfasser: „Perfide und menschenverachtend“
> Ein Mann versendete eine Flut rechtsextremer Drohschreiben. Nun wurde er
> zu vier Jahren Haft verurteilt. Er sei „höchstgefährlich“.
Bild: Der Angeklagte André M. beim Prozessauftakt im April
Berlin taz | André M. schaut ungerührt auf Richter Thorsten Braunschweig,
die Hände gefaltet, als dieser das Urteil gegen ihn verkündet: Vier Jahre
Haft und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die
Drohschreiben von M. seien „ganz perfide und menschenverachtend“ gewesen,
so der Richter. Der Angeklagte sei „höchstgefährlich“. Die Allgemeinheit
müsse vor ihm geschützt werden.
André M. verfolgt die Worte regungslos. Sie sind die Antwort des
Rechtsstaats auf eine rechtsextreme Drohschreibenserie, die ab Ende 2018
wochenlang ungelöst blieb. Und an dem das Gericht nun keinen Zweifel hat,
dass der 32-jährige André M. sie verübte.
Mehr als 100 Schreiben soll der vielfach vorbestrafte Arbeitslose
verschickt haben, der zuletzt bei seinen Eltern in Halstenbek bei Hamburg
wohnte, in einem mit Hakenkreuzfahnen ausstaffierten Zimmer. Die Mails,
meist unter dem Alias „Nationalsozialistische Offensive“, gingen an
Gerichte, Rathäuser, Behörden, auch an PolitikerInnen, JournalistInnen oder
die Sängerin Helene Fischer. Sie enthielten wüste Gewaltphantasien, einige
auch horrenden Geldforderungen via Bitcoin oder Monero, andere
Bombendrohungen.
Man werde „Menschen auf offener Straße exekutieren“, hieß es darin etwa.
Angedroht wurde Kinder zu töten oder ferngesteuert Bomben zu zünden.
Mehrere Gebäude und Bahnhöfe wurden drauf geräumt, tatsächliche Sprengsätze
aber nie gefunden.
## Drohschreiben als Ventil
Richter Braunschweig spricht am Montag von massiven Gewaltandrohungen, die
durch die fachkundige Nennung konkreter Waffen oder Sprengstoffe
unterstrichen worden seien. André M. attestiert er dabei eine „starke
Affinität“ zu rechtsextremen Gedankengut. Mit den Drohungen gegen
staatliche Einrichtungen sei es ihm auch um eine „Verunsicherung der
Bevölkerung“ gegangen.
Richter Braunschweig hält André M. aber auch für psychisch krank. Seit
seiner Kindheit habe dieser Aggressionen in sich aufgestaut, für die er
zwanghaft ein Ventil suchte. Anfangs habe M. Brände gelegt und Autoreifen
zerstochen, später Sprengstoff hergestellt, eine Tätigkeit, die M. schon
als 16-Jähriger beherrschte. Später sinnierte er mit einem Bekannten über
einen Bombenanschlag auf ein Apfelfest in Rellingen, wofür er aber nicht
verurteilt wurde.
Für andere Straftaten landete M. dagegen jahrelang in einem psychiatrischen
Krankenhaus. Auch danach setzten sich die Straftaten fort. Und am Ende, so
Braunschweig, waren das Ventil für seine Wut die Drohschreiben.
26 Emails bewertet der Senat schließlich als strafbar, zu den anderen
stellt er die Vorwürfe ein. Durch die schwere Persönlichkeitsstörung sieht
das Gericht aber auch eine verminderte Schuldfähigkeit. Wegen einer
Herzkrankheit muss M. zudem starke Medikamente nehmen. Hilfen aber
verweigert er sich bis heute. „Lassen Sie sich behandeln!“, appelliert
Richter Braunschweig. „Sonst werden Sie sehr lange nicht in Freiheit
kommen.“
## „Kein sinnloses Geplapper“
Dass der 32-Jährige gefährlich ist, daran lässt der Richter keinen Zweifel.
André M. wisse, wie man mit Waffen und Sprengstoff umgehe, er pflege
Selbsthass und Hass auf andere, habe nichts zu verlieren. Seine Drohungen
seien „kein sinnloses Geplapper“, betont Braunschweig. „Wenn er nicht
behandelt wird, drohen schlimmste Straftaten.“
André M., ganz in schwarz gekleidet, reagiert auch auf diese Ausführungen
nicht. Blass und eingefallen sitzt er zwischen seinen Anwälten. Vor dem
Urteil hatte er in seinem Schlusswort in wenigen Sätzen noch einmal betont,
dass die „wirklichen Täter“ in den Ermittlungsbehörden selbst zu suchen
seien. Dass man ihm ein chauvinistisches Menschenbild vorwerfe, finde er
„ziemlich fraglich“. Mehr sagte er nicht.
Auch im Prozess selbst schwieg André M.. Über seinen Anwalt bestritt er
aber, dass er die Drohschreiben verschickt hatte – und legte bereits damals
nahe, diese Schreiben könnten aus den Sicherheitsbehörden stammen. Die
Verteidigung forderte einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft hatte
dagegen vier Jahre und drei Monate Haft gefordert.
Richter Braunschweig folgt am Montag weitgehend der Staatsanwaltschaft, hat
keinen Zweifel, dass André M. der Versender war. Dafür führt der Richter
mehrere Argumente an. So konnten Ermittler auf seinem PC mehrere
Textfragmente aus einzelnen Drohmails rekonstruieren. Gleiches gilt für
verschlüsselte Kommunikation im Darknet mit Gleichgesinnten. Eines der
Passwörter lautete „deutschland88“.
## Verbindungen zum „Staatsstreichorchester“
Auch habe André M. nach den Drohungen im Darknet recherchiert, wie auf die
Schreiben reagiert wurde. Und nach seiner Festnahme hörten die Drohungen
der „Nationalsozialistischen Offensive“ auf. All dies, so Braunschweig,
lasse keinen Zweifel daran, dass André M. der Täter war.
Der 32-Jährige hatte seine Zeit vor seiner Verhaftung ausschließlich in
seinem Zimmer und im Darknet verbracht, ohne Arbeit, ohne sonstige
Sozialkontakte. Am Ende verriet sich André M. selbst. Er bedrohte
schließlich auch eine Bekannte aus Sachsen-Anhalt – und griff dies später
in einem Schreiben an eine Politikerin auf. Über diese Bekannte konnte die
Polizei André M. identifizieren und im April 2019 festnehmen – ein seltener
Ermittlungserfolg.
Jedoch: Auch nach der Festnahme erreichten PolitikerInnen und Medien
Drohschreiben ähnlicher Art, etliche davon unterzeichnet mit
„Staatsstreichorchester“. Ein Alias, mit dem André M. laut Ermittlern seit
Mitte Januar 2019 auch über das Darknet in Kontakt stand. Nach der
Inhaftierung von André M. forderte das „Staatsstreichorchester in einem
Schreiben die „Immunität“ für den „Mitarbeiter“ – und versandte neue
Drohungen. Beim [1][Prozessauftakt gegen M.] wiederum erreichte das
Berliner Landgericht eine Bombendrohung, unterschrieben von einem „NSU
2.0“.
Auch für die „Staatsstreichorchester“-Schreiben glauben die Ermittler laut
ARD inzwischen einen Verdächtigen zu haben: den Berliner Emil A., 33 Jahre
alt. Die Drohserie endete nach der Verhaftung von Emil A.. Zudem konnte
Emil A. eine Emailadresse zugeordnet werden, die sich auf das verbotene
rechtsextreme Netzwerk Combat 18 bezieht – das auch in Drohschreiben des
„Staatsstreichorchesters“ immer wieder auftauchte. Bisher soll es den
Ermittlern allerdings nicht geglückt sein, den Laptop von Emil A. zu
entschlüsseln. Die Berliner Staatsanwaltschaft wollte sich auf
taz-Nachfrage wegen laufender Ermittlungen zu dem Fall nicht äußern.
Derzeit steht Emil A. in Berlin ebenfalls vor Gericht, weil er im April
2020 versucht haben soll, vom britischen Gesundheitsdienst, dem National
Health Service, mit einer Drohmail zehn Millionen Euro britische Pfund
einzufordern und drohte, andernfalls eine Bombe zu zünden. 17 weitere
Drohschreiben an den NHS folgten, bis Emil A. am 15. Juni schließlich in
Berlin festgenommen werden konnte.
Weiter ungeklärt ist dagegen die [2][„NSU 2.0“-Drohserie], die etwa die
Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die Kabarettistin Idil Baydar oder
Linken-Politikerinnen Janine Wissler und Martina Renner traf.
André M. war in diesen Fällen keine Hilfe. Er schwieg in seinem Prozess
auch dazu, wer hinter seinen Darknet-Kontakten steckte.
14 Dec 2020
## LINKS
[1] /Rechtsextreme-Terrorbriefe/!5680194
[2] /taz-Recherche-zu-Drohschreiben/!5712421
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Drohbriefe
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Bombendrohung
Schwerpunkt Rechter Terror
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