| # taz.de -- bpb-Präsident zum Zustand der Demokratie: „Das ist die Stunde de… | |
| > 25 Jahre war Thomas Krüger Chef der Bundeszentrale für politische | |
| > Bildung. Warum er positiv in die Zukunft blickt und wenig von einem | |
| > AfD-Verbot hält. | |
| Bild: Seit Ende August nicht mehr bpb-Chef: Thomas Krüger | |
| taz: Herr Krüger, nach 25 Jahren an der Spitze der Bundeszentrale für | |
| politische Bildung sind Sie aus dem Amt geschieden. Wie schwer fällt Ihnen | |
| der Abschied? | |
| Thomas Krüger: Die Bundeszentrale ist mir ans Herz gewachsen. Ich kenne | |
| jeden Winkel, jede Änderung, die ich vorgenommen habe. Es steckt viel | |
| Lebenselixier von mir drin. Gleichzeitig bin ich auch rund mit der Sache. | |
| Nach einem Vierteljahrhundert ist es an der Zeit loszulassen. | |
| taz: Sie verlassen die Bundeszentrale an einem heiklen Punkt der deutschen | |
| Geschichte. Im vergangenen Herbst hat die AfD in Thüringen erstmals eine | |
| Landtagswahl gewonnen. Dieses Szenario droht sich 2026 in Sachsen-Anhalt | |
| und Mecklenburg-Vorpommern zu wiederholen. Sehen Sie unsere Demokratie in | |
| Gefahr? | |
| Krüger: Die Demokratie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt | |
| – von der repräsentativen zur diskursiven und aktuell zur disruptiven | |
| Demokratie. Das hat sehr stark mit Überforderungssituationen in der | |
| scheinbar stabilen westlichen Welt zu tun. Weil manche Herausforderungen so | |
| komplex sind, tritt vor das Bedürfnis nach Demokratie das Bedürfnis nach | |
| Stabilität. Das ist die Stunde der Stabilokraten, die sich mit autoritärem | |
| Gestus der Lage bemächtigen. Das beobachten wir nicht nur in Deutschland. | |
| Populismus und Autokratismus sind weltweit auf dem Vormarsch. Wohin das | |
| führt, ist völlig offen. | |
| taz: [1][Manche Ihrer Parteifreund:innen in der SPD fordern ein | |
| AfD-Verbot,] bevor es zu spät sei. Wie sehen Sie das? | |
| Krüger: Als politischer Bildner sehe ich die Debatte mit Unbehagen. | |
| Grundsätzlich finde ich die Verbotspädagogik schwierig. Und ich bin | |
| skeptisch, ob ein Verbot den gewünschten Effekt erzielt: nämlich, dass das | |
| alles verschwindet. Das wird es nicht. Die Haltung, die aus dem | |
| populistischen und rechtsextremen Lager kommt, hat eine Resonanz in der | |
| Gesellschaft. Diese Resonanz wird sich auch politisch formieren. | |
| taz: Die demokratischen Parteien wirken zunehmend hilflos im Umgang mit der | |
| AfD. Was sollten sie anders machen? | |
| Krüger: Man muss die demokratischen Parteien fragen, ob sie den Schuss | |
| gehört haben. Mir ist unerklärlich, warum sie immer noch den Hauptgegner in | |
| den eigenen Reihen suchen. Eigentlich können wir uns das nicht mehr | |
| leisten. Auf der anderen Seite wissen wir aus Ländern wie Italien und | |
| Frankreich, dass das Nachmachen von rechtsextremen Positionen dazu führt, | |
| dass man die eigene Struktur zerlegt. Wir brauchen aber stabile | |
| konservative Parteien. Das sage ich jetzt als Sozialdemokrat. | |
| taz: Der Bundeszentrale wird oft vorgeworfen, nicht „neutral“ zu sein. | |
| Tatsächlich untersteht sie dem Innenministerium. Wie politisch unabhängig | |
| konnten Sie agieren? | |
| Krüger: Das ist der Vorwurf, den die AfD immer vorbringt. Das ist eine | |
| völlig falsche Interpretation. Politische Bildung war nie neutral und darf | |
| nie neutral sein. Es geht immer um die Werte, die unser Grundgesetz | |
| vorgibt. Wenn eine Partei diese Grenzen verletzt, müssen wir darauf | |
| hinweisen. Politische Bildung ist nicht dazu da, irgendeine Politik zu | |
| legitimieren oder Loyalitäten herzustellen. Seit den 60er Jahren ist sie | |
| eine emanzipative Veranstaltung. Es geht darum, dass man sich kein X für | |
| ein U vormachen lässt. Hier hatte ich das Gefühl, dass ich als Leiter immer | |
| sehr viele Freiräume hatte. | |
| taz: Dennoch gab es auch politische Interventionen. 2021 [2][deckte die taz | |
| auf], dass der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) verlangte, eine | |
| ihm wohl zu freundliche Definition von Kommunismus zu ändern. Gab es so | |
| etwas häufiger? | |
| Krüger: Das war eine vorbildliche Recherche (lacht). Insgesamt war das | |
| Innenministerium aber sehr großzügig, auch wenn man dort nicht immer meine | |
| Positionen geteilt hat. Mir ging es bei allen Auseinandersetzungen immer um | |
| Pluralität. Wenn es um Wirtschaft ging, sollten auch kritische Modelle | |
| vorkommen, nicht nur die keynesianische Lehre. Das hat dazu geführt, dass | |
| ich selbst von der SPD kritische Kommentare bekommen habe. Für jemand, der | |
| Angst um seinen Job hat, ist die Leitung der Bundeszentrale nur bedingt | |
| geeignet. | |
| taz: Als Präsident der Bundeszentrale waren Sie auch immer finanziell | |
| abhängig von der Politik. Zuletzt wollte [3][die Ampel 2023 das Budget um | |
| 20 Millionen Euro kürzen]. Wie sehr schadet diese fehlende Verlässlichkeit | |
| der politischen Bildung? | |
| Krüger: Die Annahme, dass die Regierung den Haushalt nach Kriterien der | |
| Vernunft aufstellt, ist leider eine völlige Fehleinschätzung. Verschiedene | |
| Themen stehen dort in einem politischen Wettbewerb. Dass die Bundeszentrale | |
| in meinen 25 Jahren Stellen und Budget verdreifacht hat, liegt sehr stark | |
| am Parlament. Es gibt dort einen breiten Konsens, dass wir politische | |
| Bildung brauchen. Mehr Sorgen macht mir, dass wir als politische | |
| Institution angreifbar sind. Wir wurden 1952 per Erlass ins Leben gerufen. | |
| Theoretisch könnte die Bundeszentrale auch ohne Beteiligung des Parlaments | |
| abgeschafft werden. | |
| taz: Aktuell stehen Demokratieprojekte unter massivem Druck von AfD und | |
| Union. Soeben hat Familienministerin Karin Prien (CDU) – offenbar auf den | |
| Druck ihrer Fraktion hin – angekündigt, [4][das Bundesprogramm „Demokratie | |
| leben!“ vom Verfassungsschutz durchleuchten] zu lassen. Halten Sie das für | |
| ein kluges Signal? | |
| Krüger: Das ist ein Signal des Misstrauens. Demokratiearbeit, erst recht | |
| politische Bildung, braucht Vertrauen und nicht sicherheitspolitische | |
| Aufsicht. | |
| taz: Was viele beunruhigt, ist die Normalisierung der AfD und ihrer | |
| Positionen auch unter Jugendlichen und jungen Menschen. Wie erklären Sie | |
| sich diese Entwicklung? | |
| Krüger: Aus meiner Sicht zeigt die junge Generation, dass sie Konflikte | |
| austragen möchte. Neben der Sympathie für rechte Positionen haben junge | |
| Menschen auch viel Sympathie für linke Positionen. Nirgends ist die | |
| Zustimmung zur Linkspartei so ausgeprägt wie in der jungen Generation. | |
| Deshalb mache ich mir um sie eher weniger Sorgen. | |
| taz: Wirklich? | |
| Krüger: Ja. Mehr Sorgen mache ich mir um die Generation, die gar keine | |
| politischen Konflikte mehr austrägt. Die das Aushöhlen von demokratischen | |
| Verfahren billigend in Kauf nimmt. Das ist eher die berufsaktive | |
| Generation. Ich finde es unfair, dass jungen Menschen in der öffentlichen | |
| Debatte oft die Schuld für einen gesamtgesellschaftlichen Konflikt in die | |
| Schuhe geschoben wird. | |
| taz: Was ist mit den rechtsextremen Jugendgruppen, die sich auf Social | |
| Media radikalisieren und zunehmend selbstsicher und gewaltbereit auftreten? | |
| Krüger: Natürlich sind die Anlass zur Sorge. Bei der Radikalisierung | |
| spielen Social Media und ihre Echokammern eine große Rolle. Sie führen hier | |
| zu einer Polarisierung der Positionen, die in der Meinungsbildung ein | |
| Problem sein kann, weil dann die ganzen Graubereiche fehlen. Gleichzeitig | |
| erleben wir einen iconic turn: Junge Menschen lesen nicht mehr. Deswegen | |
| arbeiten wir in der politischen Bildung zunehmend mit visualisierten Tools | |
| wie dem Wahl-O-Maten. Und wir setzen verstärkt auf Influencer im Netz, weil | |
| man viele Jugendliche über traditionelle Multiplikatoren wie Lehrer oder | |
| Politikunterricht heute nicht mehr erreicht. | |
| taz: Einige Bundesländer wie Berlin oder Sachsen haben in den letzten | |
| Jahren die politische Bildung an Schulen gestärkt, dennoch kommen | |
| politische Themen vielerorts erst in den Klassen 8 oder 9 im Unterricht | |
| vor. Aus Ihrer Sicht zu spät? | |
| Krüger: Definitiv. Mein Motto ist immer gewesen: politische Bildung von | |
| Anfang an. Idealerweise erfolgt die Auseinandersetzung mit demokratischen | |
| Werten bereits in Kindergarten und Grundschule. Der Sachunterricht, den es | |
| an Grundschulen ja überall gibt, eignet sich hervorragend dazu, etwa für | |
| Umweltthemen. Das ist ein noch nicht gehobener Schatz. Ich finde es aber | |
| erfreulich, dass viele Bundesländer in letzter Zeit auf die Kritik der | |
| mangelnden politischen Bildung reagiert haben. | |
| taz: Die Wahrheit ist leider auch: Nicht an allen Schulen wird politische | |
| Bildung gerne gesehen. [5][Das jüngste Schulbarometer zeigt], dass | |
| Lehrkräfte vor allem im Osten Angst haben, mit Demokratiethemen bei | |
| Schüler:innen und Eltern anzuecken. Die Dresdner | |
| Politikwissenschaftlerin Anja Besand spricht von „gekippten Schulen“. | |
| Krüger: Es gibt solche Schulen. Dort muss man alles tun, um Lehrkräfte zu | |
| einer angstfreien Form der politischen Bildung zu motivieren. Wir wissen, | |
| dass Schülerinnen und Schüler sehr wohl über verschiedene Werturteile | |
| sprechen wollen. Im Unterricht darf es nur nie auf eine vorher intendierte | |
| Position hinauslaufen. Das müssen Lehrkräfte aushalten und sich erarbeiten. | |
| Man darf in der ganzen Debatte über politische Bildung nicht vergessen, | |
| dass die Fächer Sozialkunde und Politik am häufigsten fachfremd | |
| unterrichtet werden. Wer guten Politik- und Sozialkundeunterricht haben | |
| möchte, muss ausbilden. | |
| taz: Was würden Sie noch anders machen? | |
| Krüger: Für mich ist das A und O die politische Bildung an Schulen, denn da | |
| erreiche ich alle. Gleichzeitig ist es auch sehr wichtig, dass wir | |
| außerhalb der Schulen potenziell jedem ein Angebot der politischen Bildung | |
| machen. Wir können es uns aktuell nicht leisten, bestimmte Milieus in der | |
| Gesellschaft aufzugeben. Manchmal höre ich, politische Bildung sei nichts | |
| für den Osten. Mit dieser Haltung lässt man alle im Stich, die sich vor Ort | |
| für Demokratie einsetzen. | |
| 17 Sep 2025 | |
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