# taz.de -- Umgang mit AfD an Schulen: Storch soll Abflug machen | |
> Vor jeder Wahl müssen sich Schulen überlegen: Laden wir die AfD zu einer | |
> Podiumsdiskussion ein? An einem Berliner Gymnasium kam es zu Protesten. | |
Bild: Protest gegen Besuch von Beatrix von Storch am Hans-und-Hilde-Coppi-Gymna… | |
Berlin taz | Auf dem kleinen Schulhof des Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasiums | |
in Berlin ist was los an diesem Dienstagmittag: [1][Die Schule hat die | |
Berliner AfD-Politikerin Beatrix von Storch] wie andere | |
Direktkandidat:innen für eine Podiumsdiskussion eingeladen. Etwa 300 | |
Menschen sind gekommen, um dagegen zu protestieren. Auch die Polizei fährt | |
groß auf: insgesamt zwölf Mannschaftswagen sind um das Schulgelände in | |
Position. | |
Neben den Schüler:innen sind auch Eltern, Großeltern und Freund:innen | |
gekommen, um gegen die Normalisierung der AfD zu protestieren – vor allem | |
an einer Schule, deren Namensgeber:innen von den Nazis ermordet | |
wurden. „Deshalb müssen wir gegen den Auftritt von von Storch | |
protestieren“, ruft die Elftklässlerin Leni in die Menge. | |
Mit jeder Wahl stellt sich für Schulen aufs Neue die Frage: Wie umgehen mit | |
der AfD? Die Ministerien machen hierzu keine Vorgaben. Sie begründen das | |
mit dem in den Schulgesetzen festgeschriebenen Gleichheitsgebot. Solange | |
die AfD nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten werde, könne die Partei | |
nicht pauschal von Schulveranstaltungen ausgeschlossen werden, heißt es | |
dazu beispielsweise aus Sachsen. | |
So sieht es auch der Berliner Senat. Auf taz-Anfrage teilt ein Sprecher | |
mit: „Schulen sind im Rahmen ihres demokratischen Bildungsauftrags | |
verpflichtet, den Schülerinnen und Schülern ein breites Spektrum | |
politischer Standpunkte zu vermitteln, ohne eine Partei zu bevorzugen oder | |
zu benachteiligen.“ | |
## Unsicherheit groß | |
Sabine Achour von der Freien Universität Berlin sieht darin ein | |
bildungspolitisches Versagen: „Viele Schulen wünschen sich klare Vorgaben, | |
wann sie die AfD zu Veranstaltungen einladen und wann nicht“, sagt die | |
Politikwissenschaftlerin der taz. Aber anstatt hier juristisch wasserfeste | |
Guidelines zu erarbeiten, drückten sich die Ministerien vor einer klaren | |
Positionierung. Achour gehört zu denjenigen, die die AfD nicht zu | |
Podiumsdiskussion an Schulen einladen würden. „Stellen Sie sich vor, | |
Schüler:innen begegnen Politiker:innen, die genau diese Jugendlichen | |
'remigrieren’ möchten.“ Für genau diese Schüler:innen hätten die Schulen | |
eine Fürsorgepflicht. | |
Wie es gelingen kann, mit solchen Situationen umzugehen, weiß der Kölner | |
Lehrer für Sozialwissenschaften Ingo Arntz. Vor Europa- und | |
Bundestagswahlen wurden an seiner Schule in der Vergangenheit schon | |
mehrfach AfD-Abgeordnete eingeladen. Es brauche dabei aber klar | |
kommunizierte Grenzen: „Bei menschenfeindlichen oder rassistischen | |
Äußerungen kann jede Schule das Hausrecht geltend machen und das sofortige | |
Verlassen der Schule veranlassen“, so Arntz. Um seine Schüler:innen | |
macht sich der Lehrer ohnehin nicht zu große Sorgen: Etwa die Hälfte habe | |
Migrationshintergrund, viele Jugendliche an dem Gymnasium seien eher links | |
eingestellt. „Da macht die AfD keinen Stich.“ | |
Arntz könne zwar sehr gut nachvollziehen, dass Schüler:innen und | |
Lehrkräfte die AfD nicht an der Schule haben wollen. Trotzdem hält er | |
unmittelbare Auseinandersetzung mit der AfD für wichtig – auch, damit sich | |
die Partei nicht sofort in die Opferrolle begeben könne. | |
In diesem Jahr allerdings fällt die Podiumsdiskussion mit | |
Parteienvertreter:innen aus – wie schon vor der Europawahl im | |
vergangenen Jahr. Das liegt an einem De-facto-Verbot für | |
Wahlveranstaltungen an Schulen, das in Nordrhein-Westfalen wie in anderen | |
Bundesländern in den letzten sechs Wochen vor der jeweiligen Wahl gilt. Im | |
Januar erinnerte das Schulministerium von Dorothee Feller (CDU) in einem | |
Schreiben daran, dass die 6-Wochen-Frist auch trotz der Kurzfristigkeit der | |
anstehenden Bundestagswahlen gelte. | |
## Kritik an 6-Wochen-Frist | |
Bei Lehrer Arntz stößt das auf Unverständnis. „In dieser Woche | |
beispielsweise finden an unserer Schule U18-Wahlen statt, am Freitag zählen | |
wir die Stimmen aus.“ Eine Podiumsdiskussion mit Direktkandidat:innen | |
aus Köln wäre hier eine optimale Ergänzung gewesen. Er sehe „keinen | |
rationalen Grund“ für die 6-Wochen-Frist. Eine Podiumsdiskussion zwei | |
Monate vor der Wahl ergebe wenig Sinn: „Da gibt es in der Regel auch noch | |
keine Wahlprogramme, mit denen sich die Schüler:innen vorbereiten | |
können.“ | |
Das Ministerium in Düsseldorf verweist auf die Grundsätze schulischer | |
Neutralität und Unparteilichkeit, die es kurz vor Wahlen besonders | |
einzuhalten gelte – und stößt damit auf Kritik. Die oppositionelle FDP | |
beispielsweise kritisiert, dass die politische Bildung so auf der Strecke | |
bliebe – und politische Debatten noch stärker in die sozialen Medien | |
verlagert würden. | |
Mittlerweile hat das Ministerium offenbar seine Haltung überdacht. Auf | |
taz-Anfrage betont ein Ministeriumssprecher, dass Schulen auch in den sechs | |
Wochen vor der Wahl Podiumsdiskussionen veranstalten dürften, wenn sie | |
dabei „besonders sensibel“ vorgehen und die „Chancengleichheit der | |
Parteien“ wahrten. Für viele Schulen kommt diese Klarstellung zu spät – s… | |
haben die geplanten Panels verworfen oder abgesagt. | |
Die Politikwissenschaftlerin Achour sieht in dem Hin und Her eine | |
„Kapitulation“. Aus ihrer Sicht haben die Ministerien das | |
Kontroversitätsgebot des [2][Beutelsbacher Konsenses] als Neutralitätsgebot | |
komplett missverstanden. Der Konsens definiert Grundregeln der politischen | |
Bildung. „In der Zeit vor Wahlen finden noch die meisten Angebote für | |
politische Bildung an Schulen statt – da gehört die Konfrontation mit den | |
Parteien und ihren Wahlversprechen doch unbedingt dazu“, sagt Achour. | |
## Schüler:innen ernst nehmen | |
Zudem wünschten sich viele Schüler:innen solche Podiumsdiskussionen und | |
übernähmen auch gerne die Organisation und Vorbereitung. Wenn dieses | |
Interesse so von oben ausgebremst werde, sei das auch „eine Entmündigung“ | |
der Jugendlichen. Achour appelliert seit Jahren an die Politik, [3][die | |
junge Generation ernster zu nehmen] – und Schulen zu Orten gelebter | |
Demokratie zu machen. | |
Wie wenig das auch an dem Berliner Coppi-Gymnasium der Fall war, berichten | |
Schüler:innen der taz: So habe es zwar eine Abstimmung darüber gegeben, | |
ob von Storch zur Podiumsdiskussion erscheinen solle, erzählt der | |
Elftklässler Kilian. Das Ergebnis hätten die Schüler:innen jedoch nicht | |
erfahren. „Die Abstimmung war dann wohl egal“, vermutet er. | |
Ihr Ziel, dass die Schulleitung von Storch auslädt, haben die | |
Protestierenden zwar nicht erreicht. Die Anwesenden zollen den | |
Schüler:innen für ihren Protest aber dennoch Respekt. Als die | |
Schüler:innen für die Podiumsdiskussion ins Gebäude verschwinden, | |
erhalten sie donnernden Applaus. | |
12 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Beatrix-von-Storch-soll-in-einem-Gymnasium-sprechen-Schueler-und-Schule-we… | |
[2] https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/ | |
[3] /Debatte-um-das-Wahlalter-16/!6015735 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
Marco Fründt | |
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