# taz.de -- Zum Tod von Claus Offe: Ein Sozialwissenschaftler, der gegen den St… | |
> Claus Offe zeigte Widersprüche auf und scheute keine öffentlichen | |
> Auseinandersetzungen. Jetzt ist er im Alter von 85 Jahren gestorben. | |
Bild: Claus Offe, fotografiert nach einer Podiumsdiskussion in Köln, November … | |
Augsburg taz | Es ist selten, dass sich ein international renommierter | |
Sozialwissenschaftler so wenig an die engen Grenzen von Disziplinen hält. | |
Claus Offe bewegte sich elegant zwischen Soziologie, Politikwissenschaft | |
und Politischer Ökonomie, um 1970, mit gerade 30 Jahren, zu einem der | |
führenden Vertreter des Neomarxismus und der New Left in Europa zu werden. | |
Immer wieder stellte Claus Offe sich dem öffentlichen politischen | |
Schlagabtausch, so bereits 1961 als Mitverfasser [1][der SDS-Denkschrift | |
„Hochschule in der Demokratie“.] Nach dem Studium führte ihn seine | |
akademische Laufbahn nach der Mitarbeit bei Jürgen Habermas in Frankfurt | |
und Starnberg (mit einer Zwischenstation in Berkeley) nach Bielefeld, wo er | |
1975 seine erste Professur antrat. | |
Gegenüber vielen Mitstreitern zeichnete ihn sein unbefangener Umgang mit | |
dem Marx’schen Erbe aus. Offe nutzte dieses Erbe als Werkzeugkasten, | |
[2][der wichtige Elemente für eine zeitgemäße Gesellschaftsanalyse | |
bereithält.] Er war jedoch nicht daran interessiert, die Wirklichkeit | |
dogmatisch in ein vorgegebenes Kategorienraster zu pressen. | |
Vor allem seine frühen Arbeiten beschäftigen sich mit dem schwierigen | |
Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus: Wie ist das Versprechen | |
staatsbürgerlicher Gleichheit mit einer Wirtschaft kompatibel, die | |
systematisch soziale Ungleichheit produziert? Die Antwort lag für ihn in | |
der wohlfahrtsstaatlichen Zähmung des Kapitalismus. | |
## Unprätentiös und autoritätskritisch | |
Er sah freilich auch, dass diese Zähmung Ungleichheiten nicht generell | |
beseitigt, sondern etwa Gruppen ausgrenzt, die nicht über die | |
Organisationsmacht der Industriearbeiterschaft verfügen. Die Beiträge aus | |
dieser Phase – wie der Klassiker „Strukturprobleme des kapitalistischen | |
Staates“ (1972) – sind nach wie vor aktuell. | |
Offe dachte gegen den Strich. Er zeigte Widersprüche auf und durchleuchtete | |
Paradoxien. In seinen späteren Arbeiten befasste er sich mit der unter | |
Druck geratenden Sozialpolitik in einer erneut entfesselten | |
kapitalistischen Ökonomie. Zugleich erschloss er neue Pfade, auf denen er | |
seine früheren Thesen verfeinerte und mit Fragen der Demokratietheorie | |
verknüpfte. | |
So rückte er ab 1980 die neuen sozialen Bewegungen zu den Herausforderungen | |
der ökologischen Krise in seinen Betrachtungen stark in den Vordergrund. In | |
den 1990ern lieferte er scharfsinnige Analysen zur Transformation | |
Osteuropas nach dem Kollaps des real existierenden Sozialismus. Dies gilt | |
auch für sein letztes Buch, „Europa in der Falle“ (2016), in dem er eine | |
Umverteilung aus EU-Mitteln einfordert, die, wie es im Schlusssatz heißt, | |
„diesmal nicht der Rettung von Banken und Staaten gewidmet [ist], sondern | |
der von Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Jugendlichen, Rentnern und anderen | |
Bürgern, die in erster Linie die Leidtragenden der Krise … sind.“ | |
Offe zeigte Bruchstellen auf und diagnostizierte Krisenpotentiale. Doch er | |
machte auch durchaus Vorschläge, sei es als Befürworter eines universellen | |
Grundeinkommens oder als Verfechter des Umbaus Europas zu einer | |
transnationalen Solidargemeinschaft. Er war ein engagierter öffentlicher | |
Intellektueller, der die Positionierung außerhalb des Elfenbeinturms nicht | |
scheute. So setzte er im bleiernen Jahr 1977 [3][als Mitunterzeichner des | |
„Buback-Nachrufs“] seinen professionellen Status für die Verteidigung der | |
Meinungsfreiheit aufs Spiel. | |
Offe war nicht nur ein herausragender Sozialwissenschaftler. Er verkörperte | |
auch ein Wissenschaftsverständnis, das fachliche Exzellenz mit einem | |
unprätentiösen und autoritätskritischen Auftreten verband, wie diejenigen | |
wissen, die ihn als Lehrer, Kollegen oder Freund erleben durften. Am | |
vergangenen Mittwoch ist er im Alter von 85 Jahren gestorben. | |
7 Oct 2025 | |
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## AUTOREN | |
Peter A. Kraus | |
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