# taz.de -- Zensur in Belarus: Literaturszene unter Druck | |
> Leere Regale in Buchläden, beschlagnahmte Bücher, Verhaftungen: Der Kampf | |
> gegen kritische Gedanken in Belarus weitet sich aus. | |
Bild: Leere Regale: In Minsk wurde der Buch- und Souvenirhändler symbal.by von… | |
Es vergeht kaum ein Tag in Belarus, an dem man nicht von neuen Repressionen | |
gegen die dortige Literaturszene hören würde. Am Samstag etwa wurde in | |
Minsk der Buch- und Souvenirhändler symbal.by von der Polizei durchkämmt – | |
vier Mitarbeiter:innen des der Opposition nahestehenden Shops wurden | |
inhaftiert, Unterlagen und Waren sichergestellt, Bücher konfisziert. Auf | |
der Instagram- und Facebookseite von symbal.by sieht man nunmehr leere | |
Regale. | |
Unter den beschlagnahmten Büchern fand [1][sich „Revolution“,] der neue | |
Roman von Viktor Martinowitsch. Schon vor langer Zeit ist der Minsker | |
Schriftsteller zur Zielscheibe des Lukaschenko-Regimes geworden, bereits | |
sein Buch „Paranoia“ (2009) wurde kurz nach der Veröffentlichung verboten. | |
„Revolution“ ist im Oktober in Belarus erschienen, einige Oppositionelle | |
verwenden es als Symbol, recken es in die Höhe, posten Bilder des | |
Buchcovers. Mehr als 600 Exemplare hat die Polizei seither eingezogen. | |
Ironischerweise handelt der Roman, der kürzlich [2][bei Voland & Quist auf | |
Deutsch] erschien, nicht von dem Aufruhr in Belarus, sondern vom | |
Autoritarismus im Putin-Imperium (der Roman spielt in Moskau). Eigentlich | |
aber geht es um Macht, Gefügigkeit und Untertanentum im Allgemeinen. | |
## Internethandel im Visier | |
„Das ist der Weg der Zensur, den man in Belarus seit vielen Jahren kennt: | |
Man lässt die Bücher erst mal erscheinen und greift dann während des | |
Vertriebswegs ein“, sagt Thomas Weiler, deutscher Übersetzer von | |
Martinowitsch und Experte für belarussische Literatur, über die | |
konzertierten Polizeiaktionen. Verbote brauche man so nicht auszusprechen. | |
Insbesondere die Internet-Buchhändler seien das Ziel. Sie spielten in | |
Belarus eine weitaus wichtigere Rolle als im deutschen Buchhandel. | |
Den ganzen Januar über gab es eine Verhaftungswelle, es kann jeden treffen | |
– Schriftsteller:innen, Verleger:innen, Übersetzer:innen, | |
Agent:innen. Am 13. Januar nahm die Polizei den Verleger Hienadź Viniarski | |
(Knihazbor Verlag) wegen eines angeblichen Steuerdelikts fest. Zwei Tage | |
später wurde Andrej Januškievič (Januškievič Verlag) unter ähnlichem | |
Vorwand verhaftet. Beide zählen zu den wichtigsten unabhängigen Verlagen | |
des Landes, sie vertreiben viel belarussische Literatur. Beide sind wieder | |
frei. | |
Die Übersetzerin Volha Kalackaja, die unter anderem Margaret Atwood und | |
Timothy Snyder aus dem Englischen übersetzte hat, ist seit dem 18. Januar | |
in Haft. Man holte sie ab, während sie ihre hochbetagte Mutter betreute – | |
und brachte die Tochter nicht zurück. | |
Viele andere Autor:innen sind längst im Ausland, zum Beispiel lebt | |
Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch aktuell in Berlin, die viel | |
versprechende junge [3][Autorin Volha Hapeyeva] zieht es nach München. | |
Journalist:innen sind in noch größerem Maße betroffen. Der Autor | |
[4][Sasha Filipenko berichtete vergangene Woche in der Süddeutschen | |
Zeitung, ] dass 2020 insgesamt 480 Journalist:innen festgenommen worden | |
seien, [5][Reporter ohne Grenzen schrieb im Januar], neun seien aktuell | |
noch in Haft. | |
## Viktor Martinowitsch will bleiben | |
Leif Greinus, der deutsche Verleger von Martinowitsch, wollte seinen Autor | |
ebenfalls dazu bewegen, nach Deutschland zu kommen, schließlich lebt der | |
derzeit hochgefährlich in Minsk – doch der entschied sich, in Belarus zu | |
bleiben. „Was die Literaturszene tun kann, ist es, den Schriftstellerinnen | |
und Schriftstellern Zufluchtsorte zu bieten, ihnen Raum zur Verfügung zu | |
stellen. Sonst sehe ich derzeit wenig Spielraum“, sagt Greinus. „Wenn man | |
seine Solidarität kundtut, sind das zwar wichtige Symboladressen, aber | |
verändern wird sich nur etwas durch harte politische Sanktionen.“ | |
An Solidaritätsbekundungen mangelt es nicht, der internationale | |
Schriftstellerverband P.E.N., Übersetzerverbände und die halbe | |
internationale Literaturszene setzen sich für die Freilassung Kalackajas | |
und das Ende der Repressionen ein. | |
„Revolution“ immerhin wird gekauft, gelesen – und in Deutschland bislang | |
sehr gut besprochen. Im März wird der Roman auf der SWR-Bestenliste auf | |
Platz 2 stehen. Das immerhin sind gute Nachrichten für Viktor | |
Martinowitsch. | |
4 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Roman-ueber-Moskauer-Alltag/!5744626 | |
[2] https://www.voland-quist.de/ | |
[3] /Debuetroman-Camel-Travel/!5743971 | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/kultur/sasha-filipenko-belarus-literaturszene-r… | |
[5] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/belarus/alle-meldungen/meldung/bundesr… | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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