# taz.de -- Vivien Goldmans Musikbiografie: Identität, Liebe, Geld, Protest | |
> „Revenge of the She-Punks“ von Vivien Goldman ist eine überaus gelungene | |
> Geschichte des Punk – verfasst aus feministischer Perspektive. | |
Bild: Viel mehr als nur „Punk-Professorin“: Goldman ist Journalistin, Autor… | |
T-Shirt-Kleid in Pink mit Rallye-Streifen, karierte Nylonstrumpfhose, | |
schwarzes Barett und eine Sartre-Brille: In diesem Outfit sitzt die | |
britische Kulturwissenschaftlerin [1][Vivien Goldman] vor Kurzem im | |
McNally-Jackson-Buchladen ihrer Wahlheimat New York. Goldman zur Seite | |
moderiert Jenn Pelly, Pitchfork-Autorin, ganz in Schwarz. Für die Mädchen | |
in Reihe eins soll es Wodka geben. Gebongt. An diesem Abend wird Goldmans | |
Buch „Revenge of the She-Punks“ vorgestellt. | |
Die 64-Jährige wird etwas abschätzig „Punk-Professorin“ genannt. Dabei ist | |
sie viel mehr: Journalistin, Autorin zahlreicher Bücher, Filmemacherin und | |
nicht zuletzt Musikerin, die Geschichte geschrieben hat, als sie Ende der | |
Siebziger Punk mit Dubreggae in dem wunderbaren Popsong „Launderette“ | |
kurzgeschlossen hat. | |
„Revenge of the She-Punks“ ist nun ihre persönliche Musikbiografie, | |
geschildert aus feministischer, aber nicht essenzialistischer Sicht. Sie | |
beginnt mit einem „Womanifesto“: Darin kommt Goldmans 50-jährige | |
Musikleidenschaft vor, genauso wie eine gefährlichen DJ-Session auf Jamaika | |
– und ihr erster Artikel, einst geschrieben für Sounds, einem der prägenden | |
britischen Musikmagazine. Bereits Goldmans journalistisches Debüt handelte | |
von Frauen im Musikbiz. | |
Damals bestand die Redaktion von Sounds aus Jungs. Und sie urteilten: | |
Frauen kaufen keine Musik, machen keine Musik und lesen keine Texte über | |
Musik. Damit setzt Goldmans Recherche ein, typisch für ihre Methode in | |
„She-Punks“: Um Analysen über geschlechtsspezifische Ungleichheiten | |
darzustellen, zeichnet sie den Aufstieg und die historische Reichweite von | |
Punk nach und konstruiert anhand dessen die Stellung von Frauen. | |
## Lebensgeschichte im Laisser-faire-Stil | |
Unterteilt sind ihre Kapitel in die vier Felder Identität, Liebe, Geld und | |
Protest – und musikalisch belegt sie diese Kategorisierung jeweils mit | |
Playlists. So macht Goldman deutlich, dass es sich nicht um einen | |
feministischen Racheakt handelt, sondern um den Ausgleich eines | |
gleichberechtigten Zugangs, so wie dies männlichen Kollegen | |
selbstverständlich gewährt wird. Goldmans Buch zeigt eben auf, dass dem für | |
Frauen nicht so ist. | |
In der Passage „Identität“ etwa wird deutlich, wie sich die afrobritische | |
Musikerin Chardine Taylor-Stone von der Londoner Band Big Joanie mit den | |
Zuweisungen durch eine gemischte Identität auseinandersetzen muss. Es wird | |
vorausgesetzt, dass ihre Musik von Reggae beeinflusst sein müsse, dass | |
Punkmusik aber auch weiß klinge. Krude dabei ist, dass die Band einst | |
behauptete: „Wir haben uns selbst die Bezeichnung schwarze feministische | |
Punkband gegeben. Etwas Vergleichbares gab es zuvor nicht.“ Dabei hatte | |
Poly Styrene, Sängerin der britischen Punkband X-Ray Spex, diesen Kampf | |
bereits in den Siebzigern ausgefochten. Laut Goldman liegt genau hier das | |
Problem: Frauen sind in der Pop-Geschichtsschreibung zu wenig präsent, | |
junge Künstlerinnen können also gar nicht davon wissen. | |
Nicht nur die Vergangenheit deutet Goldman also anders, sie beschränkt sich | |
auch nicht nur auf angloamerikanische Szenen und sie untersucht immer | |
wieder die Gegenwart und geht über Genregrenzen hinaus. Dass sie | |
Popgeschichte nicht linear erzählt, sondern nach Schwerpunkten unterteilt, | |
ermöglicht, auch weniger bekannten Musikerinnen Aufmerksamkeit: Wie etwa | |
der spanischen Band Las Vulpes und der Teenpunkband Pragaash aus Indien und | |
der Frauenband Fértil Miseria aus Kolumbien. Erstaunlich, wo Punk heute | |
überall wächst und gedeiht. | |
Es schadet keineswegs, dass Vivien Goldman in ihren Playlists disparate | |
Künstlerinnen wie Grace Jones und Neneh Cherry mit der heute weitgehend | |
vergessenen britischen Mixed-Gender-Postpunkband Au Pairs vereint. So | |
bringt die Autorin historische Aspekte dazu, mit den Aussagen aus | |
Interviews gegenwärtiger Protagonistinnen in Konversation zu treten, die | |
verschiedenen Zeitläufte und Regionen der Welt fließen zusammen. Es geht | |
Goldman primär darum, eine bestimmte Haltung von Punk herauszuarbeiten. | |
Dadurch gelingt der Autorin die Infragestellung von gesellschaftlichen | |
Privilegien und Normen. | |
Anschaulich stellt sie dar, wie im Punk auch Klassengegensätze eine Rolle | |
spielen, wie Künstlerinnen doppelt benachteiligt werden aufgrund von | |
Hautfarbe und Herkunft. Die erwähnten Fértil Miseria nutzen Auftritte, um | |
Sachspenden für von Gewalt entrechtete Frauen und Kinder zu sammeln. | |
Anders, aber auch widerständig, und zwar auf bizarre Art, ist die | |
chinesische Frauenband Hang on the Box, deren Sängerin Gia Wang sich zur | |
Anhängerin von Donald Trump erklärt hat. | |
Durch Goldmans Expertise offenbart „Revenge of the She-Punks“ an vielen | |
Stellen Überraschendes. Zudem ergänzt das Buch bisher erschienene | |
Autobiografien und Oral-History-Werke von Punkerinnen wie Viv Albertine. | |
Und es schafft eine notwendige Retrospektive aus der bisher weitgehend | |
vernachlässigten Sicht „des anderen Geschlechts“. Dass Goldmans eigene, | |
verschlungene Lebensgeschichte nebenbei einfließt und ihr | |
Laisser-faire-Stil nicht in einem Fußnoten-Tsunami untergeht, macht die | |
Lektüre von „Revenge of the She-Punks“ besonders kurzweilig. | |
21 Jun 2019 | |
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[1] /Resolutionary-von-Vivien-Goldman/!5327176 | |
## AUTOREN | |
Du Pham | |
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