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# taz.de -- Weißrussische Punkband Messed Up: Nicht einverstanden
> Das Trio Messed Up macht Punk für Belarus gesellschaftsfähig. Nach der
> Verhaftung ihres Drummers setzen sie ein Zeichen gegen Polizeigewalt.
Bild: Punkrock rules okay: Messed Up
Grodno: Eine Stadt, im äußersten Westen [1][Weißrusslands], nahe der
polnischen und litauischen Grenze gelegen, ehemalige Residenz von Königen
und Großfürsten, rund 400.000 Einwohner. Nicht unbedingt ein
Touristenmagnet, beschränken sich die Sehenswürdigkeiten auf religiöse
Denkmäler und Kirchen. Die „Treppe der Liebe“ führt vom Alten zum Neuen
Schloss hinab zur Memel und verbindet Altstadt mit Neubauvierteln. Während
der Spaziergang nach dem Kirchenbesuch für viele ältere Bewohner
unerlässlich ist, ist der Fluss beliebter Treffpunkt für die Jungen. Grodno
ist auch Stadt der Subkulturen. Es gibt online sogar eine
„[2][Bandcamp]“-Seite der alternativen Musikszene.
Dazu gehören etwa drei junge Frauen: Lizzie Skiba, Maria Yatsevskaya und
Nastya Kapytok: Das Trio bildet zusammen die Band Messed Up. Sie sind Teil
einer kleinen Gemeinschaft, die einen Ausweg aus der eintönigen
postsowjetischen Heimat findet, indem sie sich kreativ und autonom aus den
gegebenen Zwängen wie Geschlechterrollen, Vorurteilen und aggressiver
Repressionen heraus bewegt, was in Grodno schwieriger ist als in Berlin.
Dabei kann der (post-)sowjetische Underground am Ort auf eine lange
Geschichte zurückblicken. Kurz vor 1989 gründen sich in Grodno
Artrock-inspirierte Bands wie Teatr und Side Off, in den 90ern treten die
ersten belarussischen Punkgruppen auf den Plan, darunter die als
einflussreich geltenden Graždanskaja Oborona. Die Band, gegründet vom
antikommunistischen Dissidenten Jegor Letow, war später umstritten.
## Fernab der Norm
Während es um 1989 krasse Repressalien von der Obrigkeit gegeben hat,
kämpfen Messed Up heute als eine der wenigen Frauenbands in Weißrussland, –
musikalisch fernab der Norm – mit sozialem Druck und Intoleranz, wie
Gitarristin und Komponistin Skiba im Interview erzählt: „Bei meiner Arbeit
in einem Krankenhaus sehe ich mich häufig mit Misstrauen von Patienten
konfrontiert, weil diese angeblich von meinen Tätowierungen und Piercings
beleidigt werden.“
In ihren Texten stellt sich die Band sowohl gegen das Establishment als
auch gegen alltägliche Intoleranz. Die Künstlerinnen beschreiben, wie sie
sich in der konformistischen Realität zurechtfinden und die von der
patriarchalen Gesellschaft vorgeschlagenen Klischees und Vorurteile
zurückweisen. Dazu gehört die Ablehnung einer vorgefertigten Denkweise
([3][„I won’t“),] der Duft der Freiheit und der damit verbundene Lockruf
der Sünde („Blind Faith“).
Die teils naiven Texte hat Skiba bereits mit 15 Jahren komponiert, und die
entwaffnende Ehrlichkeit und Sprache scheinen aber auch deshalb angemessen,
weil sie dadurch möglichst viele HörerInnen erreicht. Wie beim
Antikriegssong „Someone's Tears and Pain“. So erklärt Skiba: „Es macht f…
uns keinen Sinn, sich um unser Land zu kümmern – von Jahr zu Jahr wird
alles um uns herum globaler und vernetzter, da sollten wir uns um die ganze
Welt kümmern!“
## Feminismus und LGBT
Alternative Lebensformen und ökologische Themen sind neben Feminismus und
LGBT die Schwerpunkte, die Skiba nicht nur mit der Band, sondern in einer
Gemeinschaft angehen will, „die belarussische Subkultur ist eindeutig mit
einer widerstandsfähigen, unerschütterlichen und völlig unabhängigen Szene
verbunden. Und wir geben unser Bestes, um so viele Menschen wie möglich in
unsere Aktivitäten einzubeziehen und so viele wie möglich mit unserer
Agenda zu erreichen!“
Die elf Songs des englisch betitelten Messed-Up-Debütalbums „Everything You
Believe In“ werden vorgetragen auf Russisch und entsprechen dem
Punk-Etikett: Harmonisch antreibende Haudrauf-Riffs, Dampframmendrums und
Kapytoks Vocal-Darbietung im Wechsel zwischen melodischem Gesang und hartem
Gebrüll. Die Botschaft ist deutlich: Sie sind nicht einverstanden. Und zum
krönenden Abschluss verteilen sie eine vorzüglich klingende Klatsche, wie
sie auch gern bei ihren britischen Kolleginnen von Thee Headcoatees
verabreicht wurde. Aus dem Song „I Wanna Be Your Dog“ der Stooges wird bei
Messed Up zu „Now You Wanna Be My Dog“.
## „Bitte vergesst uns nicht“
Ein Facebook-Post des Trios von Anfang August, kurz vor der
Präsidentschaftswahl: „26 Jahre Stagnation, Depression, Stabilität... Wer
hätte sich das vorstellen können – aber unter all dem Zirkus um die Wahlen,
die angeblich ‚fair‘ genannt werden, erschien ein Hoffnungsschimmer für
Veränderungen. Und diese Hoffnung sind drei mutige Frauen, die Menschen
weckten, ihnen Hoffnung auf ein besseres Leben gaben und sie mutig voran
führten.“ Das Trio meint nicht sich selbst, sondern die Oppositionellen
Maria Kalesnikava, Weronika Zepkalo, [4][Swetlana Tichanowskaja].
Eine Woche später ist klar: Alexander Lukaschenko bleibt im Amt.
[5][Insgesamt sollen im Zuge der Proteste fast 7.000 Menschen festgenommen
worden sein], darunter Messed Ups Drummer Tima.
„Die Situation ist eingetroffen, viele unserer Freunde sind in den letzten
zwei Tagen festgenommen worden. […] Für was? Für unsere Freiheit, dafür,
dass wir keine Angst haben, die Wahrheit zu sagen, dass wir dem Vorgehen
der Polizei nicht zustimmen. […] Bitte vergesst uns nicht.“ Dazu posteten
sie ein Foto, auf dem sich zwei Frauen auf dem Boden sitzend aneinander
festhalten, sie haben Tränen im Gesicht, ihre Verzweiflung ist deutlich. Um
sie herum stehen drei Sicherheitskräfte, mit Schlagstöcken in der Hand. Das
Bild stamme aus Minsk, da es in Grodno keine Presse gäbe. Messed Up bleibt
nicht einverstanden.
Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals im September 2019. Er
wurde um die aktuellen Geschehnisse ergänzt.
24 Oct 2019
## LINKS
[1] /Postsowjetisch/!5024753/
[2] https://grodnomusic.bandcamp.com/
[3] https://messedupgrlzzz.bandcamp.com/track/i-wont
[4] /Proteste-nach-Wahlen-in-Belarus/!5706311
[5] /Nach-mutmasslichem-Wahlbetrug-in-Belarus/!5707116
## AUTOREN
Du Pham
## TAGS
Punk
Grodno
Weißrussland
Messed Up
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
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Punk
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